Bauen, was noch niemand gesehen hat

Stararchitektin, Künstlerin und Diva: Zaha Hadid präsentiert ­im Januar in Köln ihr »ideal house«. Ein Besuch bei der Preview in London

Kommt sie, oder sagt sie in ­letzter Minute ab? Zaha Hadid, soviel weiß man aus Berichten und Anekdoten, ist ein Popstar der Architektur und genauso kapriziös wie ihre Entwürfe. Maximal eine halbe Stunde hat sie angekündigt, keine Einzelinterviews. Ursprünglich sollte die Pressekon­ferenz zum Projekt »ideal house« für die Kölner Möbelmesse in ihrer berüchtigten Entwicklungswerkstatt selber stattfinden, der Londoner Denkfabrik, wo sechzig Mitarbeiter, auf Panton-Stühlen an Rechnern mit modernster 3D-Software sitzend, das Unternehmen »Zaha Hadid Architects« am laufen halten und die Chefin angeblich wie ein Feldwebel regiert. Hadid eilt ein Ruf voraus, an dem wohlgesonnene Kollegen, Neider, Journalisten und wenige Augenzeugen arbeiten. Uns bleibt das Headquarter verschlossen, für eine perfekte Videokonferenz gibt es in der Weltstadt London nur Locations wie das langweilige Congress Center in der Great Russel Street.

Postmoderne Gebilde

Auf dem Weg dorthin zieht die Stadt an mir vorbei, Baudenkmäler, Reste alter Backsteinästhetik, missglückte Einheitsmoderne. »In den Metropolen passiert nichts, die wichtigen Entwicklungen findet man in der Peripherie und Provinz«, dieses Hadid-Zitat kommt mir in den Sinn, und Bilder. Bilder von Gebäuden, die kaum eine gerade Linie oder einen rechten Winkel aufweisen, sondern elegant geschwungene Kurven, riskante spitze Winkel, Schrä­gen, Rampen und Stützen. Komplexe organische Formen, die ebenso von natürlichen Gestaltprozessen zeugen wie von der ­digitalen Software, mit der sie ent­wickelt wurden. Gebaute Skulptu­ren, die der Schwerkraft zu trotzen scheinen, genauer: statisch perfekte Konstruktionen, die gefährlich instabil scheinen, weil sie nicht unseren Vorstellungen und Sehgewohnheiten entsprechen. Mit Zeichnungen und Modellen solch postmoderner Gebilde wurde Hadid bereits berühmt, als man diese noch für »unbaubar« hielt. Das erste realisierte Hadid-Gebäude entstand 1993, ja, in der Provinz: Die Vitra-Feuerwache in Weil am Rhein, der deutschen Kleinstadt an der Schweizer Gren­ze. Seitdem machen die interna­tionalen Besucher der Art Basel gern mal schnell in der Mittagspause rüber, um Zahas Erstling zu besichtigen.

Sie ist da – und alle Klischees sind wahr: Die Stillettos, die schwarze Designer-Kluft, das ständige Handy-Gefingere, die ehr­fürchtige Entourage aus jungen Projektleitern und eine Ausstrahlung, die binnen Sekunden wechseln kann zwischen Charme, Arroganz, latentem Genervtsein und offener Ruppigkeit. Sympathisch ist das nur bedingt, beeindruckend ist, was in den folgenden dreißig Minuten über die Projektionsleinwand läuft: ein Schnelldurchgang durch Entwürfe und die während der letzten 15 Jahre gebaute Welt der Zaha Hadid. Objekte, Interiors, Bühnenbilder, Ausstellungsarchitekturen, Bahnhöfe, Hotels, Museen, Industriekomplexe. Kein Zweifel: Diese »Architektin« ist eine grenzenlose Gestalterin, für die Kunst, Architektur und Design ebenso nahtlos ineinander übergehen wie Forschung, Lehre und Praxis – und die die ganze Welt nach ihren Vor­stellungen in Hadid-Design verwandeln würde, wenn man sie ließe. Aber soweit ist es noch nicht.

Bauen neu erfinden

Die Zeit des Bauens kam für die heute 56-Jährige spät. Symbolisch fast markiert ihre »Mind Zone« für den Millenium-Dome den Beginn des globalen Hadid-Baubooms der letzten Jahre. Seit 2000 entstanden – unter anderem – eine Tramstation in Straßbourg, eine Brücke in Abu Dhabi, eine Universität in Mexiko, ein Fährterminal in Salerno, das Rosenthal Center for Contemporary Art Cinicinnati, das erste Museum für zeitgenössische Kunst in Rom. Die bekanntesten zeigen, was ihre Entwürfe so einzigartig macht: Hadid baut, als würde sie das Bauen neu erfinden. 2002 wurde die Bergisel-Skischanze bei Innsbruck eröffnet: Wie ein eleganter Dinosaurierhals ragt das schräge, 90 Meter Lange Gebilde aus Beton und Stahl in die Luft; von dem spektakulären Café und der Aussichtsterasse in 40 Meter Höhe sehen die Besucher von oben auf die über Insbruck schwebenden Ski-Springer.

