Live von der Front
Wann der Krieg Russlands gegen die Ukraine zu Ende sein wird, wissen wir nicht. Was er für Konsequenzen noch für uns alle bringt, ebenso wenig. Doch wie es sich anfühlt, im Kriegsgebiet zu leben — davon bringt die dritte Ausgabe des ukrainischen Festivals »Immer wieder Aufbruch« eine Ahnung nach Köln. Inzwischen wurde es auf drei Tage erweitert und zeigt, wie vital und kreativ die ukrainische Kunstszene ist. Ausgewichen sind Künstler in Dnipro, Charkiv oder Kyiv in den Untergrund und wehren sich aktiv dagegen, dass nur Krieg ihr Leben bestimmt. Die Kuratoren Mariana Sadovska und André Erlen haben mit dem deutsch-ukrainischen Verein Blau-Gelbes Kreuz das Festival diesmal bewusst nicht in ein Theater, sondern in spektakuläre, kaum bespielte Kölner Kellerräume verlegt — Bunker-Gefühle sind beabsichtigt.
Die Festivaleröffnung ist im mittelalterlichen Sancta Clara Keller (Am Römerturm 3), nachempfunden einem »Kwartiernik«: ein sowjetisches Wort, das Treffen von Regimegegnern bezeichnet, die konspirativ Gedichte, Gedanken, Musik teilten. Auch der heutige PEN Ukraine trifft sich unter diesem Namen in Kyiv und entsendet mehrere prominente ukrainische Autorinnen nach Köln, wo sie mit den Zuschauern Texte lesen, Musik machen und vom Alltag erzählen.
Wie es sich in Bombennächten unter der Erde anfühlen mag, kann man auch im abgerockten Keller am Theo-Burauen-Platz erleben (neben dem Spanischen Bau): In einer szenischen Lesung erklingen Texte von Theaterschaffenden, die in der ukrainischen Armee kämpfen und trotzdem weiterschreiben. Die Autoren werden zum Teil von der Front live dazugeschaltet.
Auch eine spektakuläre ukrainische Ausstellung ist zu sehen: im Kellerraum der Tanzfaktur ist die immersive Installation »Im Namen der Stadt« des Künstlers Konstantin Sorokin aus Charkiv aufgebaut, ein Gesamtkunstwerk aus archaischen Bildergeschichten, Stadtkulissen, Masken, Figuren und Performances. Im unterirdischen Kronleuchtersaal sieben Meter unter dem Ebertplatz wiederum wird die Ausstellung »Der Fluß heulte wie ein verwundetes Tier« über die Kultivierung des Flusses Dnipro gezeigt. Spannend ist auch der Dokumentarfilm »Militantropos« (Tanzfaktur-Keller): Was macht Krieg mit Menschen? Spüren kann man das bei »Immer wieder Aufbruch« hautnah — und zugleich Strategien der Resilienz feiern.
Diverse Keller in Köln, 23.–25.10., aufbruch-festival.de