Im Fantasialand der Malerei
Gut getrommelt! »Jutta Koether ist eine der zentralen Figuren für die gegenwärtige Malerei«, beginnt der Text auf der Einladung.
Nach den kargen Konzeptausstellungen der letzten Jahre, dem dokumentlastigen »Projekt Migration« versprach das endlich mal wieder »richtige Kunst zum Anschauen«, von einer Künstlerin aus Köln – und dann das. So gespalten, wie auf dieser Eröffnung, war das Publikum selten. Meinem Malerfreund, der neben mir das Kölschglas leert, steigt die Empörung ins Gesicht: »Malen soll das sein? Da sieht man es mal wieder. Alles Klüngel, Netzwerkerei! Wäre sie nicht auch Kritikerin, hätte man solche Bilder hier nicht ausgestellt.« Er strebt der Freiluft-Theke auf der Hahnenstraße zu, um seinen Ärger noch einmal hinunterzuspülen. Er hat genug gesehen. Ich bin mir da nicht so sicher, nehme einen letzten Schluck und eile noch einmal die Treppe hinauf. Schnell, denn der Theatersaal wird gleich für das Buffet geräumt.
Finsteres Setting
Dunkel bepinselte Leinwände hängen ungerahmt an der Wand, eine schwarze Fahne über der Tür, auf der düsteren Bühne sind Monitore und schwarze, schräge Stellwände platziert. Stroboskop-Licht erschwert die Sicht auf die daran hängenden Blätter: schwarze Gouachen, schnelle Silberstiftskizzen auf dunklem Grund, einige in Gießharz getauchte Leinwandobjekte. Den Raum erfüllt ein wummernder Soundteppich; auf einem der Monitore sieht man Jutta Koether hinter ihrer Hammondorgel und Steven Parrino an der
E-Gitarre, die ihn erzeugen. Zum »Dark Star« hatte Koether den kürzlich verstorbenen Künstler mit Gothic-Affinität im New Yorker Artforum gekrönt. Gothic, dieses sub- und popkulturelle Phänomen, könnte ein Schlüssel zu dem finsteren Setting sein. Die Filmcollage zeigt die 1958 geborene Jutta Koether bei Lesungen und Musikperformances in den frühen 90er Jahren, als sie noch in Köln lebte und bereits Bekanntheit als Spex-Redakteurin errungen hatte. Auftritte gemeinsam mit Kim Gordon (»Sonic Youth«) in New York,
wo sie seit 1993 arbeitet, eröffnen eine Ahnung von ihrer mehrgleisigen Arbeit.
Gerne hätte man darüber mehr erfahren, doch die Ausstellung will ihre Malerei zeigen – und zwar als offenes Verfahren von Improvisation und Versuchsanordnung.
Tatsächlich hat Koether nicht Formbewusstsein und Geschlossenheit im Visier, sondern ist bemüht, installative Stimmungsbilder oder Bedeutungscluster zu erzeugen: Anklänge, Referenzen, inhaltliche Anspielungen durchziehen die ganze Ausstellung. Allein die Ergebnisse sind konventionell – wie die frühe rote Serie von Adaptationen historischer Sujets im Keller zeigt. Malerisch grob und unverfeinert, entstanden sie in Spannung zu künstlerischen Vaterfiguren. Doch formal weisen ihre Pinselschwünge nie über die alten Neuen Wilden hinaus. Man liest: »Cézanne, Courbet, Manet, van Gogh, ich«. Botschaft verstanden? Werk verstanden! Ich persönlich habe es gerne etwas offener.
Improvisation, Versuch und Verweigerung
Das ist das kuratorische Manko der Show: Sie behauptet die Wichtigkeit der Malerei, meint aber das Verfahren von Improvisation, Versuch und Verweigerung – ohne das formale Ergebnis zu befragen und es in den Entstehungskontext zu rücken. Da wird Beurteilung zur Glaubenssache. Unbedingt hätte man Koethers literarische, tagebuchartige Texte vorstellen müssen, die eigenwilligen Musikaufnahmen und Kritiken, die Phänomene am Rande der Kunst, der Musik, des Films mit Reflexionen über die Spielregeln des Betriebs verknüpfen. Koether formulierte früh ein undogmatisches
»Fem-Trash-Manifest«, kitzelte aus Martin Kippenberger die schönsten Selbstäußerungen heraus. Ich erinnere mich an ihre euphorische Neubewertung des surrealistischen Kitschiers Pavel Tschetlitchev. Stattdessen wird dem Staccato malerischer Improvisationen in konventioneller Form ein ganzes Haus eingeräumt.
Das trifft selbst für den Kern von »Fantasia Colonia« in der Halle im Erdgeschoss zu: Die in 15 Jahren entstandenen Leinwände sind an eine mäandernde gläserne Stellwand gehängt, so dass man nicht nur die Rückseiten, sondern auch Durchblicke auf die Wände erlebt.
Die aufwendig coole Inszenierung wertet viele der schnell, grob und lasierend gemalten Bilder auf. So zahlreich die Anspielungen auch sind (auf Punk, Rock, Gegenkultur, auf die Geschichte der Avantgarde, auf Heinrich Fuessli, Maurice Denis und das kölsche Lokalkolorit) –
so wenig erkennt man ein Bemühen um formale Innovation und Experiment.
Kitsch und Trash
Fast wie bei einem Outsider-Künstler tritt vor der Intensität des Ausdruckswillens alles andere zurück. Einsam ragt eine neue Serie kleinformatiger Objektbilder hervor: schwarz, hochglänzend und mit Silberfolien, Ketten, Spiegeln, Schmuckaccessoires, Strasssteinen und zuweilen Inschriften überzogen, beziehen sie ihren Charme aus dem raffinierten Wechselspiel von Kitsch und Trash. Am stärksten tritt die Ausstellung auf, wo sie malerische Qualitäten zur Diskussion stellt und z.B. der frühen Serie »massen« (1990/91) ein Kabinett einräumt. Und paradoxerweise dort, wo sie gar nicht erst Malerei behauptet und im Theatersaal das Prozesshafte, Fragmentarische und Unfertige in der Vordergrund rückt.
Die Ausstellung ist ein Statement für eine ästhetische Praxis jenseits der Kunstbetriebspfade, als Retrospektive kommt sie zehn Jahre zu früh – doch für die Kölner Szene, die immer öfter neidisch nach Berlin schielt, zehn Jahre zu spät. Während die Geladenen hinauf zum Büffet strömen, eile ich nach draußen. Vielleicht gibt es noch ein letztes Kölsch, doch auf der Hahnenstraße hat sich der Rest der Szene schon aufgelöst, die Theke ist geschlossen.
Kölnischer Kunstverein
Hahnenstr. 6, Di-So 13-19 Uhr, bis 13.8.
Publikation: Im DuMont Verlag
erscheint ein umfassender Katalog mit
Texten von Diedrich Diederichsen,
Isabelle Graw, Michael Kerkmann u.a.