Niehl
Niehl, das ist der vergessene Stadtteil nördlich von Nippes. Schon auf der Stadtkarte wirkt Niehl wie an den Rand gedrängt, ein schmaler Streifen entlang des Rheins. Im Süden das neuere Niehl samt Hafengelände und Neubaugebieten — im Norden das alte Niehl, ein ehemaliges Fischerdorf, das heute ans Industriegebiet mit den Ford-Werken grenzt. Gegensätze prägen den Stadtteil: die von Alt- und Neu-Niehl, von dörflicher Idylle und autogerechter Stadtplanung, von Natur und Industrie. Vieles fehlt hier im Alltag, was man in Nippes für selbstverständlich hält — aber wer hier wohnt, kennt auch die Vorteile, dort zu leben, wo es mehr Diversität zu entdecken gibt als im Hipster-Viertel
Niehl, das ist der vergessene Stadtteil nördlich von Nippes. Schon auf der Stadtkarte wirkt Niehl wie an den Rand gedrängt, ein schmaler Streifen entlang des Rheins. Im Süden das neuere Niehl samt Hafengelände und Neubaugebieten — im Norden das alte Niehl, ein ehemaliges Fischerdorf, das heute ans Industriegebiet mit den Ford-Werken grenzt. Gegensätze prägen den Stadtteil: die von Alt- und Neu-Niehl, von dörflicher Idylle und autogerechter Stadtplanung, von Natur und Industrie. Vieles fehlt hier im Alltag, was man in Nippes für selbstverständlich hält — aber wer hier wohnt, kennt auch die Vorteile, dort zu leben, wo es mehr Diversität zu entdecken gibt als im Hipster-Viertel
»Ich bin absoluter Niehl-Fan«, sagt Anja Groß. Die Sonderpädagogin wohnt mit ihrem Mann und den beiden Töchtern, 16 und 18 Jahre, in Alt-Niehl an der Halfengasse — direkt bei der alten Grundschule an Alt St. Katharina, dem »Niehler Dömchen«. Vor zwanzig Jahren zog sie mit ihrem Mann aus der Innenstadt an die Sebastianstraße, damals zur Miete. Als es dort zu eng wurde, suchten sie nach einem Häuschen. »Es war ganz klar: Wir wollen hier nicht mehr weg — es ist hier ruhig, es gibt noch dörfliche Strukturen, aber in zehn Minuten bist du in Nippes oder der Innenstadt. Für uns kann man schöner nicht wohnen — und die Kinder auch nicht besser aufwachsen lassen.« In Grüppchen liefen die Kinder zur Grundschule, später radelten sie im Pulk an das Erich-Kästner-Gymnasium im Süden von Niehl. Für Anja Groß macht die dörfliche Atmosphäre den Charme des Viertels aus. Da sind »die kleinen Häuschen und Gässchen, dieses Kreuz-und-quer-Gebaute, alles nicht so geleckt«, und da sind die Menschen. »Hier kennt man sich«, sagt Groß. »Es gibt eine lebendige Veedelskultur, Karnevalsvereine, Sportclubs und eine engagierte Nachbarschaft.«
An Karneval veranstaltet die Pfarrgemeinde St. Katharina eine Party für Kinder, es gibt mit der Sebastianstraße einen Dorfkern und ein paar alteingesessene Kneipen und Restaurants wie das Linkewitz am Rheinufer. Geprägt habe sie das Jahr 2015, als in der Turnhalle der Grundschule 80 geflüchtete Männer untergebracht wurden, sagt Anja Groß: »Da hat sich eine engagierte Willkommensinitiative gebildet. Darüber habe ich richtig Anschluss gefunden«, erzählt sie. »Obwohl die Kinder dadurch viele Monate keinen Sportunterricht hatten, verlief alles ziemlich unaufgeregt.«
Für Anja Groß ist Alt-Niehl ihr kleines Idyll — gerade, weil es vielen unbekannt ist. »Ich wundere mich, dass nicht so viele Leute herkommen wie nach Zündorf oder Rodenkirchen«, sagt sie. »Wenn ich nach Nippes ins quirlige Großstadtleben radle, atme ich auf. Und wenn ich abends zurück in unser schnuckeliges Alt-Niehl radle, dann atme ich noch mal auf.«
Gabriele Kischel wohnt gar nicht in Niehl, sondern in Dormagen — aber sie bekommt mit, was hier passiert und was die Menschen beschäftigt. Seit fünfzehn Jahren betreibt Kischel an der Sebastianstraße einen Schreibwarenladen mit Postannahmestelle. Am Eingang hängen Plakate der Kirchengemeinde, des Bürgervereins oder für den Niehler Wochenmarkt, daneben steht ein Postbriefkasten, und Kischel hat einen Hundenapf mit Wasser daneben gestellt. Es scheint, dass jeder in Alt-Niehl Frau Kischel kennt — und Frau Kischel jeden, der hier wohnt. Bei ihr geben die Niehler Pakete auf, kaufen Zeitschriften, Schulhefte oder Grußkarten. Früher fungierte der Laden auch als Postbank-Filiale. Aber die Bank hat sich zurückgezogen. »Die einfachen Kunden interessieren die nicht mehr«, sagt Kischel, die dadurch Einbußen hätte, wenn sie nicht jetzt auch Lotto-Annahmestelle wäre, seit ein anderer Kiosk mit diesem Angebot schloss.
