Balladen für den Boomer-Safespace: Chris de Burgh am E-Piano

Opa erzählt nicht vom Kulturkrieg

Chris de Burgh war in der Kölner Philharmonie!

Der irische Sänger feierte sein 50. Bühnen-Jubiläum mit einer großen Retrospektive, die er solo bestritt. Claus Lüer, Sänger, Gitarrist, Texter und Produzent der Punk-Legenden Knochenfabrik und Chefdenker, war einst Fan und ist für uns vor Ort gewesen. Hier ordnet er das Konzert im Gesamtwerk von de Burgh ein.

Obwohl ich mich in Sachen Musik als ignoranten Boomer bezeichnen würde, kenne ich doch erstaunlich viele Gen-Z-Künstler. Genaugenommen kenne ich allerdings nur deren Haltung, nicht deren Musik. Exakt umgekehrt verhält es sich mit Bands und Musikern die ich Anfang der 1980er als junger Teenager gefeiert habe. Einer dieser Künstler war damals Chris de Burgh. Mein Englisch war beschissen, keine Ahnung worum es in den Songs ging – ein paar von ihnen waren jedenfalls catchy. Grund genug für mich als 11-Jährigen, sie zu hören und dafür von den meisten Mitschülern für uncool befunden zu werden. Seine Haltung zu welchem Thema auch immer hat mich nullkommagarnicht interessiert.

Rückblickend kann man sagen, dass Chris de Burgh nie ein Zeitgeistopportunist war. Lediglich zwei Alben waren soundtechnisch auf der Höhe der Zeit, nämlich seine größten Erfolgsalben »The Getaway« (1982) und »Man on the Line« (1984), beide produziert von Rupert Hine. Soundtechnisch auf der Höhe der Zeit bedeutete vor 45 Jahren: »1x zu viel schäbigen Digitalhall auf alles bitte!« und ist aus heutiger Sicht eher kein Qualitätsmerkmal. Die Messlatte lag bereits zu Beginn der 80er extrem hoch. Das Debütalbum von Asia hat hier Maßstäbe gesetzt, schlimmer wurde es nicht mehr. Gefühlt war dieser klebrige Sound damals die einzige Eintrittskarte, wenn man im Radio gespielt werden wollte.

Viele Platten aus dieser Zeit habe ich kürzlich nochmal einer Revision unterzogen. Die Alben Chris de Burghs fallen bei mir in die Rubrik langweilig. Damals waren sie für mich eine tolle Einstiegsdroge in die Welt der Musik, heute finde ich die Harmoniefolge der meisten Songs zu vorhersehbar.

Im Vorfeld seines Kölner Konzerts war ich dennoch gespannt, ob es meine favourites von damals in die Setlist seines Akustiksets schaffen würden. Schwer vorstellbar, dass Songs wie »Man on the Line« ohne die markante Basslinie funktionieren.

Die Gen Z wird heute Abend definitiv nicht abgeholt, hier ist Boomer-Safespace.

Dass Chris de Burgh gediegene Ü50-Fernsehformate wie »Volle Kanne« perfekt ausfüllt, bewerte ich durchaus positiv. Mit Blick auf Ansagen während des Konzertes bedeutet das: Keine verstörende Nahostkonflikt Expertise, keine hobbyjuristischen Vorträge über intersektionale Beweislastumkehr, das Patriarchat wird nicht aufgefordert, seine Privilegien zu checken. Kurzum: Die Gen Z wird heute Abend definitiv nicht abgeholt, hier ist Boomer-Safespace.

Ca. 330 Lieder hat Chris de Burgh bis dato komponiert, 27 Lieder aus fünf Jahrzehnten werden in der Philharmonie zum Besten gegeben. Er ist gut bei Stimme, lediglich bei den hohen Tönen wechselt er in die etwas windschiefe Kopfstimme. Nichts wird hier mit Autotune geschönt, ich finde das grundsympathisch. Oft wird der Hauptgesang von Background-Chören aus der Konserve gestützt und kaschiert die gröberen Schnitzer. Die stärksten Momente sind jedoch die Songs bei denen er auf Karaoke verzichtet und nur sich selbst am E-Piano oder an der 12-saitigen Gitarre begleitet.

Es gibt ein Paar Allgemeinplätze zu den aktuellen Kriegen, nichts polarisierendes. Chris de Burgh muss nicht auf Biegen und Brechen Krawall in den sozialen Medien lostreten, das hat er nach all den Jahren nicht mehr nötig. Drei Coverversionen werden noch dargeboten, warum es unbedingt »Africa« von Toto sein muss (Stichwort: Kopfstimme!) bleibt rätselhaft.

Die Hits der beiden oben erwähnten Erfolgsalben werden erwartungsgemäß frenetisch gefeiert. Wenn man sich umschaut in der ausverkauften Philharmonie blickt man ausnahmslos in glückliche Gesichter. Ich empfinde solche Friede-Freude-Eierkuchen-Konzerte mittlerweile als sehr angenehm, hier wird niemand von der Bühne herab belehrt. Die Dauerschleife der ewig gleichen Kulturkampfthemen, die heute von so vielen Bühnen schallt, wird für einen Abend durchbrochen.

Auch wenn »Man on the Line« am Ende nicht auf der Setlist steht: Ich habe nix zu meckern.