Ihr letzter Coup
Am Feiertag, da setzt man in Frankreich eine junge Frau auf ein Pferd und lässt sie kreuz und quer durch die Stadt reiten, zu Ehren der Heiligen Jungfrau von Orleans. Aber auch als Gelegenheit für Politiker, sich beim Kranzniederlegen von der nationalpathetischen Glorie und den Blitzlichtern der Fotografen beleuchtet zu wissen. Der Künstler Cameron Jamie schwenkt weiter, sein vom Soundtrack Keiji Hainos umtostes Video »JO« zeigt, dass es auf Coney Island am Unabhängigkeitstag eher um die Wurst geht: Dort feiert man vor Nathan’s Imbissbude mit einem Hot-Dog-Wettessen. »o tannenbaum« heißt ein kurzer Film von Kurt Kren von 1964, aber ist das Weihnachten? Wenn die kalten Platten auf bloßer Haut abgestellt werden, wenn unter der mattgrünen Tanne der Nackte auf der Nackten turnt und auf dem Silbertablett zwischen dem Aufschnitt das männliche Glied angerichtet wird? Vor knapp dreißig Jahren entschieden ein paar Hundert Zuschauer, dass der Film den Festtag übel zurichtet und traten nach Besuch der Ausstellung »Film als Film« aus dem Kölnischen Kunstverein aus.
Dort wird der Film des 1998 in Wien verstorbenenen Underground-Filmemachers nun in der Dreier-Ausstellung »Keine Donau« wieder gezeigt, zusammen mit Arbeiten des 48-jährigen Österreichers Peter Kogler und des 1969 in Los Angeles geborenen Cameron Jamie. Auf sechs Monitoren sind Krens Arbeiten zu sehen: Ledas federumflöckelte Exzesse mit dem Schwan sind genauso dabei wie »Ana – Aktion Brus« oder die legendäre »Mama und Papa (Materialaktion Otto Mühl)«, allesamt 16-Millimeter-Filme aus den 60er Jahren, die über den Wiener Aktionismus schwenken, ihn stückeln und takten. Peter Kogler und Cameron Jamie haben einem von Krens Filmen den Titel der Ausstellung »Keine Donau« gestohlen und im Nachlass Zeichnungen, Drehbücher und millimetergenaue Schnittpläne geplündert, die nun zwischen ihren eigenen Video-Arbeiten, Skulpturen, Zeichnungen, Installationen ausgestreut sind.
Mit »Keine Donau« verabschiedet sich Kathrin Rhomberg aus Köln. Und um es vorweg zu nehmen: Diese Ausstellung ist ein souveräner Streich, und ein Glück für die Stadt, denn durch die großen Panoramascheiben der »Brücke« kann jeder zusehen: Peter Kogler hat dort, im großen Ausstellungssaal, ein Rudel Riesenraten ausgesetzt, als deckenhohe Projektionen flitzen sie die Rückwand des ehemaligen Lesesaales entlang. Wer Koglers Tapetenmuster kennt, vielleicht von einer Documenta, die endlosen Röhren und Gänge und Ameisenstraßen, den unaufhörlichen Rapport, der sich mit beunruhigender Passgenauigkeit jeder Architektur einfügt, kann sich ihre Präsenz vorstellen.
Auch Kren und Jamie kann der Passant von der Hahnenstraße aus erleben. Kathrin Rhomberg, die mit Video ungleich einfallsreicher umgeht als die meisten ihrer Kollegen, hat (eine ideale Aufmerksamkeitsspanne von zwölf Minuten voraussetzend) jedem der drei beteiligten Künstler vier Minuten Zeit auf dem neunteiligen Riesenkaleidoskop ausgerechnet. Kurt Krens »2/60 48 Köpfe aus dem Szondi-Test« sind frei über die Projektionsflächen verteilt. So blinken die Portraits Geistesgestörter, aus denen der ungarische Psychologe Leopold Szondi eine Art Rorschach-Test kombinierte, als Galerie verstörter Giganten, übergroß, verpixelt, grau verwaschen, ein stroboskopischer Flash. »Kurt Kren«, sagt Rhombers, »hätte das sicher gefallen, der liebte Technik«.
Cameron Jamie zuletzt hat jedem der neun Screens eine Portion von den Resten des Schneidetisches zugeteilt, an dem er 2004 sein »Spookhouse« geschnitten hat: Vorgärten voller Grabsteine, Skelette, Menschen als lebende Leichen, Puppen als Gehängte, Masken, Fratzen, Theater-Blut, Halloween in den USA als Mythologie der Suburbs.
Was macht eine gute Ausstellung aus? Dass die Dinge miteinander etwas zu tun bekommen, Verbindungslinien über die Ausstellung hinausweisen: Eine wäre Mike Kelley, der mit Paul McCarthy eine Hommage für Kurt Kren machte und später mit Cameron Jamie zusammen arbeitete, vom Gedanken beseelt, dass Pop Art, die Dekaden nach Warhol an der Westküste entsteht, genau so aussehen müsse. Oder ist es doch die Wurst – immerhin gibt es von Kogler Entwürfe, die pusseln das endlose Gewürme der Gedärme glatt aneinander und schließen so zu Jamies Hot Dogs wie zu Krens Weihnachts-Menüs auf. Generationen, Motive, Formate überlappen, bis nicht mehr auszumachen ist, wer sich da um wen gruppiert: Die Verschlingungen der leichthin getuschten Blätter Jamies verfließen mit den Wellen der Schnittfolgen eines Kurt Kren und den skizzenhaften Setzungen Koglers und seinen Tapetenfetzen – ein Knäuel, ein Reigen, als hätten sich da drei Generationen mit sehr langen dünnen Armen untergehakt.
Man wünschte, dies sei nicht die letzte Ausstellung Kathrin Rhombergs in Köln. Denn wir haben noch nicht genug von ihr gesehen: Ihre Amtszeit begann vor fünf Jahren mit dem Abriss des Kunstvereins, sie hat die »Brücke« nach einer komplizierten und teuren Renovierung dauerhaft als Domizil gesichert und kurz darauf das noch kompliziertere und teurere »Projekt Migration« an den Rhein geholt. Nun hinterlässt sie einen Kunstverein, ausgestattet mit Kino, Ateliers, einen Theatersaal – und einem Hauptsaal, der vielen als unbenutzbar galt: Rhomberg hat dem beidseitig verglasten Raum fallweise Wände eingezogen, einen zweiten Boden, ihn als Bühne eingerichtet, mit rotgefärbtem Beton und Geröll ausgegossen, ein Pferd wurde auch schon hindurchgeführt, erzählt man zumindest. Es kam nicht selten vor, dass kurz vor der Eröffnung noch eine Wand verschoben wurde, Rhomberg hat exzessiv gearbeitet und die Künstler schätzten das.
Im Foyer im ersten Stock ist das schwarze Labyrinth, in dem Peter Kogler seine Nager filmte, als Modell aufgebaut – davor kann man sich vorstellen, dass Kathrin Rhomberg den Kunstverein gar nicht mehr bespielt, sondern dass sie auf ihm spielt, wie auf einem Instrument. Dass sie den Ort in Bewegung hält, als vibrierendes Innen und Außen inmitten der Stadt.
Kölnischer Kunstverein, Hahnenstr. 6,
Di-So 13-19 Uhr, bis 17.12.
Der Autorin Catrin Lorch wurde im November der Kritikerpreis der Art Cologne verliehen, StadtRevue gratuliert herzlich!