Auf ein Kölsch nach Manhattan
»Köln und die USA«, freut sich Fritz Schramma, »rücken sehr viel enger aneinander!« Das glaubt der Kölner OB, weil Continental Airlines seit Mitte Mai von Köln nach New York fliegt – in acht Stunden und ohne Umsteigen. Die Stadtprominenz jubelt und manche sehen Köln bereits auf Augenhöhe mit New York. Doch wie nah sind sich die beiden Städte wirklich? Ich will das herausfinden. Und habe 22 Stunden Zeit dazu.
23. Mai 2006. Frankfurt am Main.
Die Geschichte meiner Reise beginnt allerdings schon vier Tage vor dem Abflug – in einer großen Schalterhalle im US-Konsulat in Frankfurt. Urlauber dürfen in die USA ganz normal mit ihrem Reisepass einreisen. Weil ich aber als Journalist unterwegs bin, brauche ich ein Visum. Ob ich schon mal in einem Krieg gekämpft habe, wollen die Amerikaner von mir wissen. Ob ich mich mit Spreng- oder Nuklearstoffen auskenne. Ganz schön unheimlich, so viel Anti-Terror-Bürokratie. Ganz schön freundlich: Die Konsulatsmitarbeiter.
27. Mai 2006. Flughafen Köln/Bonn. 10 Uhr.
Kurz vor dem Start. Die Stewardessen sind nett, sehen aus wie Schauspielerinnen der Fernsehserie »Sex and the City« und sprechen auch so. Der Flug ist nicht ausgebucht, ich habe ziemlich viel Platz. Mit an Bord sind 23 missionierende Baptisten aus Texas. In Siegburg haben sie Schülern erst von Texas und vom Basketball erzählt und sie dann zu Bibelkreisen eingeladen. Köln finden sie »amazing«, »gorgeous« und wirklich »wonderful«.
Im Bordfernsehen zeigen sie eine Weltkarte, darauf eine lange, eine sehr lange Linie – unsere Reiseroute. »Was mache ich hier eigentlich?«, denke ich. Zeit, die Uhr umzustellen. In New York tickt sie sechs Stunden früher.
Über der Küste von Grönland. 9 Uhr (New Yorker Zeit).
Aus dem Fenster sehe ich Eis: Grönland. Der Anblick ist überwältigend. Bei so viel Natur ist es an der Zeit, über die ökologischen Folgen meiner Reise zu grübeln. Auf Hin- und Rückflug verursache ich allein 2340 Kilo Kohlendioxid. Das ist etwa so viel, wie ein Mittelklassewagen in einem ganzen Jahr produziert. Ausrechnen kann man solche Zahlen auf der Internetseite atmosfair.de.
Landeanflug auf Flufhafen Newark. 13 Uhr.
Köln und New York auf Augenhöhe? Das, was ich aus dem Flugzeugfenster sehe, hat mit Köln nicht viel gemeinsam. Die Autobahnen sind doppelt so breit wie die A3, die Autos doppelt so groß wie ein Ford Focus. Und riesige Plakate, auf denen Gott gebeten wird, das Land zu segnen, die gibt es bei uns auch nicht. Die Stadt wird voll sein, es ist langes Wochenende, am Montag ist »Memorial Day«. So langsam werde ich nervös. Mein Zeitplan ist knapp. In Manhattan will ich eine Kneipe besuchen. Die heißt zwar »Loreley«, ist aber in Wirklichkeit ein kölsches Lokal.
Der Flughafen Newark bekam nach dem 11. September den Beinamen »Liberty«. Bei der Einreisekontrolle werden meine Zeigefinger eingescannt, dann werde ich fotografiert. Die Behörde, die sich das ausgedacht hat, heißt »Amt für Sicherheit des Heimatlandes«. Von einem Foto an der Wand lächelt George W. Bush.
Auf dem Weg nach Manhattan. 14 Uhr. Tränen im Bus.
»Cologne? Ist das eine Stadt?«, fragt Malcolm, der Busfahrer. Seit ein paar Monaten fährt er Touristen vom Flughafen in die Innenstadt. Vorher arbeitete er für einen Kurierdienst. Ein Mann neben mir fragt Malcolm, wo er am 11. September gewesen sei. Als das erste Flugzeug in den Nordturm raste, so sagt Malcolm, habe er gerade ein Paket in den 48. Stock des Gebäudes gebracht. Er rannte die Treppen runter wie der Teufel und schaffte es nach draußen. Wenig später brach der Nordturm zusammen. Der Mann neben mir weint. Seine Tochter saß in einem Flugzeug von Florida nach New York, als er die Anschläge im Fernsehen sah. Erst nach einer Stunde wusste er, dass seine Tochter in Sicherheit war. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich hechte aus dem Bus, weiter komme ich jetzt nur mit dem Taxi. Die Zeit drängt.
