Kleinkrieg der Welten

Zurück vom Popcornkino: Steven Spielberg löst mit seinem Film über das Olympia-Attentat von München die erwarteten Kontroversen aus

Solange Hollywoods altes Studio-System bestand, sorgte die Selbstzensur dafür, dass Filme keine Bezüge zu kontroversen politischen Themen enthielten, die öffentliche Stellen zu Sanktionen hätten provozieren können. Und um Absatzschwierigkeiten auf Auslandsmärkten zu vermeiden, wurden internationale Stoffe gerne in Fantasieländer verlegt. Diese Praxis ist zwar mit dem klassischen Hollywood vor bald fünfzig Jahren untergegangen, doch Spuren finden sich noch in Filmen der Gegenwart. So dichtete Steven Spielberg noch 2004 dem Protagonisten seines Films »Terminal« eine Fantasie-Nationalität an und erstickte alle politischen Implikationen, die seine Farce über Einwanderungsbestimmungen und Staatenlosigkeit erwarten ließ, in Kitsch.

Ungewöhnlich: wenig Fantasie, aber höchst brisant

Mit »München« hat sich Spielberg hingegen eines internationalen Politikums angenommen, dessen Brisanz unweigerlich eine Stellungnahme abverlangt – und sei es, weil Vorwürfe der einen oder anderen Seite sowieso unvermeidlich sind. Sein Film über israelische Vergeltungsmaßnahmen gegen die vermeintlichen Organisatoren des Anschlags auf israelische Olympioniken 1972 hat in den USA erwartungsgemäß auch schon vor dem Kinostart Kritik auf sich gezogen. Allen voran David Brooks, konservativer Kolumnist der New York Times, hielt Spielberg Naivität vor, weil er nicht zwischen »konstruktiver« Gewalt des israelischen Geheimdienstes und »destruktiver« Gewalt der palästinensischen Attentäter unterscheide. Ausnahmsweise einmal wurde einem Film also seine Ausgewogenheit vorgeworfen.

Ein Starregisseur nimmt Stellung

Tatsächlich hat der Starregisseur in Interviews klargestellt, woran »Munich« ohnehin keinen Zweifel lässt: dass seiner Meinung nach nur Verhandlungen zu einer Lösung des Nahostkonfliktes führen können. Und als wäre ein prominenter amerikanischer Film über geheimen Gegenterror heutzutage nicht zwangsläufig auch auf entsprechende aktuelle US-Aktivitäten zu beziehen, verdeutlicht Spielberg diesen Zusammenhang, indem er zuletzt die Twin Towers ins Bild rückt.

Im Spiegel der internationalen Medien

Protagonist des Films ist Avner (Eric Bana), ein untergeordneter Mossad-Agent, netter Ehemann und Vater-in-spe, der nach dem Münchner Terrorakt von Israels Premierministerin Golda Meir persönlich beauftragt wird, ein Team anzuführen, das die Hintermänner des Attentats eliminieren soll. Diese Entscheidung wird im Kern damit begründet, dass der jüdische Staat angesichts mörderischer Attacken Handlungsfähigkeit beweisen müsse. Passend zum eigentlichen Thema der tragischen Verstrickung in eine Logik aus Gewalt und Gegengewalt, wählt Spielberg indes von Beginn an eine Erzählperspektive, die gerade die Grenzen der Handlungsfreiheit der Akteure unterstreicht.
So läuft das Münchner Geschehen im Spiegel der internationalen Medien ab, zu deren passivem Publikum vorm heimischen Fernseher auch der (spätere) Protagonist gehört.

Dubios: professionelle Killer?

Weil Spielberg in den Vergeltungs-Sequenzen ausgiebig Suspense aufbaut, indem er den Zuschauern stets einen Wissensvorsprung gegenüber seinen Figuren verschafft, erscheinen Avner und seine Männer auch in diesen Momenten keineswegs als Herren über ihre Handlungen; manchmal ist ihr Vorgehen sogar regelrecht stümperhaft.
Dass es sich bei der Handvoll Männer nicht um Profikiller handelt, erleichtert dem Publikum freilich die Anteilnahme. Doch der Film spitzt, indem er die arabischen Opfer der Vergeltungsattentate mit wenigen sicheren Strichen als ebenso umgänglich wie scheinbar unverdächtig zeichnet, zugleich die ethische Fragwürdigkeit der illegalen Exekutionen zu.
Dieses moralische Dilemma des Protagonisten böte Stoff für eine Charakterstudie, auf die Spielberg sich offenbar im letzten Filmdrittel verstärkt konzentrieren wollte – was aber von der zunehmenden Unübersichtlichkeit eines Plots konterkariert wird, der auf einem Sachbuch mit denkbar strittiger Quellenlage aufbaut.

Dialoge in diffusem Sonnenlicht

Dass »München« aus dem Rhythmus gerät, ist allerdings kaum verwunderlich, denn Spielberg bemüht sich nicht nur um ehrenwerte Differenzierung angesichts eines komplexen und brisanten Themas, sondern widmet sich auch scheinbar Nebensächlichem. So findet er die Zeit für beiläufig-pointierte Dialoge zwischen Avner und seiner Ehefrau. Und in den Szenen, die in Israel spielen, wurde besonders große Sorgfalt auf ein dezentes Set-Design verwandt, das Innenräumen eine stimmungsvolle Patina verleiht, die gelegentlich von diffusem Sonnenlicht untermalt wird.
Gerade diese leicht verstaubte Patina suggeriert den Eindruck jener »Heimat«, das in mehreren Dialogen als Hauptmotiv des Nahostkonfliktes identifiziert wird.

Leise Tragik

Spielberg lässt dabei nicht nur Avners Mutter bekräftigen, dass die Juden gezwungen gewesen seien, sich ihr Stück Land, Israel, mit Gewalt anzueignen, sondern er führt auch einen palästinensischen Guerrillero ein, der seine Militanz ähnlich rechtfertigt. Umso signifikanter ist daher die leise Tragik dieses Films, der seine Figuren im Zuge ihres geheimen internationalen Kleinkrieges schließlich endgültig heimatlos werden lässt.


München (Munich) USA 05, R: Steven Spielberg, D: Eric Bana, Daniel Craig, Geoffrey Rush, 164 Min. Start: 26.1.