Nach wenigen Minuten in Gabriele Kischels Laden, hat man schon einen Eindruck von der Sozialstruktur im Veedel erhalten. Es ist viel los. Am besten spricht man mit Gabriele Kischel in der Mittagspause, wenn ihr Geschäft von 13 bis 14 Uhr schließt. Immer dabei hat Kischel ihre beiden Pudel. Der eine tapert heran und schnüffelt, wenn Kundschaft kommt, der andere bleibt lieber hinten im Büro. »Die Bella ist ein bisschen speziell und scheu, ganz anders als Daisy«, erzählt Kischel. Früher kam auch immer eine Katze auf ihrem täglichen Streifzug vorbei, weil es bei Kischel Leckerlis gab. »Aber die kommt nicht mehr, die ist im von einem Auto am Niehler Damm totgefahren worden.«
Kischel mag Niehl. Aber: »Immer mehr Läden haben hier in den letzten Jahren geschlossen, und eine Apotheke und die Sparkasse haben wir schon lange nicht mehr.« Diese Klagen hört man oft, wenn man die Menschen rund um die Sebastianstraße spricht. Vor kurzem hat ein gutes georgisches Restaurant geschlossen, jetzt gibt es dort »All you can eat — auch zum Mitnehmen«.
Auch würden sich die Menschen Sorgen machen, seit vor drei Jahren das Krankenhaus St. Agatha die Notaufnahme, Chirurgie und Innere Medizin schloss und zur »Fachklinik für psychische Gesundheit« wurde. »Ich hatte hier im Laden auch schon seltsame Begegnungen, und neulich am Rhein schrie plötzlich jemand die ganze Zeit herum und niemand wusste, was los war«, erzählt Kischel. »Dazu noch das Obdachlosenheim, das Männerwohnheim, die Unterkunft für Geflüchtete — man muss unbedingt diesen Menschen helfen, aber das passiert halt nie in Lindenthal, sondern hier, und für ein kleines Viertel wird es irgendwann etwas viel.« Kischel stellt ihr Müsli zur Seite, gleich endet ihre Mittagspause. Dann kommt auch Daisy wieder aus dem Büro und schaut sich die Kundschaft an.
Für uns kann man schöner nicht wohnen — und die Kinder auch nicht besser aufwachsen lassenAnja Groß, Alt-Niehl
Dass sich Menschen, die in Veedeln jenseits der Innenstadt leben, mit ihren Sorgen nicht gehört fühlen, erlebt man oft. Zunächst war auch die Aufregung groß, als die Stadtentwässerungsbetriebe ankündigten, einen neuen Düker unter dem Rhein zu bauen; der alte von 1928 konnte die Menge des Abwassers, das aus dem Linksrheinischen ins Großklärwerk Stammheim am anderen Rheinufer gepumpt werden sollte, kaum noch bewältigen. Mittlerweile ist der Düker-Bau, der hier unmittelbar neben dem Niehler Dömchen und der alten Grundschule mit einem riesigen Loch und schweren Baufahrzeugen begann, weit fortgeschritten. Im August wurde der erste Rohrvortrieb abgeschlossen.
Bislang gab es keine nennenswerte Zwischenfälle, eine kleine Sensation für Kölner Verhältnisse. Allerdings ist seit Baubeginn der Niehler Damm nördlich des Dömchens für den Autoverkehr gesperrt. Die Mitarbeiter der dahinter liegenden Ford-Werke und anderer Industrie- und Gewerbebetriebe müssen über das Niehler Ei, den großen Verteiler im Norden, einen Umweg fahren. Auch die Alt-Niehler müssen mitunter Umwege fahren, spüren aber auch, dass es ruhiger geworden ist. Dennoch interessieren die Tempo-30-Schilder auf der Sebastianstraße nach wie vor die wenigsten Autofahrer.
Zu viel Autoverkehr, Fluglärm, fehlende Geschäfte — es gibt einige Probleme hier. Aber es gibt auch Menschen mit Ideen. Max Dembour steht an der Niehler Rheinpromenade, wo die Initiative Fährkultur Köln-Nord heute einen Stand aufgebaut hat. Dembour ist Vorsitzender von Fährkultur Köln-Nord, trägt wie selbstverständlich eine Schiffermütze und blinzelt in die Nachmittagssonne. Hier hat er in den vergangenen Wochen OB-Kandidaten empfangen, um ihnen die Idee einer Fährverbindung zwischen Niehl und Flittard zu erklären.
Heute hört es die Grünen-Kandidatin Berivan Aymaz, deren Interesse aber erst geweckt scheint, als Dembour von schlechten Erfahrungen mit den Behörden berichtet. Die Idee einer Fähre begeistert bislang vor allem die Menschen in Niehl. »Es war genau hier«, sagt Dembour und zeigt auf die von Gestrüpp überwucherte Fläche, die sanft zum Rheinufer hin abfällt, »wo sich noch bis Ende der 60er Jahre die Rampe für die Fähre nach Stammheim befand, bevor der Betrieb nach dem Bau der Leverkusener Brücke eingestellt wurde.« Heute ist es die einzige Stelle in Alt-Niehl, die mit einer hohen Kaimauer gegen den Strom geschützt ist, von der aus man ans Wasser gelangen kann.
