»Ich würde nie in eine Stadt ziehen, <br>die keine Büdchen hat«
StadtRevue: Haben Sie einen Lieblingskiosk?
Sabine Werz: Der Kiosk, auf dem der Roman basiert, ist der Kiosk von Renate Feldmann in der Alten Weyerstraße. Da habe ich früher gearbeitet, der war schon klasse!
Was war das Besondere an dem Kiosk?
Meine Lieblingsbüdchen wurden immer von lebensklugen Frauen geführt. Frauen, die keine gute Ausbildung hatten – die Kioske waren ihre Chance, Karriere zu machen, sich mit kleinsten Mitteln einen Platz zu erkämpfen. Das haben sie geschafft, nicht nur ökonomisch. Renate Feldmann war auch das Gewissen dieses kleinen Straßenabschnitts, sie hat vieles nebenher geregelt.
Zum Beispiel?
Die rotzfrechen Kinder etwa, die andere schlugen und provozierten. Die hat sie rangewunken ans Kioskfenster und auf kölsche Art klargemacht: So geht’s nicht. Das Erstaunliche war, die Kinder hatten Respekt vor ihr. Sie tat, was sich heute keiner mehr traut, nämlich öffentlich zu erziehen – auch das ist ein Stück Straßenkultur.
In Ihrem Roman treffen sehr unterschiedliche Menschen aufeinander – warum in einem Kiosk und nicht zum Beispiel in einem VHS-Kurs?
Im Kiosk maskieren sich die Menschen nicht. Gut, der Angeber gibt auch im Kiosk an, aber da ist jeder der Chef an der Theke. Außerdem war der Kiosk schon als Kind der Ort der Sehnsucht. Einmal im Kiosk eingesperrt werden und dann mal richtig an die Bonbongläser ran, das war mein Traum. Der Kiosk fasziniert mich bis heute: Ein Büdchen kann ein Viertel strukturieren. Hier kreuzen sich viele Lebensfäden, hier treffen sich alle, die gerade Zeit haben: Kinder, Studenten, Rentner, Arbeitslose – und natürlich auch Alkoholiker. Es kommt dann auf’s Viertel an, wieviele Alkoholiker sich versammeln, und auf die Regie der Büdchenleitung. Da gibt es große Unterschiede. Es gibt sehr heruntergekommene Kioske, da hilft auch keine Sozialromantik. Aber es gibt in Köln auch Büdchen, die soziale Orte sind, wo alle Schichten sich treffen. In den Kiosk in der Alten Weyerstraße kamen alle – auch der Werbefilmer mit eigener Firma, der seine beiden Flaschen Pommery am Kiosk kaufte, die standen da für ihn kalt. Es war ihm wichtig, die genau hier zu kaufen, auch er hatte am Büdchen seine Klatschbörse und sein Schwätzchen zur Entspannung.
Was unterscheidet Städte, die viele Kioske haben, von Städten, die wenig Kioske haben?
Ein öffentlicher Mensch zu sein, das spielt in Köln eine große Rolle. Der Kiosk ist ein Stück Öffentlichkeit, man begegnet sich und hat keine Berührungsängste. Ich würde nie in eine Stadt ziehen, die keine Büdchen hat.
Warum?
Ich mag die Möglichkeit, auch spät abends rauszugehen, und da ist noch etwas offen, da ist noch Leben in der Bude. Ich will nicht immer in die Kneipe, nicht immer das intensive Gespräch, sondern das berühmte Schwätzchen übers Wetter. Das ist Lebenshilfe.
Warum gibt es überhaupt noch so viele Kioske in Zeiten von großen Supermärkten an jeder Ecke?
Es gibt Annehmlichkeiten, die einen Kiosk zu etwas Besonderem machen. Die Ware ist teurer als im Supermarkt, aber dafür nimmt der Kioskbesitzer auch Pakete an oder verwahrt den Schlüssel für den Heizungsableser. Ein cleverer Büdchenbesitzer macht mit diesen Dienstleistungen sein Geschäft, das macht ihn unentbehrlich in der Sozialstruktur. Und wenn er es aus Überzeugung tut, weil er gern ein öffentlicher Mensch ist, umso besser, dann ist er dort richtig aufgehoben.
Viele scheitern auch.
Es gibt Existenzgründer, die sind naiv. Die denken, mit einem Büdchen macht man das schnelle Geld, man steht da im Warmen in so einem netten Häuschen rum und muss nur etwas verkaufen. Die verstehen nicht, was ein Büdchen wirklich ist.
Warum haben Sie noch keinen Kiosk aufgemacht?
Die goldene Zeit der Büdchen ist vorbei, das waren die 60er-, 70er-Jahre, als viele Supermärkte keine kühlen Getränke hatten. Die Kioske hatten Kühlschränke – und verkauften zur Fußballweltmeisterschaft kaltes Bier! Das war eine Sensation. Das ist heute viel schwieriger, die Konkurrenz ist zu groß durch die längeren Ladenöffnungszeiten und die Tankstellen. Dieses Wagnis müssen heute vor allem Migranten eingehen.
Also hat der Kiosk keine Zukunft?
Ich erinnere mich noch als gesagt wurde: Jetzt gibt’s Video, jetzt sterben alle Kinos. Das stimmte nicht. Genausowenig werden die Büdchen aussterben – trotz aller Konkurrenz.
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