Apropos Dampf und morbide Theken

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Apropos Frischetheken. Was soll an Schweinchen in Scheibchen und Käse, der wiedergekäut riecht, frisch sein? Sollte es nicht Morbidetheke heißen? Ach, das sind die geringsten Fragen, die ich mich dort frage. Immer sagen die Verkäuferinnen zu Kindern »Bekommter Fleischwurst?«, derweil sie schon das Gesicht des Kindes mit Putenwurstlappen samt Bärchen-Motiv beschatten. The Dark Side of the Huhn. Im Käsebereich der Frischetheke wird indes nie gefragt: »Bekommter Comté?« Warum nur Fleisch gratis? Will man den Nachwuchs vom Vegetarismus abhalten? Oder mögen die Frischethekenfrauen, die traditionell diakritische Zeichen im Namen französischer Käséspêzialitætèn missachten, nicht »Bekommter-kommte« stammeln, weil sich das anhört wie Mario Barth? Oder weil die Kunden vermuten, das Stammeln rühre von den in der Auslage nebst Plastikreben drapierten Rotweinpullen, die vor Dienstbeginn geext wurden? »Bekommter-kommte« sagt niemand. Warum? »Ist einfach so«, sagen die Menschen. »Frag nicht solche Fragen. Störe nicht die Ordnung. Schreib Antworten auf.« Hier aber schreibe ich und kann nicht anders: Warum bekommt der Kellner Trinkgeld und die Frischethekenfrau nicht? Warum gibt es keine Indianer mit Bart? Und warum keine Hipster ohne? Warum rauchen Frauen niemals Pfeife? 

 

Apropos Rauchen: Der Dampfer ist da. (Apropos »Apropos« und apropos Dampfer: Ich bin keineswegs auf dem falschen Dampfer, wenn ich mir anrechne, dass nie jemand laxer Apropose nutzte, um im Text voranzukommen und zugleich doch richtig bemerkte, dass sich ein neuer Typus Raucher etabliert: eben der Dampfer.) 

 

Dampfer sind Raucher, die gesünder rauchen wollen. Das ist allerhand. Deshalb nutzt der Dampfer ein neumodisches Rauch-utensil. Es schaut aus wie eine klobige, von Apple-Epigonen designte Zigarettenspitze: die iZigarette, nein: E-Zigarette. Daran schleckt der Dampfer wie Kinder an einer gerollten Bärchen-Putenwurst von der Frischetheke. Und auch der Dampfer denkt, dass er etwas -Frisches im Mund habe. 

 

Man ahnt erst nicht, dass Dampfer rauchen. Dampfer gleichen New-Wave-Discotheken: Erst alles normal. Dann — pffft — alles Nebel. Doch war der Trockeneisnebel in 80er-Jahre-Diskotheken leckerer. Er roch nach nix oder Gummibärchen. Man schlurfte zu modulierten E-Bassläufen über den Kachelboden einer Vorstadtdiskothek und atmete plötzlich nicht nur Lebensüberdruss, sondern auch Weingummi-Odeur. In der Nähe eines Dampfers hingegen atmet man plötzlich verbrauchten Tabak — kein zur Hookline drängender Basslauf bereitete uns darauf vor. Dampfer sind unberechenbar: Sie scheinen sich plötzlich in Rauch aufzulösen. Ich hätte nichts dagegen. Was wäre denn, wenn ich unvermittelt im Gedränge der Großstadt ein Weihrauchfässchen schwenkte — man nähme es mir weg! 

 

Dem Dampfer ähnelt der jugendliche Shisha-Raucher. Auch dieser glaubt, man könne gesund rauchen, weil der Rauch nach Gummibärchen schmeckt wie der Trockeneisnebel suburbaner Discos. Aber der Shisha-Raucher ist nicht mobil, sondern pflegt stationäres, ja, lethargisches Paffen. Er sitzt im Café vor einem Energy-drink, der auch nach Gummibärchen schmeckt, und schaut durch Flatscreens in eine Welt, die nur aus Werbespots, Erotik-Modenschauen und Champions-League-Wiederholungen besteht. Der Shisha-Raucher wurzelt in dieser Umgebung unbeweglich als schmauchender Vulkan. Die Mobilität und das Abrupte des Dampfers ist ihm wesensfremd. Wahrscheinlich mag er einfach nicht mit seiner monströsen Rauch-Apparatur durch die Innenstadt hasten wie der Dampfer, dessen Utensil handlicher ist. Apropos: handlich. Damit dieser Text handlich bleibt, endet er hier.