Diese alte Rampe will der Verein wieder nutzen, um für Berufspendler eine mit grünem Strom betriebene Fährverbindung von Flittard nach Niehl zu schaffen. »Eine Million Auto-Kilometer können wir so von der Straße nehmen, realistisch kalkuliert«, sagt Dembour. »Eine Ersparnis von ungefähr 200 Tonnen CO2 — jedes Jahr!« Doch dem steht der Naturschutz entgegen, denn die Flittarder Aue ist Landschaftsschutzgebiet. Dembour argumentiert hingegen, weder Fische noch Vögel seien bedroht. Die Bedenken der Naturschutz-Lobby hält er für reflexhaft und ideologisch, sein Verein hingegen wolle die Mobilitätswende, und die Fähre würde wesentlich dazu betragen. Doch während der Zuspruch für die Pläne in Niehl wächst, geht es seit fünf Jahren nicht voran. Berivan Aymaz hat geduldig zugehört, muss dann zum nächsten Termin. Dembour steht mit Mistreitern noch am Stand, und überlegt, ob er Aymaz für die Pläne hat interessieren können.
Zu viel Autoverkehr, Fluglärm, fehlende Geschäfte — es gibt einige Probleme hier
Neben ihm stehen der Vorsitzende des Niehler Bürgervereins Ulrich Thome und dessen Vorgänger Bernd Valjeur. Sie möchten bei einem Rundgang ihr Veedel zeigen — die Rheinpromenade natürlich mit Blick auf den breiten Strom, der an dieser Stelle fast wie ein See erscheint, und mit dem neuen Bouleplatz, »dem schönsten von ganz Köln«, wie Ulrich Thome sagt. Und das romanische Niehler Dömchen, das schon im 13. Jahrhundert Pfarrkirche für das Gebiet bis nach Nippes war. »Daher hat der Niehler Kirchweg auch seinen Namen: Damit die Nippeser den Weg zur Messe finden«, sagt Dembour. Auf der Niehler Straße und im weiteren Verlauf der Sebastianstraße sei einst die römische Straße von Köln nach Neuss verlaufen, am Niehler Dömchen habe man die Pferde gewechselt. »Aus Niehler Perspektive ist Nippes ein Neubaugebiet«, sagt Dembour und grinst.
»Wir haben hier schon mit Messer und Gabel gegessen, da sind die Nippeser noch barfuß hinter den Kühen hergelaufen.« Vielleicht lässt sich mit diesem Bewusstsein besser verschmerzen, dass man heute in Niehl kaum noch irgendwo essen kann, wenn man nicht am heimischen Herd kocht. Wer ausgehen und etwas erleben möchte, muss ins südliche Nachbarviertel fahren. Größere Supermärkte gibt es zwar im südlichen Teil von Niehl — doch das, lassen die Herren durchblicken, gehöre eigentlich nicht richtig dazu.
»Ich muss zugeben: Wenn wir über Niehl sprechen, dann meinen wir eigentlich nur Alt-Niehl«, sagt Bernd Valjeur. »Die Verkehrsbelastung an der Friedrich-Karl-Straße in Neu-Niehl zum Beispiel: das ist nicht unser Thema.« Es komme aber auch wenig »Input« von dort, meint Ulrich Thome. »Wer dort wohnt, orientiert sich eben mehr Richtung Nippes und Innenstadt.«
Vom Niehler Damm aus gehen kleine Gassen ab zur Sebastianstraße, sie heißen Lachsgasse oder Katzengasse. Hier war das frühere Fischerdorf. Kaum jemand in Köln kennt es — und es scheint, dass selbst die Bauaufsicht dieses Viertel vergessen hat. Jeder hat hier nach Herzenslust an seinem Häuschen herumgewerkelt, Außentreppen angebracht, noch einen Schuppen in den Hof gesetzt, darauf vielleicht noch eine Terrasse. Man erkennt winzige Innenhöfe, teils überdacht, zuweilen wie ein Wohnzimmer mit Sofa und Sessel ausgestattet, dazu eine FC-Fahne. Hier lebten noch viele »Ureinwohner«, sagt eine Frau, die gerade zur Haustür herausguckt. Sie selber sei länger aus Köln weg gewesen, dann aber nach Niehl zurückgekommen, wo sie aufgewachsen sei. Auch bei ihr steht ein Sofa unter dem Vordach, dazu Grill, Wäscheständer und jede Menge Spielzeug. »Für unsere Kinder ist das perfekt, die können hier einfach rumflitzen. Ich mag diesen Campingplatz-Style, aber das ist nicht für jeden was.«
Wenn ich nach Niehl komme, fällt mir immer auf: Das stinkt! Ulrich Thome
Früher habe es hier bestialisch gestunken, berichtet Max Dembour. Eine Arme-Leute-Gegend sei das gewesen. »Viele der alten Häuschen sind bis heute stehen geblieben, weil hier kein Marktdruck war«, glaubt er. Das aber ändere sich gerade. »Die Grundstücke erzielen jetzt Preise, die vor kurzem noch nicht möglich waren. Wenn ein Haus nicht unter Denkmalschutz steht, wird es abgerissen.« So zum Beispiel ein Haus an der Sebastianstraße. Die Rollläden sind schon heruntergelassen; ein Plakat der Immobilienfirma an der Fassade zeigt, wie das Haus später einmal aussehen soll.
