Die regionale Zitrone
StadtRevue: Anlässlich der Lebensmittelmesse anuga Mitte Oktober in Köln wurde verkündet, der Fleischkonsum sei wieder auf einem Niveau wie vor der BSE-Krise. Wie erklären Sie sich das?
Bernhard Burdick: Skandale wie BSE wirken auf die meisten Menschen nur kurzzeitig. Der Markt bricht zusammen, und ein halbes Jahr später ist alles beim Alten. Die große Masse der Verbraucher bleibt letztendlich in ihren Routinen verhaftet. Sie wissen zu wenig über die Nachteile für sich und die Umwelt, oder sie verdrängen die Risiken. Zudem ist in Deutschland die Schnäppchenjägermentalität besonders ausgeprägt. Wir haben hier im EU-Vergleich die niedrigsten Ausgaben für Lebensmittel anteilig an den Haushaltsausgaben.
In die Agrarpolitik ist allerdings Bewegung gekommen: Die ökologisch bewirtschafteten Flächen sollen von derzeit rund drei auf 20 Prozent aufgestockt werden. Doch wer soll all die Waren kaufen?
Grundsätzlich ist der Bedarf deutlich höher als das, was heute an ökologischen Lebensmitteln produziert wird. Ein wichtiger Grund für den geringen Marktanteil sind die Nachteile in der Logistik. Es ist schwieriger, ausreichend große Warenmengen und eine breite Produktpalette für ein attraktives Angebot in Supermärkten zusammenzustellen. Mit dem weiteren Ausbau des Angebotes und der Logistik könnten die Marktanteile wachsen. Die Beispiele Österreich und Schweiz belegen das, da liegt der Marktanteil von Öko-Produkten bei zehn Prozent und mehr. Der Flaschenhals ist im Moment der letzte Schritt vom Handel zum Verbraucher.
Was meinen Sie damit?
Das ist ein Vermarktungsproblem. Woran es in Deutschland mangelte und was jetzt gerade beginnt, ist eine offensive Werbekampagne. Ich habe schon vor sechs, sieben Jahren auf einer Tagung den österreichischen Landwirtschaftsminister in einem Fernsehspot für Öko-Produkte gesehen, zur besten Sendezeit. Etwas Vergleichbares war unter den bisherigen deutschen Landwirtschaftsministern undenkbar. Jetzt wäre ja vorstellbar, dass Frau Künast sowas mal macht. Eine solch vehemente Werbekampagne müsste die Vorteile dieser Produkte attraktiv darstellen.
Was sind denn die Vorteile ökologisch erzeugter Produkte?
In erster Linie die gesicherte, glaubwürdige Qualität. Öko-Produkte werden seit der Einführung der EU-Öko-Verordnung 1992 regelmäßig kontrolliert. Sie schmecken besser. Sie werden weitgehend ohne Agrarchemie produziert. Zudem werden Nährstoffe im Kreislauf geführt, so dass keine Stickstoffmineraldünger notwendig sind, und es wird auf mehr Tier- und Naturschutz geachtet. Und eines dürfte der BSE-Skandal als Spitze des Eisbergs klargemacht haben: Selbst Eingeweihte, die durchaus schon kritisch waren, was die Qualität unserer Nahrungsmittel angeht, waren überrrascht, was laut Lebensmittelgesetz zulässig ist. Wieviel Irreführung zum Beispiel in Kennzeichnungen auf Lebensmitteln steckte.
Warum ist es offensichtlich so viel schwieriger, ökologische als konventionelle Produkte zu bewerben? Für H-Milch braucht man keinen Fernsehspot mit Frau Künast.
Ja, es werden aber Kampagnen mit Milliardenaufwand für konventionelle Lebensmittel gemacht. Und sie nutzen sehr geschickt das Image einer »sauberen Produktion«. Die Eierverpackungen sind ein gutes Beispiel: Egal, wo die Eier herkommen, die haben prinzipiell einen idyllischen Bauernhof und ein im Gras scharrendes Huhn auf der Packung. Das ist Verbrauchertäuschung. Mit der Werbeindustrie kann das Marketing für ökologische und regionale Produkte nicht Schritt halten, da fließen nur geringe Mittel rein.
Renate Künast hat angekündigt, dass es im Zuge der Agrarwende Aufwendungen in Millionenhöhe geben wird, um die ökologischen Produkte zu bewerben. Ist es legitim, dass der Staat da eingreift?
Es ist nicht nur legitim, sondern notwendig, dass der Staat eingreift, vor allem wenn man sich die Begleiterscheinungen der bisherigen Produktionsweise ansieht. Die konventionelle Landwirtschaft produziert nach wie vor sehr hohe Umweltbelastungen, die mit Kosten verbunden sind. In bestimmten Regionen müssen z.B. alle paar Jahre tiefer gelegene Grundwasserstockwerke angebohrt werden, um überhaupt noch Trinkwasser in trinkbarer Qualität fördern zu können. Da hängen Kosten dran, die der Staat zahlt. Um es etwas vereinfacht auf den Punkt zu bringen: Wir dürfen uns nicht über das Schweinekotelett für zwei Mark freuen und uns über die gestiegene Wasserrechnung ärgern. Die Kosten für Lebensmittel im Supermarkt sind keine wahren Kosten, der Preis entsteht unter Ausblendung der genannten negativen Effekte. Das sind nicht nur Umweltauswirkungen, das betrifft auch den Strukturwandel in der Landwirtschaft mit dem Verlust vieler Arbeitsplätze. Die Dinge hängen miteinander zusammen. Das wird von den politisch Verantwortlichen und auch von den Konsumenten vernachlässigt.
