Der Film in Worten als Ausstellung

Die Schau »Außerordentlich und obszön – Rolf Dieter Brinkmann und die Popliteratur« zeigt den Dichter im Kontext von Zeitgenossen und Nachfolgern

 

Im Jahr 1975 ist Rolf Dieter Brinkmann 35-jährig in London durch einen Verkehrunfall ums Leben gekommen. Die letzte öffentliche Spoken-Word-Performance des Dichters aus Vechta, vorgetragen auf dem Cambridge Poetry Festival, kann man jetzt im »Kunsthaus Rhenania« anhören. Die 70er Jahre spielen für die noch bis 19. November laufende Ausstellung »Außerordentlich und obszön – Rolf Dieter Brinkmann und die Popliteratur« ansonsten kaum eine Rolle: Er habe sich auf die 60er Jahre, also auf die Phase des »Popimpulses« konzentrieren wollen, erklärt Kurator Uwe Husslein bei der Ausstellungseröffnung.

Anwesend bei der Vernissage sind auch Barbara Kalender und Jörg Schröder vom März Verlag. Dort erschien 1969 die Anthologie »Acid«, die Brinkmann gemeinsam mit Ralf Rainer Rygulla und Schröder herausbrachte. »Acid«, berühmt für das Lochstanz-Cover, versammelte Einfälle, Ideale und Techniken der »neue amerikanische Szene«, die damals in den Köpfen zahlreicher hiesiger Künstler zu arbeiten begannen. Diese Strömung war hervorgegangen aus den Beatniks um Jack Kerouac, Allen Ginsberg und Co, deren Geschichte die Dokumentation »Beat Generation« von Chuck Workmann unter die Lupe – der Film ist im umfangreichen Rahmenprogramm zu sehen.

Der 1969 gegründete März Verlag, zunächst finanziert über pornografische Literatur, sendete als progressiver Laden in der BRD unterschiedliche Reize aus. Während die Verwalter der klassischen Moderne ihn ablehnten, war das Unternehmen für die Gegenkultur eine spannende Adresse. Brinkmann war einer der Stars des Verlags, dem ein Ausstellungsraum gewidmet ist: Das leuchtende Gelb der Einbände signalisiert, dass Radical Chic, Aufklärung und Trivialisierung nicht einfach zum Thema gemacht wurden, sie machten das März-Konzept aus.

Brinkmann und die Popliteratur? Der »Popimpuls« hieß früher »postmoderner Impuls«. Die Literatur baute auf die Flucht aus dem stillen Dichterkämmerlein. Ihre Protagonisten setzten auf Techniken, die wir heute als multimedial bezeichnen. Einerseits wurde die Schöngeistigkeit des Schriftstellerlebens negiert, anderseits arbeitete man an der Verfeinerung bzw. Vergröberung des Literaturbegriffs. Die Brinkmannsche Definition lautete: »Der Film in Worten«. Aber aus den Worten – aus den Gedichten und Übersetzungen, aus den Briefen und den Collagen – wurden zuweilen tatsächlich laufende Super-8-Bilder, Comic-Strips, Hörspiele. In der Tradition von Nouvelle Vague, Dada und Surrealismus rückten bildende Kunst, triviale Unterhaltung und Schreiberei wieder enger zusammen. Vom Allround-Künstler Dieter Roth ist die Anekdote überliefert, er habe seine schrägen »Scheissegedichte« verfasst und in handgemachte Editionen verpackt, weil er als Autor herkömmlicher Romane stets versagt hätte. Der Wille zur grafischen Gestaltung geschriebener Worte und die Wahl alltäglicher Themen durch die Popliteraten kommen in jenen Tagen Roths Kunstfertigkeit entgegen. Man begann, trotz der Bevorzugung des Seriellen gegen­über dem Originalen, »auratische« Produkte wie die im Rhenania zu begutachtende Zeitschrift »Der Gummibaum« herzustellen.

Die materialreiche Hom­mage in Brinkmanns Wahlheimat zeigt vor allem eine Persönlichkeit im Kontext anderer Persönlichkeiten – wie etwa Oswald Wiener, weitere Filmabende würdigen unter anderen den Regisseur Will Tremper und die Figur Godzilla. Wer die 60er Jahre mit dem »Tod des Autors« in Verbindung bringt, findet zwar Hinweise in William S. Burroughs’ »Scrapbook« oder auf den nicht signierten, von der Pop Art inspirierten Gemälden der Kölner Künstlergruppe »EXIT – BILDERMACHER«. Aber während deren Mitglieder Thomas Hornemann und Berndt Höppner die Stadt bald verließen, blieb ihr Maler-Kollege Henning John von Freyend nicht nur in Köln, sondern war Rolf Dieter Brinkmann bis zu dessen Tod freundschaftlich verbunden.

John von Freyends Porträts dokumentieren im Gegenteil den lebendigen Autor, der sich hinter seinem Werk gar nicht verstecken konnte. Besonders stark kommt das Gemälde von Brinkmanns Lieblingshemd zur Geltung. Es wurde schlau zwischen einer Reihe von Schwarzweißfotos von Brigitte Friedrich platziert, auf denen Brinkmann das türkis-blau gemusterte Shirt trug. Diese Aufnahmen zeigen den als sexistisch und menschenfeindlich verrufenen Brinkmann in spitzbübischen, jungenhaften Posen. Seiner Frau Maleen streicht er konzentriert eine Strähne aus dem Gesicht. Anzeichen für Brinkmanns Sensibilität, die ihn drastisch dichten, zermürbend erzählen und zärtlich wüten ließ. Ein besonderes Feingefühl, das kein anderer als Marcel Reich-Ranicki für »außerordentlich und obszön« erklärte.

Ausstellung, Lesungen, Konzerte
bis 19.11. im »Kunsthaus Rhenania«,
Rheinauhafen, Bayenstraße 18,
geöffnet Fr 18-22, Sa+So 12-18 Uhr
und zu den Sonderveranstaltungen,
Filmprogramm im Kölner Filmhaus.
Info: www.c-o.pop.de/rdb