Von einer rasanten Entwicklung wie etwa in Ehrenfeld ist Niehl aber weit entfernt. Und doch, auch in Niehl ändert sich etwas. Die Zukunft von Ford zum Beispiel, wo laut Ulrich Thome früher »jeder zweite Niehler« gearbeitet habe und dessen Gelände den kompletten Niehler Norden einnimmt, ist völlig offen. Das Unternehmen hat mehrere Siedlungen im Viertel gebaut und betreibt den Sportverein CfB Niehl. »Ford hat auch in den vergangenen Jahren viel für die Jugendarbeit und die Integration von Flüchtlingen im Veedel getan«, sagt Max Dembour, der selbst 25 Jahre bei Ford »Finanz-Fuzzi« war. »Doch mit der wirtschaftlichen Krise wird das weniger.«
Schließlich kommen Max Dembour und Ulrich Thome wieder am Niehler Dömchen an. Gleich neben dem Kapellchen klafft das Loch der Düker-Baustelle. Alle Abwässer aus dem Linksrheinischen, sagt Thome, werden nach Niehl geführt, um durch den Düker ins Klärwerk gepumpt zu werden. Das sei durch die Gully-Deckel an manchen Tagen durchaus zu riechen. »Wenn ich nach Niehl komme, fällt mir immer auf: Das stinkt!« Mit dem neuen Düker solle das aber besser werden, habe man versprochen. Dann kann auch Anja Groß, die ein so großer Niehl-Fan ist, noch besser aufatmen, wenn sie von Nippes nach Hause kommt.
Anja Albert, Anne Meyer, Bernd Wilberg
Tante Emma macht Inklusion
Der »Nahkauf« in Alt-Niehl ist Kölns einziger inklusiver Supermarkt — und Treffpunkt für das Veedel
Herr Reuter sitzt hinter der Kasse, behutsam zieht er eine Flasche Sekt, eine Tafel Schokolade und eine Geschenktüte über das Band. Der hagere Mann mit der hohen Stirn und dem Schnauzer plaudert kurz mit der Kundin, einer älteren Dame, über den kaputten Bankautomaten im Dorf. »Sie können doch auch bei mir Geld abheben!«, sagt Herr Reuter. Wie jeden Nachmittag sammeln sich im Nahkauf an der Sebastianstraße die Einkaufs-Trolleys am Eingang, der Laden ist gut besucht. »Wir sind so dankbar, dass es den Nahkauf gibt«, sagt die Kundin, während sie im Portemonnaie nach dem passenden Kleingeld sucht. »Hier kann ich zu Fuß oder mit dem Rad herkommen, und alle sind so nett!« Herr Reuter nickt, wünscht einen angenehmen Tag, und wiegt die Äpfel der nächsten Kundin. Seit sechs Jahren arbeitet Herr Reuter hier, viele Kunden kennt er persönlich, plaudert kurz, wenn die Zeit es zulässt. »Ich bin überglücklich über diese Arbeit«, sagt er. Zuvor war er mehrere Jahre arbeitslos und fand über eine Maßnahme des Jobcenters den Weg zum Nahkauf nach Niehl. Kasse macht Herr Reuter am liebsten.
Der Nahkauf ist nicht nur der einzige Supermarkt in Alt-Niehl, sondern auch der einzige inklusive Supermarkt in ganz Köln. Über das Inklusionsprojekt des Vereins »Zug um Zug« finden Menschen mit Behinderung und ehemals Langzeitarbeitslose den Weg in den ersten Arbeitsmarkt. Eine zweite Nahkauf-Filiale in Weiden musste im Sommer 2024 aus wirtschaftlichen Gründen schließen.
Wir sind so dankbar, dass es den Nahkauf gibtEine Kundin
Seit neun Jahren leitet Sven Hagen den Supermarkt, vorher war er Geschäftsführer einer Kaisers-Filiale, doch hier hat er einen besonderen Platz gefunden: »Ich mag Alt-Niehl sehr. Unsere Kundschaft zeigt uns immer, wie froh sie ist, dass es uns gibt.« Der Markt besteht seit 15 Jahren, ist eine Tochter von Rewe und mit dem gleichen Sortiment bestückt. »Wir funktionieren wie ein normaler Supermarkt«, sagt Hagen. »Meine Mitarbeiter mit Handicap machen ihren Job genauso gut wie alle anderen und sind dazu noch hochmotiviert und freundlich.«
Von den zehn Mitarbeitern haben fünf eine Beeinträchtigung, drei kommen über ein Eingliederungsprogramm für Langzeitarbeitslose, dazu Sven Hagen und sein Stellvertreter. Die kleinen Besonderheiten der Mitarbeitenden fielen den Kunden kaum auf, sagt Hagen. »Im Veedel weiß jeder, dass wir ein Inklusionsprojekt sind. Wenn ein Kunde aber von außen kommt, merkt er es nicht.« Mitarbeiter Herr Krimmel ordnet gerade LED-Leuchten neu an. Er mag es gerne ordentlich. Alle Leuchten stehen genau auf einer Linie.