Wenn die Situation, die durch BSE ans Tageslicht kam, so dramatisch ist, und wenn man sich die negativen Begleiterscheinungen ansieht, die Sie beschreiben, warum will man dann nur 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch bewirtschaften? Müsste man dann nicht konsequenterweise 100 Prozent umstellen?
Zum einen sind 20 Prozent aus heutiger Sicht ein durchaus ambitioniertes, aber eben auch erreichbares Ziel. Wir werden nicht alle zu ihrem Glück zwingen können, nicht alle Verbraucher und nicht alle Landwirte.
Warum aber war dann in der Schweiz und in Österreich die Umstellung in höherem Maße möglich?
In der Schweiz und in Österreich gibt es Bundesländer, die nahezu flächendeckend umgestellt haben. Wenn man sich aber die Agrarstruktur dort ansieht, dann stellt sich – überspitzt gesagt – die Frage: Haben die wirklich umgestellt? Das sind zum Teil reine Grünflächen in Bergregionen, die schon immer extensiv gewirtschaftet haben, d.h. mit wenig Betriebsmitteln. Auf den Weiden wurde nicht zusätzlich Mineraldünger ausgebracht. Oder sie haben auf das Bisschen, was sie eingesetzt haben, verzichtet und waren dann mit einem Schlag ökologisch. Da musste sich gar nicht so viel ändern.
Was sind die Haupthindernisse für eine komplette Umstellung in Deutschland?
Einerseits wird es für viele Landwirte auch in Deutschland langfristig attraktiv bleiben, für den Weltmarkt oder den EU-Binnenmarkt, d.h. intensiv, in großen Mengen zu produzieren. Solche Betriebe kann man nicht so einfach auf ökologische Produktionsweise umstellen, und die Umstellungsprämien sind nicht hoch genug. Andererseits gibt es viele kleine Betriebe in benachteiligten Regionen, die schon recht umweltfreundlich wirtschaften. Warum sollte man die dahin drängen, das Umweltsiegel zu bekommen? Die wollen eben keine Ökobauern werden. Wenn man diesen kleinen Betrieben über Direkt- oder Regionalvermarktung, über Weiterverarbeitung oder ländlichen Tourismus neue Standbeine erschließt, kann man einige von ihnen am Leben erhalten. Und dazu ist eine Umstellung auf ökologische Produktionsweise nicht unbedingt notwendig.
Muss man die verbleibenden 80 Prozent herkömmliche Landwirtschaft nicht auch in diese Agrarwende einbinden?
Unbedingt! Die sogenannte »gute fachliche Praxis«, d.h. das gesetzlich einzuhaltende Niveau, nach dem Landwirtschaft in Deutschland betrieben wird, muss von der Regierung durch eindeutige Grenzwerte und Auflagen zur Umweltbelastung konkretisiert werden. Bis vor kurzem stand im Naturschutzgesetz die sogenannte Landwirtschaftsklausel: Landwirtschaft nach guter fachlicher Praxis deckt sich eindeutig mit den Zielen des Naturschutzes. Wenn man sich die letzten 30 Jahre ansieht, dann ist das doch sehr in Zweifel zu ziehen.
Wie kann man dem entgegenwirken?
Es müssen konkrete Kriterien, Messgrößen in die Gesetze aufgenommen werden. Wobei ich bei derlei ordnungsrechtlichen Bestimmungen auch meine Bedenken habe, da gibt es immer Kontroll- und Vollzugsdefizite. Man muss sich eher ein Push-and-Pull-Modell vorstellen: Die gesetzlichen Regelungen hätten eine Push-Wirkung, aber auf der anderen Seite muss ein Pull-Effekt kommen, und der kann nur über Verbraucheraufklärung ausgelöst werden, über Qualitätssiegel und Werbekampagnen. Der Pull-Effekt hätte eine Sogwirkung: die gesteigerte Nachfrage nach umwelt- und tiergerecht produzierten Nahrungsmitteln.
Überschätzen Sie nicht die Macht der Verbraucher?
Nein! Im Gegenteil – die Macht der Verbraucher wird unterschätzt. Da gibt es viele Beispiele wie Brent Spar. Ein Verbraucherboykott ist außerordentlich wirksam, und die verstärkte Nachfrage auch. Wenn eine größere Zahl der Konsumenten diese Produkte nachfragt, wird sich der Markt, einschließlich der global player, daran orientieren.
Die BRD importiert rund die Hälfte ihres Bedarfs an Obst und Gemüse. Ist es überhaupt möglich, den Bedarf des Marktes über regionale und ökologische Produkte zu decken?
Ich glaube schon, dass wir ausreichend Obst und Gemüse für den eigenen Bedarf produzieren könnten. Doch es wird anderswo eben viel billiger produziert. Und damit sind über die Zeit Produktionspotenziale verloren gegangen. Als Beispiel: Die deutschen Landwirte konnten irgendwann nicht mehr mit den Apfelbauern aus Oberitalien konkurrieren. Im Sinne einer Agrarwende macht es aber keinen Sinn, ökologische wie auch herkömmliche Lebensmittel kreuz und quer durch Europa zu fahren. Nachhaltig wird es erst, wenn man die Kriterien regional und ökologisch zusammenbringt. Den Begriff Region muss man natürlich produktabhängig definieren. Überspitzt gesagt: Für mich ist eine regionale Zitrone eine, die aus Spanien kommt statt aus Südafrika. Aber die staatliche Lenkung regionaler Produkte ist auch ein heikles Problem, seit wir den europäischen Binnenmarkt haben. Wenn ich explizit und von staatlicher Seite geförderte Werbung für ein regionales Produkt mache, dann wird das als Wettbewerbsverzerrung gewertet. Im Binnenmarkt muss jedes Produkt überall gleich angesehen sein. Da sind Wettbewerbskommissar und Umweltkommissar nicht immer einer Meinung.