Volker Wittkamp: »Fit im Schritt: Wissenswertes vom Urologen« Piper, 240 S., 15 Euro | Foto: Manfred Wegener

»Meine Freundin meinte, Urologie würde zu mir passen«

Zu den vielen Mythen um die nordkoreanische Dikatorenfamilie Kim gehört, dass sie niemals ausscheiden müssen, weil sie ihre Energie restlos für große Taten verbrennen. »Aus medizinischer Sicht ist diese Behauptung fragwürdig«, sagt Volker Wittkamp. Der Kölner ist Urologe und hat nun ein launiges Buch über seine Profession geschrieben. »Fit im Schritt« versammelt praktische Tipps und skurrile Geschichten rund um Blase, Nieren, Hoden, Penis und Prostata.

 

Herr Wittkamp, wie war Ihr Urin heute morgen? Alles in Ordnung?

 

Vorbildlich. Der Urin war nicht zu dunkel, ein schönes Gelb.

 

Wie wird die Färbung denn eigentlich beeinflusst?

 

Durch die sogenannten Urochrome, ein Abbauprodukt unseres Blutfarbstoffs Hämoglobin. Trinkt man wenig oder schwitzt viel, ist der Urin dunkel, je mehr man trinkt, desto heller wird er. Und nimmt man bestimmte Nahrungsmittel zu sich, können auch die für eine Verfärbung sorgen. Das muss man auch als Urologe immer im Hinterkopf haben, wenn Patienten mit der Eigendiagnose Blut im Urin vorstellig werden. Die wenigsten Patienten sagen zur Begrüßung: Guten Tag, ich habe gestern ein Kilo Rote Beete gegessen.

 

Warum sind Sie Urologe geworden?

 

Mein Vater war Autoverkäufer, meine Mutter arbeitete auf dem Amt. Das ist immer noch selten, in meinem Studiengang waren fünfzig Prozent meiner Kommilitonen Ärztekinder. Ich wollte nach dem Abitur etwas Praktisches machen und bin bei der Medizin gelandet. Im Studium fand meine damalige Freundin, dass Urologie zu mir passen würde. Die Leute wären alle locker und lustig. So wurde ich Urologe und habe es bis heute nicht bereut.

 

Das verwundert nicht, es passieren viele lustige Geschichten in Ihrem Buch — etwa die mit der Zahnbürste.

 

Ein junger Mann kam in die Ambulanz und sagte, etwas stimme nicht mit seinem Penis. Ich habe beim Tasten gleich gemerkt, dass da ein ungewöhnlich hartes Stück unter der Haut ist. Er sagte, das sei ein Stück Zahnbürste, das habe er sich im Gefängnis implantiert. Er hat ein kleines Stück von der Zahnbürste abgeschnitten, glattgegefeilt, einen kleinen Schnitt gemacht, sich das Stück Zahnbürste unter die Haut gesetzt und wieder zugenäht. Ein echter Romantiker: Er wollte seine Frau mit einem neuen Intimpiercing überraschen, wenn er wieder rauskommt.

 

Die Überraschung ist nur bedingt gelungen.

 

Das Ganze hat sich entzündet und sah nicht sehr schön aus. Das größte Problem war, dass er das Stück Zahnbürste vorher zwei Tage lang im Mund hatte. »Damit sich der Körper daran gewöhnt«, so seine Idee. Im Mund lungern aber eine Menge Bakterien herum, sein Gedanke war also eher kontraproduktiv. Ich habe ihm empfohlen, das Teil zu entfernen. Er weigerte sich aber, ich wüßte ja nicht, wie lange es gedauert hätte, es da reinzubekommen. Schließlich ist er gegangen. Hoffentlich ist alles gut verheilt.

 

Das ist aber noch ein harmloser Fall. Sie schildern etwa, dass der Kobold, ein Staubsaugermodell, eine Zeit lang als Masturbationshilfe sehr beliebt war.

 

Es gibt eine Doktorarbeit aus den späten 70ern zum Thema »Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern«. Charlotte Roche und Christoph Maria Herbst sind damit vor einigen Jahren auf Lesereise gegangen. Dabei ist das gar nicht so lustig: Es kam damals zu wirklich schlimmen Verletzungen, als Männer ihren Penis in das Saugrohr des Kobolds einführten. Der Ventilator beim Kobold liegt direkt hinter dem elf Zentimeter langen Rohr. Der Durchschnittspenis ist im erigierten Zustand aber 13 Zentimeter lang. Da werden dann zwei Zentimeter vom Penis quasi geschreddert.

 

Geben die Männer zu, wie es zu dem Unfall kam?