Morgen hat er Frühschicht. Damit er pünktlich um 6.30 Uhr in Niehl ist, muss er spätestens um 5.45 Uhr in Vingst, wo er wohnt, losfahren. »Das macht mir nichts aus«, sagt er lachend. »Ich liebe den Job und bin Frühaufsteher!« Herr Krimmel mag es, dass sein Job so abwechlsungsreich ist. Waren einräumen, Kundengespräche führen, Pfandautomaten leeren, kassieren. »Hier bin ich immer in Action!« Nach einer geförderten Ausbildung zum Bürokaufmann hat er beim Nahkauf angefangen. »Ich könnte mir nicht vorstellen, in einer Werkstatt immer das Gleiche zu tun«, sagt der 31-Jährige und runzelt die Stirn, seine Augen bewegen sich schnell hin und her. Er düst durch die Gänge, legt Waren nach, rückt andere zurecht, entfernt leere Papierkartons. Alle Mitarbeitenden werden nach Tarif bezahlt und schätzen den respektvollen Umgang miteinander: »Jeder nimmt Rücksicht auf die Einschränkungen der anderen«, sagt Herr Krimmel.
Trotz allem muss der Supermarkt wirtschaftlich sein. »Wir spüren nicht immer die Tante-Emma-Stimmung, die die Kunden so loben. Wir haben schon auch Druck«, sagt Hagen und muss prompt zum Leergutautomaten rennen, der heute bereits zum dritten Mal streikt. Während der Corona-Pandemie sei ihm so richtig klar geworden, dass der Nahkauf auch eine soziale Funktion erfülle, ein Ort sei, wo sich die Nachbarschaft treffe: »Einige Kunden kamen vier- bis fünfmal am Tag«, erinnert Sven Hagen sich. »Die Kunden wohnen halt alle in der Nachbarschaft und da wird dann schon mal ein Schwätzchen gehalten.« Oder auch drei oder vier.
Anja Albert
Der Bischof am Wochenmarkt
Niehl-Süd ist geprägt von Arbeitersiedlungen und starkem Autoverkehr. Aber es gibt auch preisgekrönte Bauprojekte, prächtige Jugendstilhäuser — und das Veedel ist sogar Bischofssitz
Vor zehn Jahren zog Sabine Große-Wortmann mit ihrer Familie an die Nesselrodestraße. Nicht, weil sie schon immer nach Niehl wollte. »Aber als die Kinder kamen, wurde unsere Wohnung im Eigelsteinviertel zu klein«, sagt sie. Nun lebt die Fotografin mit ihrem Mann, der 17-jährigen Tochter und dem 12-jährigen Sohn in einem Häuschen im Hinterhof, auf drei Ebenen und sogar mit eigenem Garten. »Wir leben gefühlt auf dem Dorf, sind aber in wenigen Minuten in Nippes und in der Innenstadt«, sagt sie.
Mit ihren Nachbarn ist die Familie befreundet; viele seien aus ähnlichen Gründen nach Niehl gezogen wie sie. Wenn Sabine Große-Wortmann mit ihrem Mann, der Lehrer am benachbarten Erich-Kästner-Gymnasium ist, durchs Veedel läuft, bleiben sie alle Naselang stehen, grüßen jemanden oder halten ein Pläuschchen. »Ich mag, dass Niehl noch nicht gentrifiziert ist. Hier wohnen Menschen aus den unterschiedlichsten Milieus.«
Ein Kontrast zur dörflichen Atmosphäre sei aber der starke Autoverkehr auf der Friedrich-Karl-Straße, der Amsterdamer Straße und der Boltensternstraße. »Das sind Schneisen, die das Viertel zertrennen. Und der Fluglärm stört auch, vor allem abends.« Einkaufen könne sie gut im Viertel, aber den Wochenmarkt findet sie etwas klein. »In Alt-Niehl gibt es so schöne Plätze, da könnte der Markt doch ein wunderbarer Treffpunkt für das Viertel werden.« So aber verschlägt sie es — wie viele in Neu-Niehl— nur selten nach Alt-Niehl, obwohl sie es dort mag: »Die kleinen Häuschen in den engen Gässchen sind entzückend!« Doch es gebe dort kaum Geschäfte und Cafés, und kennen tut sie dort auch niemanden. Deshalb orientiert Sabine Große-Wortmann sich Richtung Nippes und Innenstadt, genau wie ihre Kinder. »Für Jugendliche gibt’s hier nicht viel.«
Der Niehler Marktplatz ist eigentlich nur ein asphaltierter, voll belegter Parkplatz — einzig die Plätze an der E-Ladesäule sind noch frei. Markttag ist donnerstags, dann müssen die Autos weg und es werden ganze vier Marktstände aufgebaut. Das »Orient Café« gegenüber hat schon länger geschlossen. Sonntags aber läuten die Glocken der Kirche am Markt. »Sind Sie Architekten?«, fragt Sayad Boyacian, als er die Tür zum Pfarramt öffnet. Boyacianist seit 28 Jahren Sekretär der armenischen Diözese in Deutschland. »Normalerweise sind es Architektur-Fans, die hier klingeln und sich die Kirche ansehen möchten«, erklärt Boyacian und bittet freundlich herein. Die frühere Kirche St. Christophorus, ein Kubus aus Beton und Backsteinen, wurde in den 50er Jahren nach Plänen von Rudolf Schwarz gebaut, dem Architekten, der den Wiederaufbau Kölns nach dem Krieg geplant hatte und den Kirchenbau der Nachkriegszeit in ganz Westdeutschland prägte.
