Geht doch! Statt des ruralen Konzepts einer Siedlung rund um den Kirchturm eröffnet das beruhigte Panorama nun urbane Weitläufigkeit. (Montage: Christoph Ganslmeier)

Der Dom muss weg!

Hinter uns liegt ein Jahr der Debatte um den Dom. Was wurde gestritten um kulturelles Erbe, um Sichtachsen, um Hochhäuser, die der alten Kathedrale nicht im Weg stehen dürfen! Ein ermüdender Streit, doch nun beflügelt eine neue Idee die Stadt. Nicht die Moderne soll weichen, sondern das Überkommene: Der Dom muss weg. Die Stadtrevue-Redaktion greift die Debatte auf. Wir haben mit Befürwortern und Gegnern gesprochen, Reaktionen der Bürger gesammelt – und machen Umnutzungsvorschläge für die frei werdende Fläche.

Die neue Mitte der Stadt

Warum Köln sich jetzt für den Abriss entscheiden sollte

Zugegeben, der Abschied wird manchem nicht leicht fallen. Zu vertraut ist das Stadtpanorama mit der düster-schwarzen Silhouette des Kölner Doms. Doch beruht diese Anhänglichkeit vor allem auf alter Gewohnheit: Wenn das Monumentalbauwerk erst einmal verschwunden ist, wird sich nicht nur theoretisch erklären, sondern auch unmittelbar erspüren lassen, welch einen Gewinn an Gestaltungsmöglichkeiten, an stadtplanerischen Ideen, an Lebensraum für alle Kölnerinnen und Kölner die Entscheidung für den Abriss des Doms bedeutet.

 

»Peinliche Perfektgotik«

 

Das Verhältnis zwischen Köln und seiner Riesenkathedrale war eigentlich schon immer gestört – zumindest seit der Fertigstellung des Baus im Jahr 1880. »Peinliche Perfektgotik« nannte Heinrich Böll den Dom, von preußischen Herrschern »ordentlich, fix und fertig« gebaut, um dem französischen Feind im Westen ein vaterländisches Monument entgegenzusetzen. Ein nationales Symbol, von den Preußen gebaut: Der Kölner Dom war und ist ebenso wenig der Kern der kölnischen Identität, wie er das bauliche Zentrum der Stadt sein sollte, auch wenn Karnevalsliederfabrikanten und städtische Logo-Beauftragte mangels Ideen und Alternativen immer wieder auf die beiden Türme zurückgreifen.

 

Wenn Köln sich wirklich als Stadt der Vielfalt, der Lebendigkeit und der Kultur begreift, kann nicht ein Protzbau ihr alleiniges Zentrum bilden. Der Abriss bietet Politik und Gesellschaft die längst überfällige Chance, sich jenseits von Einzelinteressen kreativ und unter Beteiligung möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger der Frage zu widmen, welche Aufgabe eine moderne Stadt heute für ihre Bewohner hat. In Zeiten von Mobilität und Globalisierung kommt dem öffentlichen Stadtraum eine immer wichtigere Bedeutung zu – er ist Ort der Zugehörigkeit und des Austauschs mit anderen. Gerade die Stadt Köln, die bisher über kaum einen wirklich funktionierenden öffentlichen Platz verfügt, muss die Gelegenheit nutzen, ihr Zentrum zu einem offenen, kommunikativen Ort machen.

Chance für die Kirche

Natürlich hat auch die katholische Kirche ihren Platz in Köln. Doch selbst für sie dürfte der Abriss des Doms eine Befreiung bedeuten. Längst gibt es in Köln zu viele zu große Kirchen, die Katholikenzahlen gehen zurück, die Kirchensteuereinnahmen sinken. Das Erzbistum arbeitet gemeinsam mit der Unternehmensberatung McKinsey seit 2003 an dem Sparkonzept »Zukunft heute«, die Umnutzung und der Abriss verschiedener kleinerer Pfarrkirchen, wie zum Beispiel der Kirche St. Anno in Holweide, wurden bereits beschlossen. Ohne den Dom hätte die katholische Kirche in Köln jetzt die Chance, sich wieder auf ihre Arbeit in den einzelnen Pfarrgemeinden, in den Schulen und Kindergärten zu konzentrieren.

