Das bimmelnde Manifest

Rimini Protokoll mit »Karl Marx, Das Kapital, Erster Band« am Düsseldorfer Schauspielhaus

Ist das eine Jahrmarktbühne? Eine riesige, bunt ausgeleuchtete und frontal zum Publikum gestellte Bücher- und Schrankwand gibt das Bühnenbild im neuen Projekt von Helgard Haug und Daniel Wetzel (Rimini Protokoll). Bücher, Aktenordner, Büsten, ein Kaffeeautomat, ein blinkender Geldspielautomat und ähnliches mehr sind ohne besonders große Sorgfalt hinein gepackt worden. Mittendrin in der Wand hocken oder stehen zu Beginn der Aufführung die Akteure. Wie die anderen Gegenstände sind auch sie Requisiten des Geistes und der Zeit, die dieses Regal symbolisiert. Allerdings werden die menschlichen Requisiten für den Verlauf des Abends zum Leben erweckt.

Klingt nach Museum? Ja und nein. Spielerisch – immer wieder blinkt und bimmelt es zwischendurch irgendwo – ist der Abend auf jeden Fall. Es geht um Marx, genauer »Das Kapital, Erster Band«. Klingt nicht nach Theater? Richtig, Theater im herkömmlichen Sinn macht Rimini Protokoll auch nicht. Wie immer sind die Akteure der Gruppe keine Schauspieler, sondern ganz normale Leute, die das Team allerdings in langer und sorgfältiger Recherche ausgewählt hat.

Nach zuletzt »Wallenstein«, Riminis erster Inszenierung eines »echten« Stücks – davor haben sie ihre Stoffe selbst entwickelt -, jetzt also »Das Kapital«. Im Prinzip bleibt der Ansatz gleich: Haug und Wetzel bevölkern das ausgewählte Werk mit Menschen, in diesem Fall acht, die etwas sehr Besonderes zu erzählen haben, das in Verbindung mit dem Text steht. Deshalb nennt Rimini sie Experten, nicht Laien. Sie sollen nicht schausspielern, sondern ihre Erfahrungen mit diesem Buch auf die Bühne bringen. Die Verbindung zu ihm kann sehr lose sein, und je mehr Abschweifungen vorkommen, desto besser – scheint die Devise zumindest bei »Marx«.

Denn das ist vielleicht die Krux dieses, wie alle Rimini-Projekte, grundsympahtischen Abends: Es wird doch ein bisschen zu viel und unverbindlich palavert, zu wenig rückt die Marxsche Analyse der kapitalistischen Gesellschaftsformation in den Blick. Schließlich ist das ein brandaktuelles Thema, da wäre mehr zu holen gewesen. Die Aufführung punktet aber haushoch dank der tollen Geschichten und Typen, die man sieht und hört. Geschickt, meistens humorvoll und pointenreich, manchmal auch platt, lassen Haug/Wetzel ihre Experten ihre biografischen Erlebnisse mit Analysen und Begriffen des »Kapitals« verbinden.

Und doch bleibt eine der anregendsten Facetten des Abends jene, als der erste Band des Werkes an alle Zuschauer verteilt wird, um unter Anleitung eines der Akteure, dem ostdeutschen Wirtschaftshistoriker und Marxologen Thomas Kuczynski, darin zu studieren.


»Karl Marx, Das Kapital, Erster Band«
von Helgard Haug und Daniel Wetzel,
R: Haug/ Wetzel, Düsseldorfer
Schauspielhaus, Kleines Haus,
8.-10.12., jeweils 19.30 Uhr