Faszinierend unberechenbar
Machen wir da weiter, wo wir im letzten Monat aufgehört haben: bei der Werkschau zu Sōmai Shinji. Sōmai gilt in Japan als ein Symbol des Kinos der 1980er Jahre. Genaugenommen als der Filmemacher jener Dekade, das Vorbild, welches damals alle angehenden Regisseure imitierten, ohne je sein formales Genie erreichen zu können. Sōmais Kino offeriert eine Fusion zweier nach außen hin widersprüchlicher Impulse: Jeder Film bedient sich eines anderen Genres — doch alle Werke charakterisiert derselbe gestalterische Zugriff. Egal, ob Sōmai in der leger-surrealen Komödie »Shonben Raidâ« (1983) von drei Schülern erzählt, die
sich mit den Yakuza anlegen, oder in dem Melodram »Yuki no danshō — Jōnetsu« (1985) von dem Weg einer Waise ins Leben: Er verwendet stets sehr ausgefeilte, teils irrsinnig lange Plansequenzen — mal, um Darsteller-Energien in ihrer ganzen Rohheit einzufangen, mal, um das Rituelle gewisser Augenblicke zu unterstreichen. Sōmai zeigt, wie man gleichzeitig populär und formal avanciert sein kann.
Der Filmclub 813 huldigt zwei Auteurs, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Konrad Wolf, der vielleicht bedeutendste Filmemacher der DDR, war faszinierend unberechenbar in seinem gestalterischen Zugriff: Er wuppte mit »Einmal ist keinmal« (1955) den einzigen echten Heimat-Schlagerfilm der DEFA mit genauso viel Verve und handwerklicher Sicherheit wie knapp eine Dekade später die hochmodernistische Adaption von Christa Wolfs ein Jahr zuvor erschienener Erzählung »Der geteilte Himmel« (1963). Rudolf Thome entwickelte sich vom Swinging Schwabing-Axiom zum sui generis-Solitär, ohne sich dabei groß zu verändern, auch wenn man klar Perioden in seinem Schaffen ausmachen kann. Periodisch wagte er Neuanfänge, siehe etwa den autobiographisch grundierten Berlin (West)-Film »Made in Germany und USA« im Vergleich mit seinem letzten München-Werk, dem Noir-Spiel »Fremde Stadt« (1972) und den Wechsel von formaler Strenge und Genre-Faszination zu einer dokumentarischen Erzählung von Alltäglichkeiten — und dann geht es doch immer wieder um Utopien des Gemeinsamen, die sich genauso im Teilen einer Millionenbeute offenbaren können wie im linkischen Legen des Tarot. Weibliche Hauptrolle in beiden Werken: Thomes damalige Gattin Karin, deren eigenes, dazwischen entstandenes Regiemeisterwerk »Über Nacht« (1973) ebenfalls zu sehen ist.