Filmfestivals forever?
Gerade in dem Moment, wo die Filmfestivals die historische Chance ergreifen könnten, eine neue Öffentlichkeit für den Film zu behaupten, wird Öffentlichkeit, wie wir sie einmal verstanden, in Frage gestellt.
Die Filmverleiher versuchen, ihr Produkt gerade auf Kosten des Kinos zu retten. Und natürlich auf Kosten der Kinobetreiber. Es wird in nächster Zukunft effizienter sein, Film auf DVD zu verkaufen oder on demand digital anzubieten. Kino ist zu teuer. Die Kinos sind mit immer kürzeren Auswertungsfenstern konfrontiert. Die Verleiher werden künftig ihre Produkte mehr oder weniger zeitgleich ins Kino und auf anderen digitalen Wegen ans Publikum bringen. Sehr wahrscheinlich wird sich ein Film mittelfristig nur noch im privaten Raum, als Home Entertainment amortisieren können.
Die kollektive Erfahrung von Kino dürfte damit bald der Vergangenheit angehören oder zumindest eine untergeordnete Rolle spielen. Da hätten die Festivals alle Möglichkeiten, Öffentlichkeit zu schaffen. So zumindest die Theorie.
Doch mit den Foren im Web 2.0 entsteht eine ungeheuere Konkurrenz für Festivals und eine neue, versprengte Öffentlichkeit – eine Öffentlichkeit zum Mitmachen: als Insiderwissen, Abstimmungsverhalten, Meinung auf SMS-Niveau. Wer sich einmal die Mühe macht, einen Blick auf einige der Hunderttausende selbst gebastelter und geklauter Bilder auf YouTube, Myspace, Myvideo, usw. zu werfen, der wird feststellen, dass Öffentlichkeit sich hier, grammatikalisch auf ein paar Schlüsselwörter zusammenzurrt, für neue Marketingstrategien und genau erfassbares »Consumer Targeting« darbietet. Im Web 2.0 verhalten sich die Leute genau so, wie sie es im politischen Raum gelernt haben: abstimmend. Es fällt schwer, dieses Szenario als eine Art neuen Underground zu romantisieren; denn mit der Privatisierung der Filmrezeption wird voraussichtlich zweierlei eintreten: erstens, Öffentlichkeit wird anonym, körperlos, exhibitionistisch und in ihrer Artikulation streng reguliert; zweitens, Film wird anders aussehen und auch anders wahrgenommen.
Der politische Zusammenbruch von Öffentlichkeit, zurzeit noch als Politikverdrossenheit verharmlost, wird sich allmählich vollziehen, wie das Verschwinden des Kinos: Zwar werden auch weiterhin Geschichten erzählt werden, mehr oder weniger gute; Film war aber bislang immer noch etwas anderes als die Geschichte, die sich in ihm entfaltete. Film organisierte zugleich ein Stück alternative Wahrnehmung für ein Kollektiv. Der Film wird in dem Moment ein anderer sein, wenn ich ihn, allein in meinen privaten Raum, manipulieren und unterbrechen kann, statt im Kino, in diesem dunklen Raum, zu einer anderen Wahrnehmung gezwungen zu sein, die meine eigene wird.
Filmfestivals, die früher einmal auch Markt sein mussten, gewinnen durch den Niedergang des Kinos eine neue kulturelle Bedeutung und Verantwortung, denn für die meisten Filme sind sie die Endstation: Sie werden zu seiner Öffentlichkeit. Hier kann – oder könnte – man all das sehen und diskutieren, was in Fernsehen und Kino seit langem schon nicht mehr zu sehen ist. Die Filmfestivals könnten zum Ort der Erneuerung für den Film werden, sie könnten die Zukunft des Kinos sein.
Wir brauchen eine neue Öffentlichkeit! Wir brauchen nicht weniger Filmfestivals, sondern mehr gute, ernsthafte. Leider haben auch die Filmfestivals versäumt, etwas anderes zu sein als Abspielfläche für neue Filme, versäumt, der Ort für das Andere zu sein. Die Filmfestivals sind zu Erfüllungsgehilfen von Verleihern und Zuschussgebern geworden. Je mehr es sind, desto ähnlicher sehen sie sich, desto irrelevanter werden sie.
Wenn Filmförderung sich dem Ausbau von alternativen Auswertungsformen über Filmfestivals widmete, so könnten Filmfestivals für bestimmte Filme eine neue Plattform werden. Dies aber setzte voraus: Förderprämien für Festivalteilnahmen, Ausbau und Pflege der Festivallandschaft und deren technischer Ausstattung, Umbau einzelner Kinos zu hochwertigen Vorführstandards und Festival-Spielorten, Förderung neuer Auswertungsformen und Vertriebswege für künstlerische Filme.
Filmfestivals müssen sich heute vor der Versuchung des Mainstreams schützen und vor der Gefahr, Öffentlichkeit nur als leeres Event zu feiern, das in Zuschauerzahlen gemessen wird. Wenn Filmfestivals aber die historische und soziale Verantwortung für Öffentlichkeit auf sich nähmen, so könnten sie die reale Alternative zu Fernsehen und Kino sein.