Unmoralische Adressen
Dass nach Menschen benannte Straßen als problematisch angesehen und umbenannt werden, ist nicht neu. Aber die Sensibilität ist gewachsen. Straßennamen ständen »im Fokus einer veränderten Wertediskussion«, befand der Deutsche Städtetag und gab 2021 als Handreichung für die Stadtverwaltungen einen Kriterienkatalog heraus. In Köln hatte im selben Jahr OB Henriette Reker einen Historischen Beirat und ein »Expert*innengremium (Post)koloniales Erbe Köln« mit Untersuchungen beauftragt, welche Straßenbenennungen im Zusammenhang mit dem deutschen Kolonialismus und dem NS-Regime stehen. Ausschlaggebend war, dass sie »nach 1870 verstorbenen Personen oder geographischen bzw. Ereignissen aus dieser Zeit« benannt sind, so die Stadt Köln. Von rund 5000 Kölner Straßen wurden 1200 untersucht. »Davon bedürfen nur die wenigsten Namen einer weiteren Prüfung«, teilt die Stadt mit. Anfang September beschlossen die Bezirksvertretungen von Ehrenfeld und Nippes für drei Straßen neue Namen.
In Ehrenfeld werden zwei Straßen, die den Namen von Kolonialisten des Deutschen Reichs tragen, umbenannt: die Wißmannstraße nach der Friedensaktivistin und Liedermacherin Fasia Jansen, und die Gravenreuthstraße nach Cilly Servé, die zu den Edelweißpiraten gehörte und von den Nazis hingerichtet wurde. Die Namen wurden aus einer Reihe von Vorschlägen von Anwohnern ausgewählt.
Konkurrierende Vorschläge gab es nun auch für jene Straße in Nippes, die nach Gustav Nachtigal benannt ist, der mit der Gründung von Kolonien in Westafrika betraut war. Die BV Nippes entschied sich für die Umbenennung in »Manga-Bell-Straße« — zu Ehren von Rudolf Manga Bell, Sohn des Königs der Duala in der deutschen Kolonie Kamerun. Als Oberhäuptling arbeitete er zunächst für die deutsche Kolonialverwaltung, protestierte aber schließlich gegen Umsiedlungen, fiel in Ungande und wurde 1914 hingerichtet. Ungeklärt erscheint, ob die Familie Manga Bell einst selbst Sklavenhandel betrieb. Ihr Name steht heute jedenfalls für den friedlichen, antikolonialistischen Widerstand. Allerdings sollte in Nippes auch seine Frau Emily geehrt werden — bloß war eine »Emily-und-Rudolf-Manga-Bell-Straße« nach Auffassung der BV den Anwohnern aufgrund der Länge nicht zuzumuten. Nun soll ein Hinweistäfelchen klarstellen, dass auch Emily Manga Bell gemeint ist.
Auch ohne viele Buchstaben ist eine Umbenennung für Anwohner mit Aufwand verbunden — der allerdings nicht größer sei als bei einem Umzug, so die Stadt Köln; eine »besondere Belastung« sei nicht zu erkennen. So werden mit der Umbenennung verbundene Kosten nicht erstattet.
Es kann auch Straßen treffen, die vor kurzem noch im festen Glauben an deren Verdienste nach Politikern benannt worden sind
Derzeit ständen keine weiteren Umbenennungen an, teilt die Stadt Köln mit. Doch werden immer wieder Initiativen dazu gestartet. Denn viele Straßen sind nach Menschen benannt, deren Lebenswerk zwar von Bedeutung ist, deren weitere Ansichten oder Taten aber heutzutage als moralisch verwerflich erscheinen. Und wer weiß, was noch alles ans Tageslicht kommt, wenn weiter das Leben der Menschen erforscht wird, nach denen heute Straßen und Plätze benannt sind?
Das kann auch Straßen betreffen, die vor kurzem noch im festen Glauben an deren Verdienste nach Politkern oder Verwaltungsbeamten benannt worden sind. Eine böse Überraschung gab es, als das NS-Dokumentationszentrum 2019 herausfand, dass Heinz Mohnen, von 1965 bis 1977 Kölner Oberstadtdirektor, »sich aktiv in den Dienst des NS-Regimes gestellt« hatte. Der nach Mohnen benannte Platz in Sülz wurde eilig umbenannt — er heißt jetzt Platz der Kinderrechte. Der Vorschlag Anne-Frank-Platz blieb unberücksichtigt.
Sollte man Straßen und Plätze dann überhaupt noch nach Menschen benennen? Doch selbst harmlos erscheinende Straßennamen können Anlass einer Umbenennung werden. Selbst ein »Frühlingsweg«, wie etwa in Bünde im Kreis Herford, ist belastet, weil die Namenswahl im Jahr 1936 stattfand und sich — zumindest auch — auf eine Metapher der Nazis für ihre Machtübernahme bezieht.
Muss also auch die Motivation einer womöglich lange zurückliegenden Benennung bedacht werden? In Köln gab es seit 1845 eine Mohrenstraße, die den Heiligen Gregorius Maurus ehrte, der um das Jahr 300 in Köln wegen seines christlichen Glaubens hingerichtet worden sein soll. Allerdings kam ein Gutachten im Auftrag der Stadt Köln zum Schluss, »Mohr« sei im Mittelater zwar auch eine »durchaus positiv konnotierte Bezeichnung« für afrikanische Heilige gewesen, aber seine weitere Verwendungsgeschichte zeige, »dass der Begriff als rassistisch und diskriminierend gewertet werden muss.« Die Straße wurde deshalb in Gregorius-Maurus-Straße umbenannt.