Meine vergebliche Leberschau

Heim & Welt

Niemand kennt die Zukunft. Moderne Prognosen sind auf dem Niveau altorientalischer Leberschau, allerdings tierfreundlicher. Doch auch vegane Prognosen liegen stets daneben. Wer ahnte, dass der FC und Trump so weit nach oben kommen? Da staunt der Trendforscher, und der Laie fürchtet sich. Denn beide Gefolgschaften brüllen rum und wollen, dass es kracht. Ich aber hätte 2017 gern Ruhe. 

 

Die Prognostik hat ein Problem: Die Zukunft kennt man erst, wenn sie keine mehr ist. Nichts sei unmöglich, das ist ein Reklamespruch, der mich noch mehr als andere (»Schon mal über eine Ausbildung im Handwerk nachgedacht?«) schaudern macht. Alles kann passieren? Aaah! Es sagt viel über das Naturell eines Menschen, ob ihn das hoffnungsfroh stimmt oder in Angst und Schrecken versetzt. Ich gehöre zur zweiten Sorte. Angst und Schrecken ist übertrieben. Völlige Verzweiflung trifft es besser.

 

Apropos: treffen. Es heißt, es sei statistisch äußerst unwahrscheinlich, von einem Meteoriten getroffen zu werden. Allerdings nützt die beruhigende Statistik gar nichts, wenn einem trotzdem zwanzig Pfund einer interstellaren Eisen-Silizium-Magnesium-Mischung auf den Kopf plumpsen. So ist es mit allen Unwahrscheinlichkeiten. Es muss gar nicht ein Meteorit sein, es kann auch in zehntausend Metern Höhe gefrorener Dünnschiss aus einem Jumbo-Jet-Klo sein. Da wird dann das Mitleid gleich nach der Beisetzung von schallenden Schenkelklopfern vertrieben. Immerhin ist einem dann ein fester Platz im Gedächtnis der Hinterbliebenen sicher — mit jedem Stuhlgang.

 

Beim Blick auf 365 leere Kalenderblätter wird mir mulmig. Sind die blanken Seiten nur die Firniss der Unwissenheit? Ist es wie beim Rubbel-Los, wo unter der Oberfläche schon die Nachricht wartet »Leider verloren, ätschi«? Ich kann mir einen Jahresbeginn nicht anders als beunruhigend vorstellen.

 

Gibt es auch Beruhigendes? Ja, denn nicht alles ist möglich. Das sei ein logischer Grundsatz, an den sich selbst der liebe Gott hätte halten müssen, meinte der Philosoph Leibniz. Ob den Allmächtigen das gewurmt hat? Man denkt beim Welterschaffen doch, man habe freie Hand. Und dann kommen einem logische Gesetze in die Quere wie dem Häuslebauer die baurechtlichen Auflagen.

 

Dass nicht alles möglich ist, leuchtet ein, weil zumindest vieles nicht zur selben Zeit möglich ist. Es ist zum Beispiel gar nicht möglich, dass ich Gesine Stabroth sowohl mit meinen »ständigen Anrufen zu unmöglichen Zeiten« (im TV läuft »Tiere suchen ein Zuhause«) auf die Nerven gehe und zugleich mich »nie mal melde« (weil meine telepathischen Kräfte versagen, um zu erkennen, dass Gesine Stabroth genau jetzt Laune auf ein Telefonat verspürt, um mir in Form einer Chronik kundzutun, wie es kam, dass ihre »beste Freundin Tine« doch nicht mit ihrem Yoga-Lehrer nach Goa fährt und so weiter.) In ein und derselben Hinsicht A (Telefonterror) und Non-A (Funkstille) — das geht nicht. Das habe ich Gesine Stabroth sofort gesagt. Doch Menschen mögen es nicht, wenn man ihre Behauptungen auf logische Stringenz hin untersucht. Gesine Stabroth wurmt Logik ebenso wie den lieben Gott.

 

Dass nichts unmöglich sei, stimmt aber womöglich in anderer Hinsicht: dass das Nichts unmöglich ist. Dass uns die Werbung derart metaphysischen Trost spende, hätte ich wiederum nicht für möglich gehalten.

 

Derweil denke ich über einen Beruf im Handwerk nach. Es bringt mich auf andere Gedanken. Und die Kalender der Handwerker sind auch schon für das kommende Jahr voll, da verfliegt der horror vacui eines leeren Kalenders wie von selbst. »Ihre Klospülung reparieren? Da muss ich sehen, ob ich in 2017 noch was frei habe«, höre ich dann.