 

Natürlich geben die allerwenigsten zu, sich mit einem Staubsauger selbst befriedigt zu haben. Die Geschichten waren eher: Ich habe nackt gesaugt, bin gestolpert und genau im Staubsaugerrohr gelandet. Der Hersteller hat dann irgendwann reagiert und das Saugrohr verlängert. Trotzdem tauchen auch heute immer noch Leute mit solchen Verletzungen auf. Vermutlich sind noch Kobolde der ersten Generation im Umlauf.

 

Laut lachen musste ich bei der Geschichte des Barmanns, der Blasenprobleme hatte.

 

Das ist einem Schweizer Kollegen passiert. Ein junger Mann klagte über wiederkehrende Blasenentzündungen. Mein Kollege hat eine Blasenspiegelung vorgenommen, eine eher unangenehme Untersuchung. Der Patient war aber völlig locker. Als der Kollege ihn daher fragte, ob er schon mal eine Blasenspiegelung gehabt habe, erzählte der Mann, dass er in einer besonderen Bar arbeite. Die Cocktails werden dort dem Barmann mittels Katheter in die Blase injiziert, der pinkelt diese dann dem Gast ins Glas. Bei einem Gin Tonic oder einem anderen säurehaltigen Cocktail bleibt auch gerne mal ein Rest in der Blase zurück, da sind Entzündungen keine Überraschung.  

 

Neben all den lustigen Geschichten erfährt man auch Wissenswertes: Es gibt Impfungen gegen Blasenentzündung, Rauchen erhöht nicht nur das Lungen-, sondern auch das Blasenkrebsrisiko. Was war Ihnen wichtiger: Anekdoten zu erzählen oder Wissen zu vermitteln?

 

Eigentlich war mir die Wissensvermittlung wichtiger, aber so ein Buch muss auch kurzweilig sein. Bei einigen Themen hört der Spaß aber auf: Blasenkrebs zum Beispiel ist keine lustige Sache, das kann tödlich verlaufen. Eine Dialyse ist auch nicht so angenehm.


Sie kritisieren auch die deutsche Gesetzeslage in Bezug auf Organtransplantation. Warum?

 

In Deutschland muss man sich aktiv um einen Organspendeausweis bemühen. Das machen viele nicht. Ich würde für ein Modell plädieren, wie es das zum Beispiel in Österreich gibt. Dort muss man sich weigern, Organspender zu sein. Macht man das nicht, werden die Organe zur Verfügung gestellt. So gibt es viel mehr Organspenden, und die Wartezeit ist kürzer.

 

Es geht Ihnen auch um Enttabuisierung. Vor allem jüngere Männer gehen nicht zum Urologen.

 

Viele Menschen, hauptsächlich Männer, ignorieren Probleme in diesem sensiblen Bereich eher — auch aus Angst. Oftmals machen sich Männer unnötigen Stress: Sie kommen erst sehr spät, weil sie der festen Meinung waren, sie hätten einen Hodentumor und Angst vor der Bestätigung. Und dann haben sie in Wahrheit nur einen harmlosen Wasserbruch. Auch wenn es ein Hodentumor ist, gibt es sehr gute Heilungschancen. Wenn ich mir einen Krebs aussuchen müsste, dann den. Da muss zwar ein Hoden entfernt werden, aber man schafft auch mit dem übrig gebliebenen alles, was nötig ist.

 

Zum Abschluss würde ich gerne noch einen Klassiker hören. Was mussten Sie schon alles aus dem Enddarm oder der Harnröhre entfernen?

 

Um den Enddarm kümmern sich ja eigentlich die Kollegen aus der Proktologie. Aber beim Nachtdienst im Krankenhaus habe ich da auch eine schöne Erfahrung gemacht. Ein Mann hatte einen Deodeckel im Enddarm stecken. Vermutlich wurde er mit der Deoflasche stimuliert, und beim Rausziehen blieb der Deckel stecken. Die Erklärung des Päarchens war aber romantischer: Die Frau wollte ihren Mann routinemäßig im Intimbereich waschen, die Putzfrau aber hatte den Deodeckel fieserweise genau auf dem Waschlappen vergessen. Die Frau greift also nach dem Waschlappen, und kurz darauf ist der Deodeckel auch schon im Enddarm verschwunden.

 

Was landen sonst noch so für Gerätschaften im Enddarm und der Harnröhre?

 

Mein Lieblingsgerät in der Harnröhre war ein Pfeifenreiniger. Im Enddarm macht für mich eine Kommunionskerze das Rennen. Zum Glück kam der Patient in ein katholisches Krankenhaus.