Das Gesamtverhältnis
Mit »Great Resignation« (Kidnap Music) veröffentlicht am 10.10. die linke Punkband pogendroblem eines der besten deutschsprachigen Alben des Jahres. Hier wird gelacht und sich gleichzeitig aufgeregt, angeprangert und geliebt — vor Ambivalenz hat das Kölner Quartett keine Angst. Die zwölf Songs auf »Great Resignation« klingen fantastisch, pogendroblem haben ein neues Level erreicht. Im Gespräch erzählt Sänger und Gitarrist Georg aus der Biographie der Band und von der Ambivalenz ihres neuen Albums.
Wo hat eure Band ihren Ursprung?
Wir kommen alle aus Bergisch Gladbach. Ich kenne Lauritz, unseren Bassisten, schon seit dem Kindergarten; und Frieder, unseren Gitarristen, kenne ich seit wir 15 sind. Ich hatte in der Schule nie viele Friends und habe mich dann an Jugendzentren orientiert. Da hingen wir immer rum, es gab so eine Mischszene aus alternativen Jugendlichen: Viele Hippies, Longboard fahren war damals cool. Aber auch ein paar Leute, die Punk gehört haben. Frieder zum Beispiel war richtig Punk, weil der einen älteren Bruder hatte, der Punker war. Ich war einfach nur ein bisschen anders.
War der politische Aspekt schon von Anfang ein Teil von pogendroblem?
Es hat lange gedauert, bis wir Teil einer Punkszene wurden. Das kam erst, als wir nach Köln gezogen sind. Dann hat sich uns im Endeffekt auch die politische Seite des Ganzen erschlossen. Ich würde schon sagen, dass wir verhältnismäßig politische Jugendliche waren.
Es gab ein paar Sachen, die uns doll politisiert haben: Das war für mich der sogenannte Arabische Frühling, danach der syrische Bürgerkrieg, und dann das Aufkommen der AfD.
Inwiefern hat sich der Sound von pogendroblem über die Jahre verändert?
2020 ist ja unsere Schlagzeugerin Benta eingestiegen. Dadurch hat sich innerhalb der Band nochmal eine ganz neue Dynamik entwickelt. Benta hat diesmal auch einen Song, den sie komplett singt, hat aber auch vorher schon Backing Vocal gemacht. Wir haben mit ganz klassischem Deutschpunk angefangen und ich würde sagen, dass vor allem meine Sachen ein bisschen poppiger, ein bisschen NDW-mäßiger geworden sind. Für die meisten Leute ist das natürlich immer noch stumpfer Punk — da sind
die Wahrnehmungen sehr unterschiedlich, je nachdem woran man das misst.
Ich finde euer neues Album ganz toll. Es klingt weniger schrabbelig und hat einen gewissen Schimmer. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Das hat mit vielen Faktoren zu tun. Wir hatten diesmal schon vorher gesagt, dass wir die Produktion ein bisschen breiter gestalten wollen. Also wir haben noch mehr Gitarrenspuren eingespielt, ein paar mehr Synthies und Backgroundgesänge. Das letzte Album, »Alles was ich noch hab sind meine Kompetenzen«, war ein bisschen verspielter; diesmal haben wir kein Waldhorn drin.
Was symbolisiert der Albumtitel für dich?
»Great Resignation« ist die Bezeichnung für ein Phänomen, bei dem während der Corona-Pandemie viele Leute ihre Jobs gekündigt haben, weil sie feststellten, dass die Bullshit sind und man davon eh nicht leben kann. Dann gab es aber auch schnell wieder den Trend zurück, mit der Inflation und den gestiegenen Kosten. Also ist es doch so, dass wir alle irgendwie arbeiten müssen. Es gab eben diesen Moment des Ausnahmezustands und der Realisierung. Außerdem kann man das auf Do-It-Yourself-Punk beziehen: Im Sinne davon, dass es gleichzeitig der Ort für Utopie ist — oder sein könnte — und dann im Gesamtverhältnis doch zur Selbstausbeutung führt. Das steckt alles in diesem Titel drin. In unseren Liedern geht es oft um solche Widersprüche.
