Apocalypse Later
Die verstörendsten Bilder zeigen keine Kriegsgräuel, sondern einen mit US-Marines vollbesetzten Kinosaal, in dem »Apocalypse Now« vorgeführt wird. Das Publikum feuert mit lautem Gejohle die Kameraden auf der Leinwand an, als die, in der berühmten Walkürenritt-Szene, einen Napalmangriff auf ein vietnamesisches Dorf fliegen. Entsprechend dubios muss man den Tatendrang finden, von dem die Soldaten in »Jarhead« offensichtlich erfüllt sind, als sie an den Persischen Golf entsandt werden. Dort haben sie jedoch zur eigenen Frustration nie Feindkontakt. Beim einzigen Beschuss, dem sie je ausgesetzt sind, handelt es sich um friendly fire eigener Verbände. Und als die Soldaten auf eine irakische Fahrzeugkolonne stoßen, ist die bereits von der Luftwaffe vernichtet worden.
Nachdrückliche Szene
Dieser Anblick lässt erahnen, dass Regisseur Sam Mendes’ Karriere am Theater begann, bevor er mit »American Beauty« in Hollywood sensationell debütierte. Es mutet jedenfalls wie ein Bühnenbild an, wenn in einer Totalen ein halbes Dutzend verkohlter Leichen in sitzender Position in einem Kreis arrangiert sind, den der Protagonist schließt, als er sich geschockt dazu setzt. Diese Stilisierung durch die geometrische Figur und die Reduktion auf das Beige der Wüste und das Schwarz der Brandspuren lässt die Szene nachdrücklich wirken; sie rückt den Krieg aber zugleich ins Abstrakte. Der Golfkrieg findet, um Jean Baudrillards viel zitierte Floskel zu paraphrasieren, auch in »Jarhead« nicht statt. Präsent ist er vor allem als entferntes Donnergrollen sowie in Gestalt von Rauchsäulen am Horizont.
Warten auf den Einsatz
Weil der Film, der auf einem autobiografischen Bestseller basiert, konsequent die Perspektive eines Soldaten namens Swoff (Jake Gyllenhall) beibehält, vermittelt die episodische Handlung trotzdem einen unmittelbar wirkenden Eindruck vom Soldatenalltag. Der beginnt mit der lebensgefährlichen Idiotie der Grundausbildung, die Swoff früh erkennen lässt, dass seine Berufswahl ein Fehler war, und setzt sich fort im stumpfsinnigen Warten auf den Einsatz. Angesichts dieser Monotonie, die sich in den Bildern von Kameramann Roger Deakins im allgegenwärtige Grau-Braun der Wüste spiegelt, ist es sogar einigermaßen plausibel, wenn Swoff und Troy (Peter Sarsgaard), der mit ihm ein Scharfschützenteam bildet, den Praxistest für ihr mörderischen Handwerk herbeisehnen – damit nur endlich das Nichtstun vorbei ist.
Das ist ebenso unheroisch wie die Beschäftigung, der sich die Soldaten laut Swoffs regelmäßigen Off-Kommentaren hauptsächlich hingeben: nämlich Masturbation. Wenn die Marines dazu genötigt werden, zur Prävention von Giftgasattacken Medikamente einzunehmen, die nicht ausreichend getestet sind, oder wenn ihnen jedes kritische Wort gegenüber Reportern verboten wird, stellt das wiederum das Pentagon in ein denkbar unvorteilhaftes Licht.
Mit Zynismus gegen das Soldatendasein
Damit bringt »Jarhead« das Höchstmaß an Defätismus auf, das man in Kriegszeiten aus Hollywood erhoffen darf. Während am Ort der Handlung täglich US-Soldaten sterben, kann sich keine amerikanische Großproduktion jene böse Zügellosigkeit erlauben, mit der David O. Russell 1999 in »Three Kings« den Golfkrieg behandelte. Das ist wohl auch der Grund, warum Mendes’ dritter Film, bei allem Zynismus gegenüber dem allgemeinen Soldatendasein, im Hinblick auf die konkreten Hintergründe des Golfkrieges seltsam verstockt wirkt. So wird eine Nebenfigur, die sich gelegentlich mit kritischen politischen Kommentaren zu Wort meldet, regelmäßig von den anderen zum Schweigen verdonnert. Wohl deshalb ist der Protagonist, dessen Darsteller man vor allem als befremdeten Traumwandler aus Richard Kellys »Donnie Darko« kennt, auch als letztlich undurchsichtige Projektionsfläche angelegt. Obwohl die subjektive Erzählperspektive Einblicke in Swoffs Innerstes suggeriert, wird in einer kurzen Rückblende sein Privatleben bezeichnenderweise zum Tabu erklärt, indem mehrere Türen vor der Kamera zugeschlagen werden.
Beliebiger Interpretationsspielraum
Ihm gehe es vor allem »um ein allgemeingültiges Statement, nicht um einen bestimmten Krieg«, meinte Mendes in einem Interview. Er hoffe, dass sein Film noch in zwanzig Jahren funktionieren werde, »wenn kein Mensch mehr durch die aktuelle politische Stimmung beeinflusst sein wird.« Indem er regelmäßig vor Augen führt, wie willkürlich die Soldaten ältere Filme und Songs umdeuten, scheint Mendes dem Publikum gewissermaßen eine Anleitung zu einer ebenso beliebigen Interpretation seines Films mitzugeben.
Entsprechend unbestimmt ist die Reaktion des Protagonisten, als sein Vorgesetzter (Jamie Foxx) ein Flammeninferno am Horizont kommentiert. Der Sergeant scheint zunächst einem verpassten Zivilleben nachzutrauern. Bis er etwas sagt, das einen ähnlichen Irrsinn verrät wie jener berüchtigte Ausspruch von Oberstleutnant Bill Kilgore in »Apocalypse Now«, der sich nach dem Angriff auf ein vietnamesisches Dorf am »Geruch von Napalm am Morgen« ergötzt. Swoffs stummer Blick hindert niemanden im Publikum daran, sich diesem Irrsinn anzuschließen, so wie sich zuvor die Marines in »Jarhead« dem von Coppolas Vietnam-Kriegern angeschlossen haben.
Jarhead (dto) USA 05, R: Sam Mendes,
D: Jamie Foxx, Jake Gyllenhaal,
Peter Sarsgaard, 122 Min. Start: 5.1.