Ich mag, dass Niehl noch nicht gentrifiziert ist. Hier wohnen Menschen aus den unterschiedlichsten MilieusSabine Große-Wortmann
Im Jahr 1989 übergab das Erzbistum die Kirche der armenischen Gemeinde. Nun heißt sie Surp Sahak Mesrop und ist Diözesankathedrale, denn Neu-Niehl wurde zum Bischofssitz: Der Leiter der Armenischen Apostolischen Kirche Deutschlands residiert gleich neben dem Niehler Wochenmarkt. Etwa sechstausend Mitglieder aus dem Großraum Köln habe die Gemeinde, erzählt Boyacian. »Manchmal kommen die Menschen aber auch aus Hamburg oder Süddeutschland, zum Beispiel an Ostern, oder um ihr Kind taufen zu lassen.«
Boyacian führt in den Kirchenraum, der gerade saniert wurde, und zeigt auf die frisch gereinigten Fenster und Kohlezeichnungen des Glasmalers Georg Meistermann. Dann weist er zur Decke mit dem riesigen Rippendach. »Hier haben ja viele Arbeiter gewohnt, und der Architekt wollte, dass die Kirche wie eine Fabrikhalle wirkt, damit die Menschen sich hier zu Hause fühlen.« Das schlichte Innere entsprach allerdings nicht gerade der armenischen Kirchentradition, zumal der Altar nach Westen ausgerichtet war. »Also haben wir die Kirche armenisiert«, sagt Boyacian. Sie verlegten den Altarraum nach Osten und brachten einen Baldachin aus Segeltuch an, der die typische armenische Kuppel darstellen soll. »Wir haben hier eine Synthese aus Orient und Okzident«, sagt Boyacian. Jede Woche kämen etwa fünfzig Kinder zur Samstagsschule, um zu singen, zu tanzen und Armenisch zu lernen. Auch eine Jugendgruppe gibt es, und neulich waren rund hundert Gemeindemitglieder zur Wallfahrt in Kevelaer.
Gegenüber der Kirche liegt die Ford-Siedlung. Die elf Wohnblocks ließ das Unternehmen in den frühen 50er Jahren für seine Arbeiter errichten, mit weiten Grünflächen und Spielplätzen dazwischen. 2010 wurde die Siedlung, die heute der LEG gehört, energetisch saniert, aufgestockt und mit Solaranlagen versehen — ein Bauprojekt, das bis heute als vorbildlich gilt, auch weil die Mieter frühzeitig einbezogen wurden.
Nur ein paar hundert Meter weiter südlich, an der Eichhornstraße gegenüber dem großen Rewe-Markt, befindet sich ein weiteres Zentrum einer Glaubensgemeinschaft. Hier kommt Trubel auf, wenn die Gläubigen zum Freitagsgebet an dem kleinen Minarett vorbei in die Moschee strömen. Die Gemeinschaft der Ahmadiyya Muslim Jamaat stammt aus Pakistan, wird dort aber verfolgt. Ihre Moschee in Niehl gibt es schon seit 1985.
Östlich vom Rewe-Markt schließt sich der »Wohnpark Weidenpesch« an, eine Siedlung mit 750 Wohnungen, die Ende der 70er bis Anfang der 90er Jahre gebaut wurde.Überraschend ruhig ist es dort, die Gardinen sind meist zugezogen. Doch woher hat die Niehler Siedlung ihren Namen? »Wohnpark Weidenpesch klingt halt besser«, vermutet eine Anwohnerin, und fährt mit dem Fahrrad davon.
Zu Weidenpesch wollten einst auch die Anwohner des Drosselwegs gehören, der postalisch eine Zeitlang zum Nachbarstadtteil zählte. Und tatsächlich glaubt man beim Spaziergang durch die Straße, die vom Niehler Kirchweg abzweigt und wenige hundert Meter wieder auf ihn zurückführt, im falschen Viertel gelandet zu sein: Da stehen Jugendstilhäuser mit Sprossenfenstern und hübschen Vorgärtchen, die selbst Riehler oder Klettenberger vor Neid erblassen lassen.
Anja Albert, Anne Meyer
Riviera des Nordens
Am Niehler Strand tummeln sich Tiere, Familien und Szenegänger
Auf einer Landzunge zwischen Mülheimer Brücke und Niehler Hafenbrücke erstreckt sich die Niehler Rheinaue mit dem Cranachwäldchen — ein Relikt naturnaher Auenlandschaft gegenüber dem Industriegebiet. Im Norden ragen die Schlote des Bayerwerks in Leverkusen in den Himmel, davor sieht man die Ford-Werke, im Rücken der Niehler Hafen und das Heizkraftwerk der Rheinenergie.
In der »Weichholzaue« am Rheinufer, die häufig überschwemmt wird, wachsen Erlen, Pappeln und Weiden, landeinwärts folgt die »Hartholzaue« mit Stieleichen, Eschen, Ulmen und Hainbuchen. Spechte und Fledermäuse nisten in Baumhöhlen, und im Winter rasten hier Graugänse. Zwischen den Bäumen und Sträuchern öffnen sich immer wieder kleine Strandabschnitte aus Sand oder Kieseln, Kribben ragen in den Fluss — auch hier im Norden gibt es eine kölsche Riviera! An den Wochenenden ist es hier aber weniger trubelig als am Rodenkirchener Ufer, denn die Niehler Landzunge kann man von Norden aus nur zu Fuß oder mit dem Rad über die Niehler Hafenbrücke erreichen.