 

Und nicht zuletzt würden so auch die zwölf romanischen Kirchen Kölns endlich aus dem Schatten des Doms treten. Vielleicht könnte dies sogar die Unesco veranlassen, ihren konservativ-zentralistischen Blick auf Köln und den Dom aufzugeben. Das Ensemble der zwölf das Zentrum umgebenden, in den Stadtraum und seine historische Entwicklung eingebetteten romanischen Kirchen hätte den Status eines Weltkulturerbes sicherlich eher verdient als der Dom.

Freiraum schaffen

»Eine Stadt soll in ihrer Mitte am kostbarsten sein«, hat der große Kölner Stadtplaner Rudolf Schwarz einmal gesagt. Die Mitte Kölns aber wird immer noch beherrscht von einem Sakralbau, der weder im Verhältnis steht zur Bedeutung der katholischen Kirche in Köln, noch – und das ist entscheidend – Ausdruck des Lebensgefühls dieser Stadt ist. Wie die neue Mitte der Stadt gestaltet werden kann und soll, wenn der Dom erst einmal weg ist, muss natürlich gründlich und kontrovers diskutiert werden; vielfältige und widersprüchliche Interessen aus Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft treffen hier zusammen.

 

Wichtiger ist jetzt aber, die Entscheidung zum Abriss zu treffen und damit überhaupt erst den Freiraum zu schaffen für das kreative Nachdenken über die Bedeutung dieses zentralen Platzes im Herzen Kölns.

(Thomas Goebel)

 


 

»Die Zeit ist einfach vorbei«

Eine Bürgerinitiative sieht den Domabriss als Chance für die Stadt. Bernd Wilberg hat sie besucht.

»Wenn man erst mal den Gedanken zulässt, merkt man, welche Chancen in einem Abriss der alten Kirche liegen«, sagt Konstantin Dremme. Der 43-jährige Bauingenieur aus Klettenberg meint nicht irgendeine Kirche. Es geht um den Kölner Dom, das Wahrzeichen der Stadt. Dremme ist Sprecher von Abriss als Chance (AAC), einer Initiative, die für einen »kontrollierten Rückbau des Doms« streitet. Auslöser waren die städtischen Hochhauspläne in Deutz. »Abends in der Kneipe haben wir uns die Köpfe heiß geredet, ob man in Kauf nehmen darf, dass die Unesco danach den Dom von der Weltkulturerbe-Liste streicht«, erinnert sich Dremme. »Aber wir haben gemerkt: Die Hochhäuser stehen nicht im Weg, sondern der Dom!«

 

Ende September wurde ein Info-Stammtisch in einer Klettenberger Kneipe eingerichtet. »Vierzig Leutchen vom Teenie bis zum Rentner« seien gekommen, sagt Dremme. Aber einigen habe man erklären müssen, dass das kein »Quatsch à la Sommerloch-Witz« sei, sondern »seriöse Stadtplanung von unten«. Heute zählt AAC etwa zwanzig Mitglieder, über 850 Unterschriften für den Abriss wurden gesammelt. Die Argumente reichen von »Verbesserung der verkehrlichen Situation rund um den Hauptbahnhof« über »mehr Platz in der Stadtmitte« bis hin zu kirchenkritischen Positionen. Für Dremme – selbst »Katholik, der aber eigenständig denken kann« – ist das kein Manko: »Man kann aus sehr unterschiedlichen Gründen eine richtige Sache unterstützen.«

 

»Der Dom ist nicht mehr relevant im urbanen Alltag«, sagt Karin Schmieder-Lösch, 31-jährige Lehrerin aus Sülz und seit November bei AAC. »Die Zeit ist einfach vorbei, der Dom ist bloß noch Fetisch eines unkreativen Stadt-Marketings.« Bei AAC ist man sich einig, dass Köln mehr zu bieten habe als »einen schwarzen Klotz für Touris und Tauben«. Konstantin Dremme ergänzt: »Wenn der Dom so wichtig wäre für den Tourismus, warum gibt es dann nicht mal einen Aufzug? Als ich das Geschäftsfreunden in den USA erzählt habe, haben die bloß den Kopf geschüttelt. Crazy Old Europe, haben die gesagt.«

 

Bei AAC setzt man jetzt auf die erste Ratssitzung 2006, Briefe an die Fraktionen werden noch vor Jahresende verschickt. Die Forderung: Abriss bis 2008 und »ein gangbares Folgekonzept für ein modernes Köln unter Beteiligung aller bürgerschaftlichen Gruppen«. Eine Aktion vor dem Kölner Dom an Heilig Abend wurde aber abgesagt. »Wir wollen keine provomäßigen Aktionen«, sagt Karin Schmieder-Lösch, »wir wollen Köln nach vorne bringen.« 

 

Info: Eine Homepage von AAC gibt es noch nicht; Kontakt über abriss-als-chance@gmx.de

 


 

»Ein antizyklischer Streich«

Domabriss? Kay von Keitz, Leiter des Festivals »plan – Forum aktueller Architektur in Köln«, im Interview mit Melanie Weidemüller

 

StadtRevue: Wenn man die eigentumsrechtlichen Hürden außer Acht lässt: Was für ein Potenzial steckt in der Idee, sich vom Dom zu trennen?

