Tanz den Prada-Meinhof
Was singt der da? »Völker hört die Signale/die Zeichen stehen auf Sturm!« Der Refrain der »Internationalen« geht doch eigentlich anders. Die nächsten beiden Zeilen dann total vernuschelt, aber immerhin passend zur Melodie: »Die Glocken, die läuten/das jugendliche Geschrei.« Danach ganz deutlich: »Yeah, Yeah, Yeah« – und das gleich ein paar Dutzend Mal.
Das Kampflied der Arbeiterbewegung im Duell mit dem Kampfgeheul der Popkultur. Die beiden Zitate am Anfang des Albums »Tausend kleine Tänze« der Oliver Twist Kooperation deuten vage an, was anschließend verhandelt wird: gescheiterte Rebellionen, die Ausbeutung der Menschen im Zeichen deregulierter Arbeitsverhältnisse, die Absurditäten des Pop-Betriebs. Es geht um eine Bestandaufnahme: der gesellschaftlichen Verhältnisse, der Situation des Kulturbetriebs und auch der privaten Lebensumstände des Texters und Sängers Thomas Mahmoud: »Frühlingszauber in Cologne City/ Sicherheitscheck – Agenda 2010/ Hubschrauber jagen Großraumkünstler/Mülltonnenrazzia/Flaschensammeln verboten/das letzte Kapital jetzt auch weg/vielleicht ne Zeitung machen/Parolen schreien/aus dem Fenster gucken/Im Mediapark die Züge zählen/weiße Tauben von den Dächern schießen.«
Keine Rockband im engeren Sinne
Zeilen aus »Kirmes Alaaf«: »Das ist mein Versuch auch mal ein bisschen Authentizitätsrock zu machen. Also so ‘ne Musik von Bands wie Tocotronic, Tomte, Kettcar, in dem der Sänger immer erzählt, wie es ihm gerade geht.« Eigentlich kann Thomas Mahmoud mit so einer Musik nicht viel anfangen. Sie entspricht nicht seiner Vorstellung von einem Sound, mit dem man auf die Barrikaden gehen kann, der nervt: »Ich will weder persönlich noch als Band als Identifikationsmodell dienen, mich interessiert das ganze Prinzip Rockband auch nicht.«
Eine Rockband im engeren Sinne ist die Gruppe auch nicht mehr. Darum nennt sich die Oliver Twist Band nun Oliver Twist Kooperation. Das Cover verzeichnet rund zwanzig Mitglieder, von denen sechs den harten Kern des musizierenden Personals bilden. Zwei davon – Thomas Mahmoud und Keyboarder Tycho Schottelius – leben in Köln. Der Rest irgendwo weiter südlich. Nicht allzu weit entfernt von einem saarländischen Kaff namens Merzig, in dem die Band sich vor rund zehn Jahren gegründet hat.
Konzept-Album von 1967
Ließ sich der Sound der Gruppe auf den ersten drei Alben noch als experimentierfreudiger, groovender Indierock einordnen, entzieht sich »1000 Kleine Tänze« jeder griffigen Schubladisierung. Die Plattenfirma legt einem im Beipackzettel den Vergleich mit »Absolutely Free« von Frank Zappa & The Mothers Of Invention nahe: Ein Konzept-Album von 1967, indem Rock’n’Roll, Schlager, Krach, Improvisation und Klassik-Zitate ziemlich unvermittelt aufeinandertreffen. Genauso nah dran: Captain Beefhearts legendäres Album »Trout Mask Replica« (1968). Hätte der Zappa-Vergleich es nicht erzwungen, tief in die Rock-Historie einzutauchen, dann wäre der Kritiker in heimischen Vergleichsregionen geblieben: Frühe Fehlfarben, Der Plan, Goldene Zitronen der mittleren Phase oder einmal über den Kanal: Gang Of Four, frühe Sparks.
Die Zappa-Platte hat Thomas Mahmoud übrigens noch nie gehört, Captain Beefheart gehört dagegen zu seinen Favoriten. Den anderen genannten Bands kann er viel abgewinnen, mag die Vergleiche aber nicht. Schließlich singt er noch in einer anderen Band: Die heißt Von Spar und hat mit ihrem Debüt »Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative« 2004 für Wirbel gesorgt: Plattenvertrag beim Hamburger Groß-Indie-Label L’Age D’Or, Titelbild Spex, Jubel-Arien in den meisten anderen Musikorganen. Mit Von Spar hat Thomas Mahmoud zum ersten Mal am eigenen Leib zu Spüren bekommen, wie schnell man vereinnahmt wird von Leuten, mit denen man eigentlich gar nichts zu tun hat. »Bei manchen Konzerten mit Von Spar stand da so ein cooles Neue-Mitte-Publikum, da habe ich wirklich gedacht, ich bin im falschen Film.«
Weil Mahmoud viel mit Von Spar getourt ist, hat der Rest von Oliver Twist den Großteil des neuen Albums erst mal ohne ihn eingespielt. Er hat die Instrumental-Tracks übernommen, diese digitalisiert, ummontiert, mit Texten versehen und in einem Liverpooler Studio neu zusammengesetzt. »Mensch Thomas, das kannste doch nicht machen, jetzt hör mal auf mit deinem Kopf zu wackeln.« (»Kirmes Alaaf«)
Mit einem Begriff: Collage
Das Resultat kam nicht gut an bei den Kollegen. Die überarbeiteten Tracks wurden wieder überarbeitet. Vor allem aber um Flöten, Trompeten, Xylophon, Piano und jede Menge zusätzlicher Vocals bereichert. Das Ergebnis: eine Vaudeville Show auf Speed, ein dadaeskes Punkrock-Theater mit An- und Absagen, Ouvertüren und Epilogen, mit zahllosen Zitaten und schillernden Parolen: »Tanz den Prada-Meinhof/ im Hochglanzmagazin.«
»Eigentlich wollte ich ein richtiges Konzeptalbum machen. Alle Refrains rausschmeißen und dann 45 Minuten an einem Stück.« Dagegen hat sich der Rest der Band verwahrt. So lässt sich das Ergebnis eher mit dem Be-griff Collage beschreiben. Deren Mehrwert besteht nicht im bloßen Aufeinandertreffen im Prinzip wesenfremder Elementen – in diesem Fall von gesprochenem und gesungenem Wort, von Elektronik und Rock, von Disco und Punk, von Hör-Theater und Tanz-Musik. Sondern wie Max Ernst einmal festgestellt hat, »in dem Funken Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt«.
Von dieser Art Funken gibt es auf dem Album eine ganze Menge. Es sind die Augenblicke, wenn aus »1000 Kleinen Tänzen« acht große Songs werden, die tatsächlich nie wie Authentizitätsrock klingen.
Tonträger: »1000 kleine Tänze.
Eine Oliver Kooperation 2003-2005«
erscheint Ende Januar auf Rewika (Indigo)