Unsichtbar Teil I

Eins, zwei, drei, vier. Jeder fünfte Mensch in NRW lebt mit einer körperlichen, psychischen oder seelischen Behinderung. Menschen mit Behinderung machen damit einen wesentlichen Teil der ­Bevölkerung aus — und bilden trotzdem nach wie vor eine gesellschaftliche Randgruppe. Die Annäherung von Menschen mit und ohne Handicaps gelingt nur sehr langsam. Die gegenseitigen Berührungs­punkte sind selten, das Wissen ist gering. Das führt auf beiden Seiten zu Unsicherheiten. Die sind dann besonders groß, wenn man Betroffenen ihre Einschränkungen nicht auf den ersten Blick ansieht. Einer von ihnen hat an dieser Geschichte mitge­arbeitet: Klaus Fehling lebt seit über zehn Jahren mit Parkinson

Miteinander nebeneinander

 

Ein gemeinsames Leben von Menschen mit und ohne Behinderung ist nach wie vor nicht selbstverständlich. Es gibt zu viele Barrieren — und zu wenige Berührungspunkte. Die Kölner Behinderten-politik wird in den kommenden Jahren mit einem Katalog von konkreten Maßnahmen versuchen, Abhilfe zu schaffen.

 

 

Die Inklusion von Menschen mit Behinderung ist weder ein junges politisches Thema noch ein frisches gesellschaftliches Leitbild. Kaum jemand käme auf die Idee, sich gegen das gemeinsame und gleichberechtigte Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung auszusprechen. Tatsächlich aber spielt Inklusion im Leben der meisten nicht-behinderten Menschen keine Rolle. Was wiederum daran liegt, dass Menschen mit Behinderung in ihrem Leben keine Rolle spielen. Nach einer von der privaten Sozialorganisation Aktion Mensch in Auftrag gegebenen Studie hat jeder Dritte überhaupt keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderung. Jeder Zweite gab an, Menschen mit Behinderung nicht wahrzunehmen. In der Summe bedeutet das: Viele Menschen haben keinen Kontakt und wenig Wissen über Behinderungen.

 

 

Wie man für Menschen mit Behinderung sensibilisieren kann, veranschaulichte OB Henriette Reker am Internatio-nalen Tag der Menschen mit Behinderung 2014. Ihre Rede zum barrierefreien Wohnen hielt die damalige Sozial- und Umwelt-dezernentin in einfacher Sprache. Die Rede lag zudem verschriftlicht aus — übersetzt in Leichte Sprache. Letztere ist -mit klaren formalen Regeln die offizielle sprachliche Ausdrucksweise, die vor allem Menschen mit Lernschwierig-keiten das Verstehen erleichtern oder ermöglichen soll. Auch sie konnten Reker an diesem Tag problemlos folgen — gleichzeitig war es ein Symbol. Denn einer der Wege, Inklusion und Teilhabe zu beeinträchtigen, ist Sprache.

 

 

Dass es etliche Hindernisse gibt, die Menschen mit Behinderung ihr Mitwirken am gesellschaftlichen Leben erschweren, weiß in Köln kaum jemand besser als Günter Bell. »Mein Auftrag«, sagt der Behindertenbeauftragte der Stadt Köln, »ist es vor allem, mich für die Teilhabe derjenigen Menschen einzusetzen, denen die Selbstvertretung schwerer fällt als anderen.« Es gibt immense Unterschiede darin, als sein eigener Fürsprecher auftreten zu können. Während sich etwa Blinde über die vergangenen Jahrzehnte eine solide Lobby erarbeiten konnten, weil ihr Handicap ihnen das zwar erschwert, aber dennoch zulässt, fällt es Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen deutlich schwerer, selbst aktiv für ihre Belange einzutreten. An diesem Punkt ist die Arbeit von Politik und Verwaltung mit Hilfestellungen gefragt.

 

 

Im Jahr 2013 hatte die Stadtverwaltung die Kölner -Behindertenpolitik neu strukturiert. Die Fachstelle Behinderten-politik gehört seither zur Dienststelle Diversity, in der sich zudem die Fachstelle für Lesben, Schwule und Transgender sowie das Kommunale Integrationszentrum finden. Als die Planungen zur Zusammenlegung seinerzeit bekannt gegeben wurden, wurden sie von kritischen Stimmen diverser Institutionen und Initiativen für Menschen mit Behinderung in Köln begleitet. Sie fürchteten, dass die Zusammen-legung die jeweiligen Einzel-interessen, aber auch das finan-zielle Budget auf Dauer schwächen könnte. Inhaltlich hatte die Stadt dagegen unlängst die übergeordnete Gemeinsamkeit innerhalb der Dienststelle, die direkt dem Sozial- und Umweltdezernat um den neuen Dezernenten Harald Rau (siehe Interview auf S. 28) unterstellt ist, heraus-gearbeitet. Die liegt im Leitbild einer »respektvollen, wertschätzenden und vorurteilsfreien Verwaltungskultur«, zu der sich die Stadt Köln verpflichtete, als sie im August 2008 per Ratsbeschluss als erste deutsche Kommune überhaupt die Charta der Vielfalt unterzeichnete.

 

 

Um Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam in eine vielfältige Stadtgesellschaft einzubinden, wurde der -Kölner Behindertenpolitik jüngst ein umfangreicher Rahmen geschaffen. Im September stimmte der Rat dem neuen Handlungskonzept »Köln überwindet Barrieren — eine Stadt für alle« zu. Nachdem die erste Stufe des Konzepts im Zeitraum von 2012 bis 2015 fast ausnahmslos erfolgreich abgeschlossen werden konnte, wie die Bilanz des Projekts auswies, schließt sich die zweite Stufe nun mit einem Katalog von knapp 200 weiteren konkreten Maßnahmen an. Sie sollen bis ins Jahr 2020 umgesetzt werden und sind in elf verschiedenen Themen-felder aufgeteilt. In denen findet sich der Bereich ›Kinder und Jugend‹ ebenso wie die Themen Wohnen, Arbeit, Kultur und Sport. Die Anliegen sind so divers wie die Menschen, denen sie zugute kommen sollen. »Natürlich gilt: Je eindeutiger die Aufgabe, desto einfacher ist die Maßnahme umsetzbar«, so der Behindertenbeauftragte Bell. Einem Rollstuhlfahrer Zugang zu Kulturangeboten zu verschaffen, ist zwar unter Umständen mit baulichen Maßnahmen verbunden. Die aber können mitunter zielgerichteter realisiert werden als Maßnahmen, die einem Menschen mit kognitivem Handicap dienlich wären, um etwa einen Theater-besuch zu erleben. »Jeder Mensch ist ein Unikat und wir möchten schauen, wie wir ihm als Stadt zu möglichst umfassender gesellschaftlicher Teilhabe verhelfen können«, erklärt Bell.

 

 

Dass sich Köln als große Stadtgesellschaft dieser Herausforderung in besonderem Ausmaß stellt, glaubt er hingegen nicht. Es gebe keine Tendenz, dass es Menschen mit Behinderung aus der Region vermehrt in die Stadt ziehe. Dort sei die Infrastruktur zwar zumeist besser, »dafür ist aber auch die Anonymität größer«, so der Kölner Behindertenbeauftragte. »Auf dem Dorf muss man nicht jedem erklären, was mit einem los ist, da wissen es irgendwann alle und wissen auch, wie sie damit umgehen können.« Würden sich die Berührungspunkte von Menschen mit und ohne Behinderung -mehren, wäre das auch in der Stadt nicht anders.