Ratten unter sich

Martin Scorsese hat den erfolgreichsten Film seiner Karriere

gedreht – leider ist es nicht sein bester geworden

Viele Regisseure würden so manches dafür geben, mit Jack Nicholson zusammenzuarbeiten. Dessen Zugkraft hat – zusammen mit der Starpower der Hauptdarsteller Matt Damon und Leonardo DiCaprio – gewiss dazu beigetragen, dass »Departed: Unter Feinden« schon fünf Wochen nach dem US-Start zum größten kommerziellen Erfolg in der Karriere Martin Scorseses avanciert ist. Aber Nicholsons völlig hemmungsloses, aufmerksamkeitsheischendes Spiel hat auch entscheidenden Anteil daran, dass dieses Remake eines Hongkonger Blockbusters künstlerisch gescheitert ist.

Um seiner Figur des Gangsterbosses Frank Costello eine größere Schockwirkung zu verleihen, wich der Schauspieler, wie vielfach zu lesen war, ständig von William Monahans Drehbuch ab. Das wird von Produzent Graham King diplomatisch unter »Zusammenarbeit« verbucht. Doch wie auch immer der kreative Prozess sich konkret gestaltet haben mag – dem Star wurde zuletzt offenbar freie Bahn gelassen. Nicholson gibt dem Affen richtig Zucker. Er pflegt die über Jahre kultivierten Marotten, deretwegen seine Filmauftritte zuletzt stets an Selbstparodien grenzten. Doch damit nicht genug: Er fletscht die Zähne, um eine Ratte nachzuahmen; er fuchtelt wild mit einem Dildo herum; und bei anderer Gelegenheit hantiert er am Esstisch mit einer abgehackten Hand. All das tut er mehr oder minder unmotiviert – und zieht damit eine wesentlich größere Aufmerksamkeit auf seine Nebenfigur, als ihr zusteht.

Nicholson eröffnet den Film auch mit einem aus dem Off gesprochenen rassistischen Gossenmonolog, der mit historischen Aufnahmen von Bostoner Stra­ßen­schlachten zwischen Schwarzen und Weißen unterlegt ist. Bezeich­nenderweise wird anschließend aber weder dieser ­historische Hin­tergrund wieder aufgegriffen, noch Costellos Erzählperspektive beibehalten. Stattdessen übernehmen Scorsese und Monahan weitgehend unverändert das Han­d­lungsgerüst von Andrew Laus und Alan Moks »Internal Affairs« und ergänzen es um einige Elemente aus den ebenfalls von Lau und Mak gedrehten Fortsetzungen.

Costello rekrutiert schon im Jugendalter Colin Sullivan, um diesen eine Polizeikarriere beginnen zu lassen. Er soll den Gangsterboss mit Interna über gegen ihn gerichtete Ermittlungen versorgen. Während Colin in der Beamtenhierarchie aufsteigt, ist ein ehemaliger Mitschüler von der Polizeiakademie, Bill Costigan, von seinen Vorgesetzten dazu bewegt worden, Costellos Gang zu infiltrieren. Bills Tarnidentität sieht unter anderem Besuche bei der Psychologin Madolyn vor, die, wie der Zufall es will, zugleich Colins Freundin ist.

Die geringe Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios ist offensichtlich – zumal den beiden Spitzeln leicht das Handwerk gelegt werden könnte, wenn bloß der Gangsterboss und die Polizeikommissare in den entscheidenden Momenten allen Umstehenden die Handys abnähmen. Dass die Hongkonger Variante des Stoffs »Internal Affairs« trotzdem ein höchst effektiver Genrefilm war, lag daran, dass Lau und Mak den Groschenroman-Charakter dieses Stoffes gar nicht verhehlten. Sie ließen ihre Figuren nicht viele Worte machen und reichten die Charakterisierungen erst in »Internal Affairs II« nach. Wenn man als Zuschauer trotzdem Anteil am Schicksal der Figuren nahm, dann vor allem, weil die kalte Mechanik des Plots ihre Einsamkeit betonte und sie als Spielbälle eines unerbittlichen Schicksals erscheinen ließ. Am eindringlichsten blieben daher drei atemberaubende Sterbeszenen in Erinnerung, die zur präzisen Distanz der Inszenierung einen sentimentalen musikalischen Kontrapunkt, in Form einer schmalzigen Hongkonger Pop-Ballade setzten.

Auch in »Departed« verfehlen diese drei Bravourszenen nicht ihre Wirkung – obwohl Scorsese sie etwas dehnt und ihre brutale Plötzlichkeit relativiert. Was den Regisseur generell daran gereizt haben mag, den Stoff erneut zu verfilmen, bleibt rätselhaft. Wenn er in der ersten halben Stunde rüde Ausraster seiner harten Kerle mit Rock ’n’ Roll unterlegt, zitiert er sich offenkundig selbst. Weil in den testosterongetränkten Dialogen ständig betont wird, dass die Handlung in einem bestimmten irischen Viertel Bostons spielt, könnte man annehmen, dass Scorsese noch einmal um ähnliches Lokalkolorit bemüht wäre wie in »Mean Streets«, seinem in New Yorks Little Italy angesiedelten Frühwerk. Dass Michael Ballhaus’ Kameraarbeit überraschend wenig stilisiert ist, ließe sich als dazu passendes Bemühen um Naturalismus deuten. Doch letztlich gibt sich der Film herzlich wenig Mühe, uns wirklich einen Eindruck von einem Milieu oder einem konkreten Ort zu vermitteln. Die Kamera rückt vielmehr regelmäßig Bostons architektonische Wahrzeichen unmotiviert ins Bild.

So ist »Departed«, nach »Gangs of New York« und »Aviator«, ein weiterer Scorsese Film, der barock in die Breite geht, ohne von einem Thema oder einer stimmigen Form zusammengehalten zu werden. Das Schlimmste, was man über den Film sagen kann, ist allerdings, dass der Regisseur das alles offenbar selbst nicht ernst nimmt. Nicht genug damit, dass er Nicholson ungehemmt chargieren lässt, am Ende kann Scorsese sich eine ironische Übertreibung selber nicht verkneifen. Im Schlussbild dieses Films über Verräter – in der englischen Umgangssprache: »rats« – lässt er eine Ratte durchs Bild laufen.


Departed: Unter Feinden (The Departed) USA 06,
R: Martin Scorsese, D: Leonardo DiCaprio, Matt Damon, Jack Nicholson, 151 Min., Start: 7.12.