In den 70ern stand mitten in der Niehler Rheinaue der Vergnügungspark ›Kölner Tivoli‹
Doch der Artenreichtum der Niehler Auen ist bedroht. Das Wäldchen ist eng von der Industrie umschlossen, Rückzugsräume für die Tiere fehlen, vor allem bei Hochwasser. Über die Namensherkunft des Cranachwäldchens kursieren zwei Theorien: Einige vermuten, dass der Maler Lucas Cranach der Ältere (1472–1553) die Gegend in einem Werk verewigte. Wahrscheinlicher ist, dass das Wäldchen 1878 vom preußischen Gouverneur Ludwig Otto Lucas von Cranach angelegt wurde — nicht zur Naherholung, sondern als Schutzwall aus Schwarzpappeln gegen mögliche Querschläger vom benachbarten Exerzierplatz in Riehl. Von den 60er bis in die 80er Jahre wurde die Fläche mehrfach aufgeforstet, unter anderem während der Bundesgartenschau 1971. Auch ein acht Hektar großer Vergnügungspark entstand damals auf der Halbinsel, der »Kölner Tivoli« mit Achterbahnen, weiteren Fahrgeschäften und Gastronomie. Doch schon 1976 schloss der Park wieder, es rentierte sich nicht.
Ganz verschwunden ist das Vergnügen aus der Niehler Aue jedoch nicht. Am Ufer wird gegrillt, Hunde werden auf den weitläufigen Wiesen ausgeführt, und der hintere Teil des Cranachwäldchens gilt am Abend als Treffpunkt der Cruising-Szene. In den Kribben Richtung Molenkopf liegt ein in der Szene bekannter FKK-Strand.
Anja Albert
Von Niehl in alle Welt
Der Niehler Hafen hat eines der größten Containerterminals am Rhein. Doch nicht einmal alle Kölner kennen ihn
Als der Kran losfährt, fühlt es sich kurz an wie im Fahrgeschäft auf der Kirmes. »Macht Spaß, ne?«, sagt Aziz Ghamam und lacht. Seit 25 Jahren ist Ghamam Kranführer im Niehler Hafen, sein Arbeitsplatz liegt in fünfzehn Metern Höhe. Ghamam verlädt Container aus aller Welt auf LKWs, Züge und Schiffe. Gemeinsam mit seinen Kollegen bewegt er in Spitzenzeiten um die tausend Container am Tag, auch Schrott und Schüttgut wird umgeschlagen. Gearbeitet wird in drei Schichten rund um die Uhr. Heute hat Ghamam Frühschicht.
Welchen Container er aufnehmen und wohin er ihn bewegen muss, auf ein Schiff, einen Güterzug oder den Sattelauflieger eines LKWs, erkennt er an einem Kürzel, das vor ihm auf dem Monitor aufploppt. Es ist ein vollautomatisierter, GPS-gesteuerter Prozess. Er mache seine Arbeit gerne, sagt Ghamam. Trotz des Schichtsystems. »Ich sehe die Sonne über Köln aufgehen.« Blöd sei nur, wenn wenig zu tun sei. In den vergangenen zwei Jahren war das häufig der Fall: Die Umschlagszahlen im Niehler Hafen sind stark gesunken. »Anfang dieses Jahres war die Auslastung wirklich nicht gut«, sagt Markus Pütz, der als Teamleiter am Container-Terminal arbeitet. Das gehe aber allen Häfen so, sagt Pütz. Ukraine-Krieg, Zölle, Schwierigkeiten in der Lieferkette — am Niehler Hafen kann man die Auswirkungen globaler Krisen sofort erkennen.
Ukraine-Krieg, Zölle, Probleme in der Lieferkette: am Niehler Hafen kann man die Auswirkungen sofort erkennen
Der Einbruch erfolgt ausgerechnet in dem Jahr, in dem der Niehler Hafen seinen 100. Geburtstag feiert. Doch die Häfen und Güterverkehr Köln (HGK), eine Tochter des Stadtwerke-Konzerns und Besitzerin von drei Kölner Häfen — das sind neben dem Niehler Hafen der Industriehafen Niehl II sowie der Godorfer Hafen, baut in Niehl schon das nächste Logistikzentrum. Unter dem Namen »Fusion Cologne« wird auf dem Gelände einer ehemaligen Raffinerie zwischen Niehler Ei und Autobahnauffahrt ein 55 Hektar großes Zentrum für »Produktion, Logistik, Forschung & Entwicklung« gebaut. Die HGK unterhält auch die größte Binnenschifffahrts-Flotte Europas.