Den Song live zu spielen ist wirklich geil, wenn 100 Punks ihn inbrünstig schreien. Das hat was von
BarbareiGeorg, pogendroblem
Es geht auf dem Album immer wieder um einen Ausblick in die Zukunft, der in den verschiedenen Songs jeweils anders aussieht …
Stimmt! Es geht viel um die Frage, wie wir mit Krisen umgehen — und dann bieten die Songs halt verschiedene Lösungen an: Resignieren, Theorie, Praxis, Liebe, Diebstahl, eine gute Zeit haben, Suizid, dem Problem ins Auge blicken, Protest. Das hatten wir uns nicht vorher so überlegt, wir haben einfach einen Blick auf die Gegenwart geworfen. So sind diese verschiedenen Facetten entstanden.
Am liebsten mag ich den letzten Song, »Von gar nichts haben wir uns befreit«. Glaubst du das?
Dass ihr euch am Ende von gar nichts befreit habt? Der Song macht am Ende nochmal alles platt. Ich glaube, das ist der beste Song auf dem Album, weil der scheppert und am nächsten an dem dran ist, was ich fühle. Der Song ist auch nicht nur pessimistisch, die Bridge ist sehr hoffnungsvoll. Trotzdem hab ich immer wieder die Er-kenntnis, dass man aus den Gesellschaftsverhältnissen nicht rauskommt und sich davon — so sehr man das möchte — nicht befreien kann.
Eure Musik hat einen starken Background in linker Theorie, dann gibt es aber auch den Song »Praxis ohne Theorie«.
Dieses ganze Theoriegelaber wird uns oft angelastet; ich fände es auch schlimm, wenn wir eine theoriefeindliche Band wären. Den Song »Praxis ohne Theorie« hat Frieder geschrieben, und der hat den in Teilen auch ernst gemeint. Er bildet einen Gegenpol zu meinem theoretischen Gelaber. Aber Frieder lässt sich nie so ganz in die Karten gucken. In dem Album gibt es jedenfalls diesen Kampf dazwischen: Macht man Praxis oder macht man Theorie? Beides kommt vor, beides ist im Punk auch präsent. Praxis und Theorie schließen sich gegenseitig nicht aus. Und: Den Song live zu spielen ist wirklich geil, wenn 100 Punks ihn inbrünstig schreien. Das hat was von Barbarei.
Zum Schluss weniger eine Frage, eher eine Beobachtung. In dem Song gibt’s auch die Zeile: »Muss mir nicht das Maul zerreißen, um auf die Hamas zu scheißen«. Inwiefern ist es für euch als Band wichtig, in dieser Debatte stattzufinden?
Uns ist eine antisemitismuskritische Perspektive wichtig. Viele Bands spielen dieses Thema gerade nach vorne, weil sie das berührt; oder weil das gerade populär ist; oder weil es einen Positionierungsdruck gibt. Unser Fokus ist eher: Was kann man jetzt und hier gegen die Faschisierung machen? Und dazu gehört, dass wir gegen die extreme Rechte sind und gegen Antisemitismus, aber auch gegen Rassismus und Queerfeindlichkeit. Man muss kritisieren, dass die Regierungspolitik gerade mit rassistischen Policies reagiert, auf der anderen Seite muss man Antisemitismus aus der Linken kritisieren. Studien zeigen immer wieder, wie verbreitet verschwörungstheorisches, antisemitisches Denken ist — und zwar in allen Milieus. Das darf man nicht vergessen. Der 7. Oktober hat uns natürlich total geschockt, die humanitäre Situation in Gaza beschäftigt uns. Aber uns beschäftigt auch der russische Angriffskrieg, und wir können es oft nicht so richtig nachvollziehen, warum jetzt Bands — aber auch generell Teile der Linken — so einen Fokus darauf legen. Viele Leute, die keine Ahnung haben, sagen plötzlich was dazu. Das ist mit allen Themen so, aber dabei hat sich das krass zugespitzt, was irgendwie hemmend und frustrierend ist. Deswegen finden wir in Bezug auf so eine Debatte eigentlich gar nicht statt. Mir ist es vor allem wichtig, dass Leute sich an gewisse Mindeststandards halten und beispielsweise keine antisemitischen Stereotype reproduzieren. Dann wäre ich ja schon happy.
Konzert: 7.11., Gebäude 9, 20 Uhr