America, the Beautiful
Nazis überall, irre religiöse Fanatiker, die einem im Nacken sitzen, am Horizont ein Polizeistaat in Sicht, auferstanden aus den Ruinen der amerikanischen Ideologie, und über Colorado fegen apokalyptische Feuerstürme hinweg. Aber alles ist zu ertragen, wenn ein gekühlter Drink greifbar ist und man einen heißen Schlitten unterm Arsch hat. Denkt sich Hunter S. Thompson und macht sich den vielleicht ultimativen Reim auf die Welt: »Die Unvermeidlichkeit dieser Albträume ist es doch, die sie so vertrauenswürdig macht. Das Leben geht weiter, so oder so.«
Thompsons Wiederentdeckung
Thompson wird in Deutschland wiederentdeckt. Das hat natürlich mit seinem spektakulären Abgang zu tun: seinem Selbstmord am 20. Februar 2005 im Arbeitszimmer (Kopfschuss, Familie und Freunden gegenüber schon länger angekündigt). Die Wiederentdeckung setzte aber schon vorher ein, mit der erstmaligen Übersetzung seiner frühen Erzählung »The Rum Diary« (Blumenbar, München). Thompsons Weltanschauung, die von Alarmismus und ungehemmter Paranoia schlagartig in Lakonie und unendlich abgeklärte Coolness kippen kann, passt ganz gut in eine Zeit rasenden Stillstands.
»Königreich der Angst« ist seine 2003 veröffentlichte Autobiografie. Kann man das so sagen? Es gibt keine Chronologie und keine Linearität. Mal kündigt er an, angefangene Geschichten zu einem späteren Zeitpunkt weiter zu erzählen. Doch man ahnt es: Wie ein Junkie dir niemals das geborgte Geld zurückgeben wird, so wird Thompson auch diese Geschichte nie zu Ende erzählen. Dann wieder versanden die Anekdoten im absurden Nichts. Auf einmal befinden wir uns in einem politischen Pamphlet, in dem der ur-patriotische US-Bürger und Linksliberale Thompson gegen das Establishment berserkert. Aber während er noch politisiert, schweift er schon wieder ab in eine Welt aus Paranoia und Gewaltexzessen. Es liegt Panik in der Luft, wäre da nicht der heiß ersehnte Drink.
Den eigenen Roman zerpflückt
Lustig ist, dass die Zerstörung einer Autobiografie ziemlich genau den Formexperimenten entspricht, die zum Beispiel deutsche Autoren der 60er und 70er Jahre durchspielten, um der bürgerlichen Ästhetik auf den Leib zu rücken: das Durchexerzieren von Montageverfahren, keine kausale Situationsfolgen, Verweigerung von Handlung und konsistenter Charakterzeichnung. Aber im Unterschied zu den Avantgardisten dürfte das, was in Thompsons »Königreich der Angst« grell aufblitzt, tatsächlich von ihm selbst durchlebt worden sein. Was Paul Perry mit seiner detailreichen Thompson-Biografie »Angst und Abscheu« bestätigt. Thompson, ein maßloser, schmerzfreier, tendenziell unangenehmer Typ, lebte in seinem eigenen Roman – und konnte nicht anders als ihn, wie in seiner Autobiografie, zu zerpflücken, um sich nicht in endlosen Schlaufen der Selbstbespiegelung zu verlieren.
»Es liegt ein beklemmender Hauch von Panik in der Luft, und obendrein haben stumme Furcht und Unwissenheit die Überzeugungen, Wahrheiten und Institutionen befallen, die einst verlässlich waren, an die zu glauben jetzt aber nicht mehr ungefährlich ist«. Dieser Satz Thompsons passt wunderbar zu den Essays Joan Didions. Die heutige 71-Jährige stammt aus der gleichen Autorengeneration wie Thompson, und wie er ist sie davon besessen, dem Verlust der sozialen und kulturellen Grundierung der USA in den letzten dreißig Jahren nachzuspüren. Sie kommt dabei ohne die Egomanie Thompsons aus, was eine Wohltat ist, neigt aber – vielleicht das Problem der Übersetzung – zu einem staksigen, gespreizten Stil.
Didions Utopie
Mit »Im Land Gottes« liegt nach längerer Zeit wieder ein Essayband von ihr auf Deutsch vor. In Amerika ist sie eine gefeierte Autorin, hierzulande ging man mit ihrem verzweigten Werk eher liederlich um – jetzt also ein Neuanfang? Didion bohrt sich rückwärts in die jüngere Geschichte der USA. Sie fängt mit einer Bestandsaufnahme des geistigen Klimas nach dem 11.9. an, beschreibt die Entstehung der Bush-Ideologie vom »mitfühlenden Konservatismus«, den Beginn des (neo-) konservativen Backlash bereits unter Reagan und endet schließlich im wild gewordenen Kalifornien der späten 70er Jahre. Ihr Standpunkt, von dem aus sie die hohlen Rituale und grotesken Schattenspiele der Macht analysiert, ist bemerkenswert verrutscht: Sie will die reine, die unkorrupte, von allen wirtschaftlichen und religiösen Interessen unabhängige Demokratie. Gleichzeitig weiß sie, dass dieser Zustand der Unschuld illusionär ist.
Didion nähert sich dem Moment des Umkippens: Je religiöser die Politik sich auflädt – mit dem Ziel, ein für allemal fundamentale Werte des sozialen Lebens zu garantieren –, desto stärker nehmen Paranoia und Furcht zu. Thompsons »Königreich der Angst« ist Didions »Land Gottes«.
Hunter S. Thompson: Königreich der Angst.
Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen. Heyne Verlag, München 2006, 480 S., 9,95 €.
Paul Perry: Angst und Abscheu.
Das sagenhafte Leben des Hunter S. Thompson. Edition Tiamat, Berlin 2005, 287 S., 18 €.
Joan Didion: Im Land Gottes.
Wie Amerika wurde, was es heute ist. Tropen Verlag, Berlin 2006, 189 S., 18,80 €.