Die meisten Schiffe, die am Terminal anlegen, fahren nach einem festen Fahrplan von und nach Rotterdam oder Antwerpen und von dort aus gehen die Container »in alle Welt«, wie Markus Pütz sagt. Beim Schienenverkehr fahren Züge beispielsweise nach Hamburg, Bremerhaven, Budapest oder nach Perpignan in Südfrankreich; früher gab es sogar einen Direktzug nach China. Aber der Hafen hat auch für die Versorgung Kölns eine große Bedeutung: »Wichtige Kunden sind natürlich die Fordwerke und der Chemiegürtel mit Leverkusen, Hürth und Wesseling«, so Pütz. Nach Duisburg hat Köln den größten Binnenhafen Deutschlands. Aber viele Kölner kennen den Niehler Hafen nicht, und man bekommt ja auch kaum etwas davon zu sehen — allein von der Hafenbrücke aus kann man einen Blick erhaschen. Er mache öfters Führungen, sagt Markus Pütz. Oft höre er dann Sätze wie: »Ich wusste gar nicht, dass wir in Köln so einen großen Hafen haben.«
Während das Verladen nach einem vollständig digitalisierten System abläuft, ist an anderer Stelle noch Handarbeit gefragt. »Die Container machen einiges mit, die kriegen Salzwasser ab und bekommen beim Verladen auch mal Dellen«, sagt Markus Pütz. Ein Standard besagt, wie weit die Dellen in den Container rein- oder rausragen können. »Wenn das überschritten wird, müssen Teile ausgetauscht oder ausgebessert werden.« Das passiert auch in einer Werkstatt im Niehler Hafen, am Stapelkai ganz in der Nähe der Kräne.
Pütz zeigt das Ersatzteillager. »Da ist so ein Haken, wo die Türstange reingreift, und da die Ecken, wo der Stapler reingeht«, sagt er. Vier Mitarbeiter arbeiten in der Werkstatt. »Die Reparaturen sind so individuell, dass es ein Mensch machen muss«, so Pütz. Ein Nebengeschäft am Container-Terminal ist es, alte Container von Reedern aufzukaufen, sie aufzubereiten umzubauen. »Da wird mal ne Frittenbude draus oder ein Apartment«, sagt Pütz. Die Nachfrage steige: »Der Industrie-Look ist eben beliebt.«
Anne Meyer
Rheinblick ab morgens um sechs
Am Niehler Hafen gibt es ein Lokal, das immer noch ein Geheimtipp ist
Dass ein Teil des Niehler Hafens öffentlich zugänglich ist, weiß selbst in Niehl kaum jemand. Aber warum sollte es einen auch dort hinziehen, wenn aus der Unterführung an der Boltensternstraße, durch die man das Gelände betreten kann, nur schwere LKWs herausschießen? Und doch findet sich dahinter ein Lokal, »Hafen-Gaststätte« steht über dem Eingang, und es gibt sogar eine Terrasse direkt am Hafenbecken. Wer hier unter dem weiten, unverstellten Himmel Platz nimmt, dessen Blick wandert von der Industriekulisse der Container und Kräne über das Hafenbecken nach Norden auf den Rhein.
Das Lokal in dem etwas in die Jahre gekommenen Haus hat vor kurzem Erkan Karakas übernommen. Jeden Tag unter der Woche fährt Erkan Karakas von Porz-Wahn ans andere Ende der Stadt zur Arbeit — schon um sechs Uhr öffnet sein Lokal. »Ich habe mich immer anstrengen müssen«, sagt er und möchte nicht darüber klagen. Aber er wundere sich manchmal, wenn andere von ihren Problemen erzählten. »Für mich sind das oft gar keine richtigen Probleme.«
2004 kam der heute 39-Jährige aus Istanbul nach Köln, er lernte die neue Sprache und suchte einen Beruf, war dann aber erst einmal drei Jahre ohne Wohnung. Im Nachhinein sehe er, dass er ihn dieser Zeit vieles gelehrt habe, sagt Karakas. Im Obdachlosenheim habe er auch Freundschaften geschlossen, eine davon halte bis heute. Schließlich habe er es geschafft, eine Kochlehre zu beginnen, obwohl er eigentlich Mathematiklehrer werden wollte. »Das mit den Zahlen hat mir immer gelegen, irgendwie.« Die Ausbildung zum Koch absolvierte Karakas im Osman 30 im Mediapark, später kochte er im Meta in Poll, einem gehobenen Restaurant. In seinem eigenen Lokal, das er »Erkantine« genannt hat, musste er die Küche dem Publikum anpassen. Es sind vor allem LKW-Fahrer, die Waren zum Hafen liefern. »Die wollen vor allem Schnitzel und Pommes«, sagt Karakas. Immer wieder fänden in letzter Zeit auch Menschen, die nicht dort arbeiten, zu seinem Lokal. »Ich war ganz überrascht, ich hatte ja keine Werbung gemacht — das war Mundpropaganda.«
Und doch war auch hier der Anfang schwer. Es habe immer geheißen, erzählt Karakas, wenn die Häfen und Güterverkehr Köln (HGK), sein Vermieter, die neue Unternehmenszentrale am Niehler Damm beziehe, würden viele Mitarbeiter bei ihm zu Mittag essen. Dann habe in der HGK-Zentrale eine Kantine eröffnet, und jetzt komme kaum jemand von dort zu ihm.
Doch Karakas’ »Erkantine« ist eben nicht nur eine Kantine, sondern auch ein Ort für Partys. »Hier kann es auch mal lauter werden, man stört ja niemanden«, sagt Karakas. »Ich habe schon bis Mitte nächsten Jahres Vermietungen — Hochzeiten, Geburtstage, Firmenfeiern, da ist alles dabei.« Und Karakas hat neue Pläne. Demnächst will er einen Biergarten eröffnen. »Ich glaube, das könnte gut gehen hier: der Rhein, der Himmel, diese Atmosphäre hier — so etwas gibt es ja sonst nicht.«
Bernd Wilberg