 

Kay von Keitz: Die Vorstellung, als Ergebnis eines demokratischen Prozesses dazu zu kommen, dass man ein solches Symbol nicht auf­recht erhalten will, ist natürlich interessant: Weil wir uns dann nämlich darüber auseinander setzen müssen, was für ein Symbol das eigentlich ist, das wir da als »identitätsstiftend« betrachten. Man darf nicht vergessen, dass der Dom zwar ein gotischer Entwurf ist, der eigentliche Bau aber im Grunde ein Produkt der deutschen Nationalbewegung Ende des 19. Jahrhunderts. Wenn man sich anguckt, dass die Frauenkirche in Dresden gerade minutiös rekonstruiert worden ist, dass wir über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses reden – und man würde jetzt gerade in Köln, wo nach dem zweiten Weltkrieg kaum Identifikationsmöglichkeiten materieller Art übrig waren, den Dom einfach mal verschwinden lassen ... – das wäre schon eine beeindruckende Geste, eine Art antizyklischer Streich.

 

Wären nicht sofort renommierte Archi­tekten für die Neugestaltung zu gewinnen?

 

Ja natürlich. Es wäre die Chance, ein architektonisches Großwerk zu erstellen, das wiede­rum Gültigkeit beansprucht, vielleicht für die nächsten paar hundert Jahre. Man würde sagen, das Alte hat für uns ausgedient, es ist auch nicht wirklich authentisch, das Ganze hat hier doch eher einen folkloristischen Anstrich, und wir wollen zu einer Art zeitgenössischer Authen­tizität, Ehrlichkeit und Wahr­haftigkeit kommen. Vielleicht stellen wir auch fest, dass hier alles so leer, sowohl sinnentleert als auch gesellschaftlich entleert ist, dass da gar nichts hinge­hört – dass in unserer Mitte nichts ist. Und das wäre das Bild, das vielleicht mal hundert Jahre Bestand haben muss, um dann zu einem neuen Gedanken zu kommen.

 

Das entspräche eher dem jüdischen oder asiatischen Geist als dem katholischen.

 

Die Frage nach der jüdischen Tradition ist sowieso eine interessante: Ob denn die christliche Reli­gion, die seit Jahrhunderten das Zentrum besetzt, diesen Anspruch überhaupt noch verdient hat.

 

Zum Schluss zwei praktische Fragen: Würden Sie eher eine Komplettentfernung befürworten oder den Teilerhalt, z.B. mit einer profanen Umnutzung?

 

Beides. Ich könnte mir eine mutige Umgestaltung vorstellen, aber auch, reduziert aufs wirtschaftliche Denken, wie man das ja allgemein vorfindet, ein solches Bauwerk als Ganzes zu verkaufen. Wir wissen ja, dass man gute und schlechte Verträge machen kann, vielleicht sollte man sich ein Rückkaufrecht sichern und hat z.B. nach hundert Jahren die Chance, sich dieses Bauwerk zu­rückzuholen.

 

Und wie schätzen Sie die politischen Ent­schei­dungs­träger ein? Es soll ja Widerstände geben, insbesondere beim Oberbürgermeister, der sich doch sehr mit dem Dom identifiziert.

 

Ich glaube, die Entscheidungsträger und alle traditionell orientierten Kölner werden na­tür­lich in erster Linie Probleme haben, sich in der Stadt zu orientieren. Ganz praktisch, weil ihnen ja eine Art Stadtmarke fehlt. Beim empfundenen Zentrum der Stadt wird es also Verluste geben. 

 

 

Lesen Sie dazu auch:

 

→Der Dom muss weg! Warum sich Köln für den Abriss entscheiden sollte

 

→Vision 1 — Der Superdom

 

→Vision 2 — Contemplaza

 

→Vision 3 — Der Stadtpark

 

→Das sagen die Kölnerinnen und Kölner

 


 

 →Domabriss gewinnt: Stadtrevue erhält den Kölner Medienpreis