Funktion und Form bestmöglich zu verbinden und ­dabei technischen, sozialen und ästhetischen Ansprüchen zu genü­gen – zwei jüngste Beispiele für dieses Architekten-Credo findet man in Deutschland, derzeit das Land mit der höchsten Dichte an Hadid-Gebäuden. 2005 eröffnete das Phaeno Science Center in Wolfsburg, ein Wissenschaftszentrum, das mit Ausstellungsflächen, Vortragssaal und Tiefgarage unterschiedliche Funktionen vereinen sollte. Hadids Antwort ist ein mysteriöses, auf Trägern schwebendes Objekt, das sich nach außen öffnet und zum neugierigen Entdecken auffordert. Ebenfalls 2005 eingeweiht und bereits mehrfach preisgekrönt: Die neue Zentrale des BMW-Werks in Leipzig für 650 Angestellte. Hadid Innovation bestand darin, die traditionelle Trennung zwischen Planung, Pro­duktion und Verwaltung aufzuheben: Die Zentrale als Scharnier, Schnittstelle, Gehirn, wo alle Produktions- und Kommunikationsströme sich kreuzen. Hadid verzichtete auf exklusive Bereiche und entwarf ein Open Space Büro mit offener Kantine für alle Mitarbeiter, durch das an offenen Transportbändern die Fahrzeugteile über den Köpfen der Mitarbeiter schweben, vom Karosseriebau zur Lackiererei und zurück zur Endmontage. Sozial bedeutet es die Symbiose zweier Welten und Statusgruppen, der »Blaumänner« und »Krawattenträger«.

Masterpläne und ideale Häuser

Zaha Hadid ist derzeit wohl auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs. Ihre Bauprojekte haben die Dimension von Masterplänen für ganze urbane Wohn- und Industrie-Komplexe erreicht: »One North« in Singapur (im Bau), »Zorrozaurre« in Bilbao, »Olebe­aga« in Spanien, Beijing’s »So­ho City« in China oder, der jüngste Wettbewerbssieg, der Kartal-Mas­terplan in Istanbul. Die Pressemap­pe listet dreißig Preise und Aus­zeichnungen, aktuell Professuren in Yale und Wien. 2006 widmete ihr das Guggenheim New York ei­ne ers­te umfassende Retrospektive; der Kunstmarkt reißt sich um Ob­ejkte, Modelle und Zeichnun­gen (auch eine Kölner Galerie widmet ihr im Januar eine Einzelausstellung).

Die Hadid-Dia-Show en­det mit dem Ausblick auf ihr »ideal house« für die Kölner Möbelmesse, wo die Architektin erneut als Designerin auftritt – denn »Architektur und Design sind für mich letztlich eins«. So wird man auf dem zentralen Messeboulevard ein typisches Hadid-Objekt antreffen: ein organischer Würfel, komplex und transparent, drinnen ein weißes, kurviges Wohnambiente für zukünftige Menschen. Direkt daneben wird das »ideal house« des japanischen Designpoeten Naoto Fukasawa stehen – ein Gegenentwurf? Fukasawa, per Videokonferenz aus Japan zugeschaltet, antwortet mit einem Meisterstück japanischer Höflichkeit auf die Frage, was er denn von Zahas Zukunftsvisionen halte: Das könne man nicht vergleichen. Er selber denke nicht viel an die Zukunft. Wenn er ein Ding in Gebrauch sehe, ziehe er daraus die Essenz und setze sie in Design um. Zaha mache völlig Neues, Dinge, die noch niemand gesehen hat. Da­rauf hätte man sich einigen können. Aber da hatte Hadid die Kon­ferenz bereits verlassen. Termine...



ZUR PERSON

Geboren 1950 in Bagdad, kam Zaha Hadid Ende der 70er Jahre nach London, studierte an der renommierten ­Architectural Association School of ­Architecture und gründete, nach drei Monaten im OMA-Office bei Rem Kool­haas, 1980 ihr eigenes Büro. Bekannt wurde sie mit Ausstellungsarchitekturen (1988 für die MOMA-Schau zum Dekonstruktivismus), spacigen Interior Designs und seit den 90ern als Architektin für öffentliche und private Auftraggeber weltweit. Ihre ­Tätigkeit ­umfasst Praxis, Forschung und Lehre. Neben zahlreichen Auszeichungen ­gewann sie 2004 als erste Frau den als »Nobelpreis für Architektur« ­bekannten Prizkerpreis.

Ideal house auf der imm cologne: ­15. bis 21.1.,
Messegelände Deutz, 9-18 Uhr, Publikumstage: Sa + So,
www.imm-cologne.de

»Zaha Hadid – selected works«, 15.1. bis 25.3.,
designer‘s gallery/gabrielle ammann,
Teutoburger Str. 27, 50678 Köln