Ruheräume für Kühe
»Für meinen Onkel ist das, was ich tue bis heute nicht nachvollziehbar. Für ihn bin ich jemand, der sich dazu entschlossen hat, kein Auto mehr zu benutzen und zukünftig alle Wege zu Fuß zurückzulegen.« Peter Daniel Bruchhaus (34) ist einer der Landwirte in Nordrhein-Westfalen, die in diesem Jahr einen Antrag auf Förderung für ökologischen Landbau gestellt haben. Die BSE-Krise war für Bruchhaus nur der letzte Anstoß dafür, seinen Betrieb zukünftig nach den Auflagen der ökologischen Anbauverbände zu bewirtschaften: »Die BSE-Krise war zwar nicht ausschlaggebend, aber sie erzeugte eine Stimmung, die mich dazu brachte, meine ökologische Überzeugung konsequent umzusetzen und sozusagen amtlich zu machen.« Und da ist er nicht der Einzige. Die Krise hat viele Landwirte zum Nachdenken gebracht. 360 Anträge wurden 2001 in Nordrhein-Westfalen gestellt. Bedenkt man, dass die Gesamtzahl der ökologisch bewirtschafteten Betriebe in NRW bis dahin bei 700 lag, ist so etwas wie ein Boom – zumindest im Jahr nach dem BSE-Skandal – nicht mehr von der Hand zu weisen.
Auch die Bundes- und Landesregierung reagierten auf den Skandal. Im Frühjahr wurden die Fördermittel in NRW für neue ökologische Betriebe während der zweijährigen Umstellungsphase von 400 auf 800 Mark pro Jahr und Hektar verdoppelt.
Die Zunahme der Öko-Landwirte könnte den Beginn des Paradigmenwechsels in der deutschen Agrarpolitik markieren, den Renate Künast, wenige Monate nach ihrem Amtsantritt im Januar, ankündigte. Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke trat als Folge der BSE-Krise zurück, und als erstes Zeichen der Agrarwende wurde der Verbraucherschutz als eigener Schwerpunkt in den Namen des Ministeriums aufgenommen. Seitdem heißt es Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, und Renate Künast wird in der Öffentlichkeit als Verbraucherschutzministerin bezeichnet. Für die neue Agrarpolitik hat die Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2002 zusätzliche Mittel in Höhe von 150 Millionen Mark bewilligt. Rund die Hälfte dieses Geldes fließt in das »Aktionsprogramm Öko-Landbau«. Ab 2003 sollen dann auch mit Hilfe des neuen Modulationsgesetzes, über dessen Entwurf sich Bund und Länder bereits geeinigt haben, Mittel aus dem Etat der Europäischen Union verstärkt für eine umweltverträgliche Landwirtschaft genutzt werden. Die Beträge, um die es hier geht, sind jedoch im Vergleich zu denen, die für die Subventionierung der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden, weiterhin verschwindend gering. Auch mit der Einführung eines Modulationsgesetzes werden über 90 Prozent der Fördermittel in die konventionelle Landwirtschaft fließen. Von den verbleibenden 10 Prozent kann dann ein Bruchteil verstärkt für den Öko-Landbau eingesetzt werden. Die Entscheidung über den Einsatz dieser Gelder bleibt aber weiterhin den einzelnen Bundesländern überlassen.
In NRW scheint der Plan, den ökologischen Landbau für Landwirte attraktiver zu machen, zu greifen: Die Gesamtfläche, die ökologisch bewirtschaftet wurde, betrug hier bislang 23.000 Hektar. Alleine 2001 kamen 13.000 Hektar hinzu. Bei diesen Flächen handelt es sich nicht nur um den klassischen Ackerbau von Weizen und Gemüse sowie den Obstanbau, sondern zu einem Großteil um Weideland.
Der Hof von Peter Daniel Bruchhaus in Solingen zählt mit einer Fläche von 20 Hektar eher zu den kleineren Öko-Betrieben. Er ist jetzt Mitglied des ökologischen Landbauverbands Bioland. Der Verband berät Landwirte vor einer Umstellung und betreut sie während der zwei Jahre, in denen sie bereits nach ökologischen Richtlinien wirtschaften, ihre Produkte aber noch nicht als Bio-Waren vermarkten dürfen. Rund die Hälfte der in diesem Jahr bei Bioland hinzugekommenen Höfe halten Rinder und betreiben Fleisch- oder Milchwirtschaft. Bruchhaus’ Milchviehbetrieb ist ein typisches Beispiel für einen Hof mit idealen Voraussetzungen für eine Umstellung. Die Größe ist mit 20 Milchkühen überschaubar, eigenes Weideland ist vorhanden, und auf drei Hektar Ackerfläche werden im Wechsel Mais und Klee als Futter angepflanzt. Den Stall baute der Landwirt bereits vor einigen Jahren so um, dass er den ökologischen Richtlinien entspricht. Es gibt einen »Ruheraum«, in dem die Tiere sich frei bewegen, liegen oder stehen können. Zwei Mal täglich werden sie im überdachten Außenbereich des Stalls gefüttert, was auch in den Wintermonaten für Bewegung sorgt und die natürlichen Abwehrkräfte stärkt. Denn die prophylaktische Gabe von Antibiotika – in der konventionellen Viehhaltung gang und gäbe – ist in einem ökologischen Betrieb nicht erlaubt. Gemolken wird in einem ebenfalls ausgelagerten, komplett gekachelten Raum – dem dritten Teil des Stalls.
