Frankenstein
Die Meilensteine der Schauerliteratur haben Hochkonjunktur: Neben Bram Stokers »Dracula«, den Robert Eggers (»Nosferatu«, 2024) und Luc Besson (»Dracula — Die Auferstehung«) gerade neu verfilmt haben, erlebt dank Guillermo del Toro auch Mary Shelleys »Frankenstein« eine Wiederbelebung. Womit dem Regisseur nach »Pinocchio« ein weiterer meisterlicher Wurf gelungen ist: Del Toros Interpretation ist die Faszination für den 1818 erschienenen Roman deutlich anzumerken, schwimmt sich zugleich aber so frei, dass sie ganz auf der Höhe der Gegenwart ist. Mit Hilfe eines exquisiten Kostüm- und Setdesigns entfesselt del Toro einen Bilderrausch, der sich nachhaltig ins Kino-Gedächtnis einprägen dürfte. Wenn man an Frankensteins Kreatur denkt, wird man zukünftig vielleicht nicht mehr zuerst reflexhaft die Gestalt von Boris Karloff aus dem Film von James Whale (1931) vorm inneren Auge haben, sondern den fragileren Jacob Elordi, der in del Toros Film bei seiner »Geburt« in Frankensteins Labor ein bisschen an Christus am Kreuz erinnert.
Oscar Isaac wiederum verkörpert Victor Frankenstein mit luziferischem Furor: »Nur Monster spielen Gott«, heißt es schon auf dem Plakat zum Film. Wobei in del Toros Interpretation Frankensteins Monstrosität weniger in seinem Größenwahn besteht, mit den Mitteln der Wissenschaft als neuer Prometheus den Lebensfunken in einem toten Körper zünden zu wollen. Sondern darin, dass es ihm nur darum geht, die Grenzen des Machbaren auszudehnen, das Leben selbst ihm aber auf tragische Weise gleichgültig ist. Aus Victors love interest Elizabeth wird in del Toros Version mit Hilfe von Schauspielerin Mia Goth eine starke Antipodin zu dieser Position — eine Veränderung, die die Frauenfigur stark aufwertet.
Strukturell orientiert sich del Toro in vielem an der Vorlage. Auch hier gibt es eine Rahmenhandlung, in der Frankenstein seiner Kreatur in die Arktis gefolgt ist, um sie zu vernichten, und sterbend auf ein Forschungsschiff trifft, dessen Kapitän er seine Lebensgeschichte anvertraut. Del Toro nimmt indes eine entscheidende Änderung vor: Neben Victor kommt auch die Kreatur zu Wort; ihre Erfahrungen stehen in der zweiten Filmhälfte im Zentrum — und schaffen eine Basis dafür, etwas zu finden, was in Shelleys menetekelhafter Vorlage in Eis und Feuer untergeht: Hoffnung.
USA 2025, R: Guillermo del Toro, D: Oscar Isaac, Jacob Elordi, Mia Goth, 149 Min, Start: 23.10.