Living in a Box
Über die Hausdächer hinweg scheint die Wintersonne in einen weitläufigen Innenhof. Dort wird gesägt und gehämmert, gepinselt und geschraubt. Frisch gebrühter Kaffee stößt Dunstschwaden in die kalte Luft. Die Stimmung ist emsig, aber gesellig. Der Grund für dieses lauschige Heimwerken aber ist ein schwerer gesellschaftlicher Missstand: Obdachlosigkeit und die Situation von Obdachlosen in Köln.
Sven Lüdecke möchte etwas verbessern. Dafür hat der Kölner die private Initiative »Little Home Köln« gestartet. Mit der baut Lüdecke »Wohnboxen«, um sie an Obdachlose zu verschenken. Vier dieser Holzhäuschen — nicht hoch genug, um aufrecht darin zu stehen, aber lang genug, um eine Matratze hineinzulegen — hat er bis Anfang Dezember in Köln verteilt. Jeden Monat soll ein weitere Wohnbox dazukommen.
»Ein paar Helfer mehr hatten sich angekündigt«, sagt der 39-Jährige und blickt aus seiner Küche über den Hof. Etwa zehn Freiwillige sind es an diesem Dezembersamstag in Porz-Zündorf. Keinen von ihnen kennt Lüdecke länger als wenige Wochen, einige sieht er zum ersten Mal — und vielleicht zum letzten Mal. Denn die Helfer an den Bau-Wochenenden wechseln ständig. Heute sollen die fünfte und die sechste Wohnbox fertig werden — gezimmert aus Paletten und Spanplatten, versehen mit einem kleinen Fenster und Rollen, isoliert mit Styropor und Rettungsdecken, wie man sie aus Erste-Hilfe-Sets kennt.
Platziert werden dürfen die fertigen Wohnboxen aber nicht im öffentlichen Raum, sondern nur auf privaten Grundstücken. Deren Eigentümer müssen sogar einen Bauantrag stellen. Wenn der Standort der Boxen regelmäßig wechselt, können aber zumindest einzelne Vorschriften der Bauordnung ausgesetzt werden. Aber das obliegt einer Einzelfallprüfung. Lüdecke steht im Austausch mit dem Bauaufsichtsamt. Daher installierte er Feuerlöscher, um den Brandschutzbedingungen nachzukommen, und er verbesserte die Wärmedämmung der Boxen. Viel Bürokratie für jemanden, der eine sehr pragmatische Idee verfolgt.
Unter Obdachlosen hat sich das Projekt schon einen Namen gemacht, mittlerweile liegen etliche Anfragen vor. Wer eine Wohnbox bekommt, entscheidet Lüdecke persönlich. Peter, der seit fast 20 Jahren auf der Straße lebt und nun ebenfalls unter den Heimwerkern ist, besitzt seit wenigen Tagen eine Box. »Ich wollte am ersten Morgen nach dem Aufwachen gar nicht aufstehen«, sagt er. »Es war unglaublich!«
Initiator Lüdecke freut so etwas. »Ich habe das Gefühl, Menschen helfen zu können«, sagt er. Auf seine Idee kam Lüdecke, als er im September einen Fernsehbeitrag über den Künstler Gregory Kloehn gesehen hatte, der in den USA aus Sperrmüll Schlafboxen für Obdachlose fertigt. »Das hat mich beeindruckt«, sagt Lüdecke. »Jeder kann etwas bewirken, wenn er will.« Wenige Tage später begann er mit der Arbeit an seiner ersten Wohnbox. Seitdem nehmen die Dinge ihren Lauf. Erst kamen Fürsprecher, dann Helfer und Spender auf Lüdecke zu. Architekten boten ihm an, Baupläne zu zeichnen. Und wenn es sein musste, zahlte Lüdecke auch das Material und den Transport der Boxen aus eigener Tasche — pro Box knapp 650 Euro. Jetzt möchte Lüdecke einen Verein gründen.
Die Stadt Köln kann diesen Enthusiasmus nicht teilen. »Diese Boxen lösen keine Probleme«, sagt Dirk Schumacher, Leiter des Sozialamts. Obdachlosigkeit sei ein komplexes Problem. Um Obdachlosigkeit dauerhaft zu verringern, brauche es ein System der Wohnungslosenhilfe, unterstützt durch Sozialarbeit. Die Stadt Köln unterhält Obdachlosen-Hotels, außerdem sogenannte Kälte-Busse und Kälte-Gänge. Vor allem aber auch die professionelle Einschätzung des psychischen Zustands Obdachloser. Die Notunterkünfte seien allerdings nicht alle ideal, weil sie etwa keine Privatsphäre zusichern können, schränkt Dirk Schumacher ein. »Aber wir bieten immerhin jedem ein Dach über dem Kopf«. Wohnboxen hingegen könnten dazu führen, dass sich Obdachlose weiter zurückzögen, anstatt sich »den professionellen Strukturen anzunähern«, so Schumacher. Besonders gefährdet seien jene, die »auf Platte« leben, also dauerhaft unter freiem Himmel. Schumacher schätzt, dass es in Köln etwa 200 Menschen sind, Tendenz steigend.
Auch Thomas Specht warnt davor, hohe Erwartungen mit Wohnboxen zu verbinden. Es bliebe das Ziel, Betroffene in professionell geführte Notunterkünfte zu vermitteln, erklärt der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe in Berlin. »Mobile Wohnboxen können nur für eine bestimmte Teilgruppe sinnvoll sein, die sich konsequent weigert, diese Angebote anzunehmen.« Specht hat noch eine andere Sorge: Der Staat könnte sich hinter ausgeprägter ehrenamtlicher Arbeit verstecken. Eine »neue Ökonomie der Wohltätigkeit« dürfe von der Politik nicht als Gegenmodell zur staatlich finanzierten Sozialarbeit gesehen werden, warnt Specht.
Diese Gefahr sieht Schumacher vom Kölner Sozialamt bei »Little Home Köln« jedoch nicht: »Eines hat der Fall ja bewirkt: dass das Problem wieder stärker wahrgenommen wird.« Das ist zwar nicht der Weg, den Boxen-Bauer Lüdecke nehmen wollte. Sein Ziel aber ist dasselbe.