Rettung ins Staunen
Tapatap, tapatap, tapatap. Mit diesen flinken Füßen könnte sie wahrscheinlich einmal um die Welt laufen. Tapatap, tapatap, tapatap. Und so, wie die Artistin Miriam Msemakweli auf dem Rücken liegend mit ihren Füßen einen großen bemalten Krug antreibt, würden ihre Schritte dann die Kugel der Erde in Bewegung halten. Tapatap, tapatap. Warum sonst wohl dreht sich die Erde, wenn sie nicht von den Füßen der Laufenden bewegt wird? Zum Staunen sind wir eingeladen in den Zirkus »Afrika! Afrika!«, zum Staunen werden wir gebracht. Der Mensch an und für sich braucht die Erde, um sich abzustoßen, will er in die Höhe springen. Die Stangentänzer aus Tansania und Äthiopien aber schaffen es, mit den Beinen schon längst in der Luft und nur mit den Händen sich an der Stange haltend, noch einmal – wusch! – Druck zu machen, zu springen und einen halben Meter Höhe zu gewinnen.
Gegenmodell der Kunst
»Im Zirkus muss ja selbst dem Borniertesten aufgehen, um wie viel näher am Wesentlichen, wenn man will am Wunder, gewisse physische Leistungen stehen als die Phänomene der Innerlichkeit«, argumentierte einst der Philosoph Walter Benjamin und machte damit den Zirkus zu einem Gegenmodell der Kunst. Das Zitat stammt aus dem Vorwort eines kleinen Buches des Wagenbach-Verlages über den »Circus« von 1978, als Künstler und Intellektuelle den Zirkus wieder entdeckten und entschlossen darauf zu marschierten: Her mit dem Wirklichen und Wunder, das so ganz ohne das Bedeuten-müssen der Kunst auskommt.
André Heller, der jetzt auch »Afrika! Afrika!« auf die Beine gestellt hat, gehörte von Anfang an zu den Protagonisten der Erneuerung des Zirkus. Vor allem Produktion und Marketing professionalisierten sich. Seit Heller 1985 mit Künstlern aus der Akrobatenschule von Beijing begann, Artisten als Botschafter eines Kulturraums auf Reisen zu schicken, wurde sein Name zu einem Label, das für Erfolg steht.
Geruch der Popcornmaschine
Zirkusshows sind kein einfacher Markt. Glänzende Artistik allein macht kein Zelt mehr voll. Wo aber »André Heller« drüber steht, strömen die Leute. Doch gerade mit den vielen Gesten der Inszenierung und Verpackung geht eine gewisse Aura verloren. Es riecht nicht mehr nach Schweiß und Pferdeäpfeln, sondern nach der Popcornmaschine. Gerade das, was der Zirkus wiederherstellen wollte, weil er es in der Kunst vermisste: vom Echten zu zehren, Artistik zu bewundern und zu schwärmen, ohne erklären und verstehen zu müssen, reicht dann eben doch nicht.
»Afrika! Afrika!« ist eine Show mit sehr viel Tanz, noch mehr Kostümen und mit Akrobaten, deren Nummern in den Tanz wie Solitäre eingebettet sind. Es gibt keine Tiere, keine Clowns, keinen Zirkusdirektor und folglich auch keine Erzählung von der Zirkusfamilie. An deren Stelle ist das Bild eines Kontinents gerückt, den die Show repräsentieren will. Das ist der Punkt, an dem die Zirkusbilder, die als Dekorum der Artistik ruhig Kitsch, Klischee und Folklore sein dürfen, plötzlich mit einer Aufgabe betraut werden: Botschafter für etwas anderes zu sein, den Blick auf vergessene Kulturen zu lenken und Afrika wie ein missachtetes Kind zurück in den Schoß der Gemeinschaft zu führen.
Doch Afrika bleibt eine merkwürdig diffuse Einheit in diesem Zirkus. Die knackigen Tanzgruppen kommen von der Elfenbeinküste, aus Südafrika und dem Senegal, die unglaublich coolen Breakdancer von den Antillen und Haiti, die Einradvirtuosen, die das Machogehabe amerikanischer Basketballstars lässig parodieren und die lustigste Nummer der Show bilden, gar aus New York City. Die Artisten werden nicht vorgestellt, nichts über die Orte ihrer Auftritte. Tanzen sie in Shows, treten sie in Hotels oder im Fernsehen auf, ziehen sie mit Zelten umher? Ein paar assoziative Lichtbilder an der Zirkuskuppel, ein paar Maskenfiguren im Hintergrund, das ist alles an Kontext.
Rückkehr zum Staunen
So ist »Afrika! Afrika!« eigentlich eine Mogelpackung, die vorgaukelt, die Künstler eines Kontinents zu repräsentieren, die so gar nicht repräsentiert werden wollen. Denn überall dort, wo zeitgenössische Kunst den Kontext bildet, legen Künstler afrikanischer Herkunft heute viel Wert darauf, nicht unter das undifferenzierte Bild eines Kontinents subsumiert zu werden. Sie wollen, dass man die Geschichten ihrer Länder, die Differenzen der Gesellschaften, die Ungleichzeitigkeiten der Entwicklungen unterscheiden lernt.
Diese Unterscheidungen aber nimmt der Zirkus nicht vor. So kehrt man zum Staunen zurück: Über einen Mann, der in extremer Gelenkigkeit die Füße hinter dem Nacken verknotet und eine kaum noch zu entwirrende Collage seiner verschobenen Glieder auf einem schmalen, goldenen Sockel balanciert. Über eine Frau, die sich noch extremer verdreht, das Oben und Unten, Vorne und Hinten verkehrt sind. Über einen Mann, der sechs sich drehende Schüsseln mit Fingerspitzen, Schuhen und hölzernen Zusatzgliedern in der Luft hält. »Afrika! Afrika!« ist unglaublich schnell und flüchtig. Viele Nummern scheinen nur Sekunden zu dauern. Hinterher muss man sich selbst erzählen, was man alles gesehen hat. Die Stelzenläufer, den Balljongleur, die vielen Pyramiden aus gestaffelten Körpern. Die Saltospringer ganz am Ende. Als man schon glaubte, jetzt könne nichts mehr kommen.
Die Saltospringer. Die waren doch am schönsten.
»Afrika! Afrika! – Das magische Zirkusereignis vom Kontinent des Staunens« von André Heller, Mercedesstr. 7, Düsseldorf
15., 19., 20.-22., 26.-29.9., 20 Uhr; 16., 23., 30.9., 15 und 20 Uhr, 17., 24.9., 14.30 und 19 Uhr.
Tickets: 01805/725299
www.afrika-afrika.com