»Bei vielen Großbetrieben sind die Anforderungen an den Stall häufig ein Grund dafür, dass sie sich gegen eine Umstellung entscheiden«, berichtet Ute Buschhaus, Landwirtschaftsberaterin bei Bioland. In einem aktuellen Fall hatte ein Landwirt gerade erst über eine Million Mark in einen neuen Stall investiert, und ein Umbau, um diesen an die Öko-Standards anzupassen, hätte den finanziellen Rahmen gesprengt. »Da hätte höchstens die Möglichkeit bestanden, den Stall zu verpachten und neu zu bauen«, so die Beraterin. Ist die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben, raten die BeraterInnen denn auch von einer Umstellung ab.
Die Probleme von Peter Daniel Bruchhaus sind dagegen verhältnismäßig gering. Lediglich das Weglassen von Pflanzenschutzmitteln bereitete ihm in diesem Jahr Schwierigkeiten beim Anbau des Futters. Die Maisernte fiel nur mäßig aus, obwohl er bereits im letzten Jahr erfolgreich ohne chemische Hilfe anpflanzte. Nun macht ihm das Unkraut doch zu schaffen. Von der Milchwirtschaft kann Landwirt Bruchhaus jedoch nicht leben. Gut 100.000 Liter Milch produzieren seine Kühe im Jahr. Nach Abzug der Produktionskosten bleibt ihm momentan eine Gewinnspanne von 20 Pfennig pro Liter. Im Idealfall bedeutet das einen jährlichen Profit von 20.000 Mark. Darum hat er, wie die meisten seiner Kollegen, ein zweites Standbein: »Mein Tagesablauf sieht häufig so aus, dass ich mich morgens um den Hof kümmere und tagsüber als Baumpfleger für verschiedene Auftraggeber arbeite. Man muss den Beruf des Landwirts schon lieben, sonst nimmt man das nicht in Kauf.«
Erst in zwei Jahren wird er seine Milch als Biomilch vermarkten können. Mindestens solange wird er auf die staatliche Unterstützung von zurzeit 800 Mark pro Jahr und Hektar und einen weiteren Zuschuss für die anfallenden Kontrollkosten von jährlich 2.000 Mark angewiesen sein. Da die Großmolkerei, an die er zurzeit noch liefert, nur sehr schlechte Tarife für Biomilch zahlt, hat er den Vertrag zum Jahresende gekündigt und wird dann zu einer auf Bioprodukte spezialisierten Molkerei wechseln. Die zweijährige Kündigungsfrist hat jedoch zur Folge, dass er nach der abgelaufenen Umstellungszeit noch ein halbes Jahr zu schlechten Konditionen an die Großmolkerei liefern muss. Danach hofft er, dass die ökologische Bewirtschaftung sich auch finanziell bemerkbar macht. Ob das bei der neuen Molkerei der Fall sein wird, hängt vor allen Dinge vom Kaufverhalten der VerbraucherInnen ab. »Als Bio-Landwirt ist man viel direkter von den Verbrauchern abhängig. Sinkt die Nachfrage, macht sich das für uns sofort bemerkbar«, so Bruchhaus.
Dass Lebensmittelskandale wie BSE nur kurzfristig einen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben, zeigt die Tatsache, dass der Fleischkonsum in Deutschland inzwischen wieder genauso hoch ist wie vor den Skandalen. Aus diesem Grund ist ein weiterer Baustein der Agrarwende die im September beschlossene Einführung eines neuen Biosiegels und das »Aktionsprogramm Öko-Landbau«. Schwerpunkt dieses Aktionsprogramms ist eine Informationskampagne, die VerbraucherInnen und Landwirte über die Vorteile von Bioprodukten aufklären soll. Auch in der Beratungsarbeit der BiolandmitarbeiterInnen ist die Erstellung eines Vermarktungskonzepts für den Landwirt Hauptbestandteil. Gibt es keine Absatzmöglichkeiten, lohnen sich Mehrarbeit und geringere Erträge zu Gunsten von Umwelt und VerbraucherInnen nicht.
Zumindest das Image des »Öko-Bauern« scheint sich in den letzten Jahren geändert zu haben. »Öko-Landwirt zu werden, ist heute keine Pioniertat mehr. Früher gab es da mehr Vorurteile, und die Landwirte hatten Bedenken, dass ihre Nachbarn sie schief angucken, wenn sie auf ökologischen Landbau umstellen«, berichtet Ute Buschhaus. Landwirt Bruchhaus empfindet die Umstellung sogar als Aufwertung seines Images als Landwirt. Trotzdem hat er auch für seinen öko-kritischen Onkel, der ebenfalls Landwirt ist, Verständnis und kennt die Ursachen für dessen Ablehnung. »Die ersten, die sich Öko-Landwirte nannten, haben ihre Karriere auf der Startbahn West begonnen. Da stand meist irgendeine Lebensphilosophie im Mittelpunkt, und die Landwirtschaft war häufig alles andere als ökologisch.«