Szenen einer Scheidung
Noch bevor in »Der Tintenfisch und der Wal« ein einziges Bild auf der Leinwand erscheint, sind aus dem Off die Worte »Ma und ich gegen Pa und Dich« zu hören. Dieser Halbsatz, gesprochen vom zwölfjährigen Frank (Owen Kline), bezieht sich auf ein Tennis-Doppel, doch er nimmt zugleich den Frontverlauf vorweg, der sich bald durch die vierköpfige Familie Berkman ziehen wird. Denn als die Eltern sich scheiden lassen, sucht Frank die Nähe und Bestätigung der Mutter, während der vier Jahre ältere Walt (Jesse Eisenberg) vorbehaltlos mit dem Vater sympathisiert.
Es ist bezeichnend, dass Joan (Laura Linney) das Tennis-Match schnell beendet, als ihr Mann Bernard (Jeff Daniels) einen Volleyschlag rücksichtslos auf ihren Körper zielt. Wie sie ihm bald sagen wird, war sie schon seit Jahren unbewusst bereit, ihn zu verlassen. Ihm dient das Tennisspielen indes als Ventil für einen Geltungsdrang, der anders nicht mehr zu befriedigen ist. Denn Bernards Ruhm als Schriftsteller ist verblasst, während Joan erste Publikationen feiern kann.
Protest-Masturbieren gegen Scheidung
Die nervöse Handkamera und die abrupten Schnitte der anfänglichen Tennisszene geben den Rhythmus vor, mit dem Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach zielstrebig auf die Zäsur im Leben seiner beiden jugendlichen Hauptfiguren zusteuert: Kaum hat Frank irritiert gefragt, warum der Vater nachts auf der Wohnzimmercouch schläft, und kaum hat Walt einen Ehekrach mitangehört, schon teilen die Eltern ihre Trennung mit. Bald darauf müssen die Brüder abwechselnd zwischen der neuen Wohnung des Vaters und dem ehemaligen Elternhaus, in dem die Mutter weiterhin wohnt, pendeln.
Baumbach erzählt diese melancholische Geschichte mit meisterlicher Ökonomie, indem er in knappen Impressionen vor allem die Reaktionen der Kinder spiegelt. Obwohl die locker verbundenen Szenen kaum noch kürzer ausfallen könnten, erlaubt jede einzelne, wie nebenbei, Aufschluss über Entwicklungen, die von der Handlung bloß angedeutet werden. Gerade der schnelle Blick auf Nebensächlichkeiten suggeriert wunderbar beiläufig den kleinkarierten Irrsinn, der wohl unvermeidlich ist, wenn zwei Menschen sich nach sechzehn Jahren trennen: So versteckt Joan nachts unterm Kinderbett Bücher, um zu verhindern, dass Bernard sie beim Auszug mitnimmt. Die kuriosen Aktionen, mit denen der jüngere Sohn Frank auf die Scheidung reagiert (Protest-Masturbieren, wüste Schimpfkanonaden), sind gerade deshalb so rührend wie komisch, weil sie von den Eltern zunächst unbemerkt bleiben oder ignoriert werden.
Unreflektiertes Nachplappern als Reflexion der Kindheit
Baumbach reflektiert in seinem vierten Film eigene Kindheitserfahrungen. Aufgewachsen im selben Teil Brooklyns, in dem diese kleine Independent-Produktion spielt, war er 14, als sein Vater, ein Schriftsteller, und seine Mutter, eine Filmkritikerin, sich scheiden ließen. In einem Interview hat der Filmemacher erwähnt, dass in seiner Jugend die eigenen Geschmacksurteile von den literarischen Vorlieben des Vaters dominiert wurden. Weil der ältere Sohn Walt die Meinungen seines Vaters ständig unreflektiert nachplappert, darf man annehmen, dass der ebenso blasierte wie unsichere Teenager bis zu einem gewissen Grad ein Alter ego Baumbachs ist. Das »Coming of Age« dieser Figur rückt folglich zunehmend ins Zentrum des Films, dessen Titel sich auf ein Kindheitserlebnis von Walt bezieht.
Seine unaufdringliche Wirkung gewinnt »Der Tintenfisch und der Wal« dagegen gerade aus der Distanz, die Baumbach gegenüber all seinen Figuren beibehält. Sie erlaubt einerseits Ironie, unterstreicht andererseits aber auch die zunehmende Vereinzelung aller Beteiligten inmitten der familiären Turbulenzen.
Leise Sympathie für einen schamlosen Snob
Dass Walt und Bernard öfter zu Wort kommen als Frank und Joan hat dabei vor allem zur Folge, dass ihre Schwächen deutlicher ins Auge fallen. Das gilt vor allem für die Schamlosigkeit, mit der Bernard die Bewunderung Walts ausnutzt, um die schwindende Anerkennung der Öffentlichkeit und Joans zu kompensieren. In ihrem Narzissmus wirkt diese Figur ein Stück weit wie eine Karikatur. Aber eben nur ein Stück weit. Baumbach und Jeff Daniels wecken nämlich auch für sie ganz leise Sympathie: In einem seltenen Gefühlsausbruch hält Bernard seiner Ex-Frau vor, es sei »wahre Folter« gewesen, dass sie in den letzten Ehejahren gezielt Spuren ihrer Liebschaften gestreut habe. Und während man ahnt, was Joan angesichts des aufgeblasenen Snobismus’ dieses Mannes zu erdulden hatte, gibt es plötzlich einen Grund, auch mit ihm ein bisschen Mitgefühl zu haben.
Der Tintenfisch und der Wal (The Squid and the Whale) AU 04, R: Noah Baumbach, D: Jeff Daniels, Laura Linney, Jesse Eisenberg, 81 Min. Start: 11.5.