Erforschung eines Bastards

Vier farbige Marken in einer seltsamen Nicht-Dorf-noch-Stadt-Agglomeration: Lutz Fritsch setzt mit seiner Installation die Pulheimer Projektreihe »Stadtbild. Intervention« fort

Schlicht und einfach »Stadtteile« hat Lutz Fritsch seine vier leuchtend orange lackierten Zeichen genannt, die er auf Pulheimer Boden verankern ließ: senkrecht aufgestellte Edelstahlrohre, 120 cm hoch, fünf cm im Durchmesser. Die Oberseite, der »Deckel« der schmalen Zylinder ist azurblau wie Schönwetterhimmel. Der Titel verweist auf zweierlei: zum Einen darauf, dass die heutige Stadt Pulheim aus vier Teilen, nämlich aus den in den 70er Jahren zusammengeschlossenen Gemeinden Brauweiler, Pulheim, Sinnersdorf und Stommeln besteht; zum Anderen werden die makellosen Stangen damit zu Recht als Objekte ausgewiesen, die seit ihrer Installation eben auch Teile dieser Stadt geworden sind.
Fritsch’ Kunst im öffentlichen Raum ist nach den Eingriffen von Maik und Dirk Löbbert, Christian Hasucha und Sigrid Lange das vierte Projekt der Pulheimer Serie »Stadtbild. Intervention«. Der Kölner Künstler (Jahrgang 1955) wollte in jeder der Ex-Gemeinden Pulheims eine Markierung setzen, die eine ortstypische räumlich-architektonische Besonderheit kennzeichnet. Auf seinen ausgedehnten Streifzügen durch diese postländliche Zone mit ihren Gewerbewucherungen – »eine Stadt mit riesigen Grünflächen« sagt Fritsch und meint die Äcker und Weiden zwischen den Ortsteilen – fiel ihm besonders das oft sehr harte Aufeinandertreffen einander völlig fremder Materialien, Farben und Strukturen der Fassaden und Einfriedungen auf. Da findet sich nicht selten wind- und wettergegerbter Backstein direkt neben Verklinkerungen, die von Kunststofftapete kaum zu unterscheiden sind. Pflegeleichte Oberflächen, die auf
Verschönerungsempfehlungen nahe gelegener Baumärkte zurückgehen, stehen in Konkurrenz zu solidem Rauputz in sonntäglichem Anstrich. Eine Auswahl seiner fotografischen Bestandsaufnahme dieses Kontrastprogramms ist in einem kleinen Katalog abgedruckt, der auch die signalfarbenen Stangen an ihren Standorten zeigt.
Fritsch hat dann vier entsprechend charakteristische und »mitteilsame« Stellen ausgesucht, um dort die mehrteilige Skulptur – denn als solche will er seine Installation verstanden wissen – zu platzieren. Er lenkt den Blick auf das historische, soziale und ästhetische Konglomerat, für das die Bezeichnung Dorf nicht mehr und Stadt noch nicht angemessen ist. Ein struktureller Bastard, den Fritsch als ebenso gewachsenes wie artifizielles Gebilde mit Hilfe seiner Zeichensetzung bewusst macht: Er veranlasst uns, innerlich einen Schritt zurückzutreten, die orange glänzende Linie und ihre Umgebung ernst zu nehmen. So kann man als »visueller Aussteiger« das Betrachtete aus seinem Kontext lösen. Das Kunstobjekt ist völlig autark und eine Bewertung erscheint überflüssig – eine frei gewählte Form, die sich selbst genügt und darüber hinaus lediglich einen Punkt markiert. Und auch die Umgebung kann man, von eigenen emotionalen Begleitlasten befreit, ganz pur in Augenschein nehmen – Sentimentalität, das kalte Grausen oder »Unser Dorf soll schöner werden«-Gefühle sind ausgeschaltet.
Für Fritsch zählt allerdings das weitläufige Dazwischen der vier Stangen genauso wie das direkte Umfeld, das sie an ihrem Standort kennzeichnen. Deshalb definiert er sie auch als zu einer einzigen Skulptur gehörig, um damit automatisch den gesamten Zwischenraum und die Bewegung darin als dazugehörige Vorstellung mit einzufangen. Das deutlichste Bild für dieses beständi-
ge Mitdenken eines erweiterten Raums hat Lutz Fritsch mit seiner Arbeit »Raum-Fahrt« (1993) geschaffen: Am Bug des Forschungsschiffs »Polarstern« ist eine gelbe Stahlsäule angebracht, deren Pendant am Weserufer im heimatlichen Bremen installiert ist. Und auch auf dem Schiff, genau wie in Pulheim, ist das Kunstobjekt fast mit einer Tarnung versehen: Durch die technisch-zweckhafte Anmutung schützt Fritsch seine Skulpturen und seine damit verbundenen Intentionen vor einem vernichtenden »Ah, Kunst!«. Denn die Möglichkeit, diese Art von Kunst gar nicht erst zu bemerken, gehört nun mal zu einem Konzept, das auf Sensibilisierung aus ist.
Lutz Fritsch’ hintergründiger Humor ist Teil seiner künstlerischen Methode, ein Phänomen wie Pulheim exemplarisch zu kommentieren. Das hat nie mit Bloßstellung oder Verrat zu tun, sondern immer mit ernsthaftem Interesse und vielleicht sogar mit einem liebevollen Blick – aus sicherer Distanz. Diese Haltung hat auch die vorausgegangenen Projekte ausgezeichnet, die ebenso überzeugend wie erstaunlich waren in einer Stadt wie Pulheim. Der hierfür verantwortliche Kulturdezernent Gerhard Dornseifer hatte schon mit seinem Synagogen-Projekt in Stommeln gezeigt, was mit Kompetenz, Überzeugungskraft und daraus resultierender Unterstützung zu schaffen ist. Am 23. November ist Gerhard Dornseifer gestorben. Hoffentlich erfährt seine enge Mitarbeiterin Angelika Schallenberg die gleiche Solidarität wie er, um diese außergewöhnlichen Kunstprojekte fortführen zu können.

Die Installation ist bis auf weiteres in Pulheim zu sehen. Anlaufstelle: Rathaus Pulheim, Alte Kölner Straße 26. Dort gibt es den Katalog sowie Ortspläne mit den vier Standorten. Telefonische Informationen unter Tel. 02238-808-188 (Kulturamt, Angelika Schallenberg).