New York City. 15 Uhr. Chaos im Taxi.
New York ist voll, schwül und laut – hier denkt bestimmt niemand an Köln am Rhein. Jassinder, der indische Taxifahrer, hat jedenfalls noch nie etwas davon gehört. »Ist das ein Parfüm?«, fragt er. Aber auch New York kennt er nicht wirklich. Von der Rivington Street hat er noch nie etwas gehört. Dort liegt die »Loreley«. Er fragt einen Kumpel per Handy nach dem Weg, ohne Erfolg. Als Jassinder mir einen zerfledderten Stadtplan reicht, mache ich mir Sorgen. »Wir schaffen das nur gemeinsam«, sagt er und schaut mir tief in die Augen. »Wenn du da hin willst, musst du es auf der Karte finden.« In genau neunzig Minuten muss ich wieder am Flughafen sein.
New York City. 15.30 Uhr. Kölner Kneipe.
»Was für eine bescheuerte Idee«, haben die Leute im Flugzeug gesagt. »Da hast du nur ein paar Minuten in New York und gehst in eine Kölner Kneipe.« Vielleicht haben sie Recht, die Leute. Das Kölsch jedenfalls schmeckt ziemlich frisch, 6000 Kilometer von seiner Heimat entfernt. Michael Momm ging vor zwanzig Jahren von Köln nach Amerika, 2003 eröffnete er die »Loreley«: mit Kölner Koch, Kölsch und Karneval. »Das Konzept kommt an«, sagt Momm. Aber: »Köln ist nicht wirklich bekannt in den USA.« Das ist wohl auch der Grund, warum er sein Lokal »Loreley« genannt hat und nicht etwa »Beim Köbes«. Aber Momm will Köln in Amerika populärer machen. Zurzeit plant er eine Filiale in Washington.
In New York scheint die Sonne bei 28 Grad, in Köln (12 Grad) fangen gleich die Tagesthemen an. Nach einer halben Stunde »Loreley« sitze ich wieder im Taxi. Mir bleibt nur noch wenig Zeit, überall stauen sich die Autos.
Wieder am Flughafen. 17.15 Uhr. Sicherheitskontrolle. »Langanhaltende Wirkung – 24 Stunden«, steht auf meinem Deo. Als ich an der Sicherheitskontrolle das Jackett ausziehen muss, merke ich, dass das eine dreiste Lüge ist. Wegen des Feiertages sind die Kontrollen besonders streng – Alarmstufe Gelb. »Gürtel ab, Schuhe aus«, schreit eine Frau.
Im Flugzeug nach Köln. 20.15 Uhr. Irgendwo über Kanada.
Es gibt eine alte Indianerweisheit: Der Körper darf nicht schneller reisen als die Seele. Seit ich wieder im Flugzeug sitze, hat sich mein Körper verabschiedet. Das Gefühl von Raum und Zeit – völlig verloren. Mir macht Angst, was ich in den letzten Stunden zu mir genommen habe: drei Kölsch, zehn Dosen Cola, fünf Becher Kaffee und fünf Tabletts Flugzeugessen. Dazu zwei Gläser Wein. Meine Augen tun weh, ich bin müde, in Köln ist es jetzt 2.15 Uhr in der Nacht. Die anderen Passagiere sind hellwach. Draußen leuchtet eine schöne Insel, drinnen redet ein nettes Ehepaar aus Kalifornien unentwegt auf mich ein. Als Drew, der Ehemann, mir seinen besten Zaubertrick zeigt, schwinden mir die Sinne.
Zurück in Köln. 8 Uhr (Kölner Zeit). Mistwetter.
Irgendwann bin ich eingeschlafen, irgendwann mit hämmernden Kopfschmerzen wieder aufgewacht. In Köln ist es genauso nass und kalt wie vor 22 Stunden. Köln und New York sind jetzt nur noch acht Stunden voneinander entfernt. Aber als ich in mein Bett falle, ist New York unendlich weit weg.