Nicht Bilbao, sondern Kölle: Der Entwurf für die Historische Mitte verliert seine Fürsprecher, Foto: Dörthe Boxberg

Kiste auf der Kippe

Die Kritik am Entwurf für die neue Historische Mitte am Dom wird lauter. Nicht nur von den Bürgern, sondern nun auch aus der Politik

Der Bau des Museums »Historische Mitte« am Roncalli-Platz steht auf der Kippe. Im letzten September hatte eine Wettbewerbsjury den Entwurf des Büros Staab Architekten zum Sieger gekürt. Er sieht zwei kubische Baukörper vor: einen schlanken Verwaltungsbau für das neue Kurienhaus sowie einen mächtigen kubischen Baukörper für das neue Kölnische Stadtmuseum und die Verwaltung des Römisch-Germanischen Museums (RGM). Vor allem an diesem Würfel hatte sich Kritik entzündet, zunächst in einer Online-Petition und Leserbriefen an die Kölner Tageszeitungen. Der Entwurf wurde als »Kiste« oder »Klotz« kritisiert, als »funktionalistisch« und »hermetisch«, jedenfalls der Domumgebung nicht angemessen. Inzwischen stimmen auch Teile der Politik in den Wutbürger-Chor ein. »Das ist ein austauschbarer Museumsklotz und nichts Einmaliges«, sagt Ralph Sterck, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Rat der Stadt. Dass Sterck in der Jury noch für den Entwurf gestimmt hat, ficht ihn nicht an. Das neue Großmuseum passe nicht in die derzeitige Spar-Debatte, so Sterck. Er plädiert dafür, das Stadtmuseum am alten Ort im Zeughaus zu belassen und zu sanieren. Mit dem Wettbewerbsgewinner Volker Staab könnte dann ein kleineres Ensemble aus Kurienhaus und RGM-Verwaltungsgebäude gebaut werden. Ganz anders die CDU. Niklas Kienitz, Fraktionsgeschäftsführer und Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses sagt: »Der Entwurf ist städtebaulich gut.« Und auch Michael Frenzel, der für die SPD im Stadtentwicklungsausschuss sitzt, ist nach wie vor vom Projekt des früheren Oberbürgermeisters Jürgen Roters (SPD) überzeugt: »Das Historische Museum halte ich städtebaulich für eine brillante Idee, unabhängig davon, ob man es realisiert.« Einig sind sich alle Befürworter mit der Jury, dass die Fassade noch überarbeitet werden müsse.

 

Daran verblüfft, wie gutgläubig die von der Jury prämierte städtebauliche Lösung akzeptiert wird. Die Aufteilung der »Historischen Mitte« auf zwei Baukörper und der Gewinn eines kleinen Platzes zwischen Kurienhaus und RGM hat nicht nur die missratene Gestaltung des Roncalli-Platzes zur Voraussetzung. Dieser neue Platz ist nur durch die Verschlankung des Kurienhauses (46x 16 Meter) zu gewinnen. Um trotzdem das geforderte Raumvolumen zu gewährleisten, muss der neue Museumsbau (40x 37 Meter) umso monumentaler werden. Der Bau negiert das wechselnde Höhenniveau der Straße Am Hof. Er stemmt sich mit einer Traufhöhe von 27,5 Metern am Kurt-Hackenberg Platz herrisch  gegen die Domplatte mit ihren abfallenden Rändern. Staabs Entwurf ironisiert so implizit Kölns anhaltendes Ringen um Freistellung oder Verdichtung der Domumgebung. 

 

Noch überwiegt die Zustimmung für den Entwurf. Doch das Murren ist unüberhörbar. »Ich würde mir wünschen, dass wir in Köln zu mutigeren Entwürfen kommen«, sagt selbst der Befürworter Michael Frenzel von der SPD, der nicht in der Jury abgestimmt hat. Teilnehmer des Preisgerichts berichten von Enttäuschung angesichts nahezu aller eingereichten Entwürfe für die Historische Mitte. Während die Architekten im vorgeschalteten Werkstattverfahren noch mutig gewesen seien, habe es im eigentlichen Wettbewerb nur Mittelmaß gegeben. Dass trotzdem ein Entwurf gekürt wurde, hatte offenbar mit der Dynamik innerhalb der Jury zu tun. Doch Staabs Triumph ist nicht in Stein gemeißelt. Wettbewerbe, so stellt Florian Hartmann, Geschäftsführer und Justiziar der Architektenkammer NRW, klar, müssten nach dem EU-Wettbewerbsrecht zwar mit Preisträgern enden. Es müsse aber mit allen drei Erstplatzierten über eine Überarbeitung verhandelt werden. Dann erfolgt eine erneute Bewertung nach festgelegten Kriterien. »Nach dem Vergaberecht muss der Drittplatzierte dann noch Erster werden können«, sagt Hartmann. Aus dem Rennen sind die Büros Caruso St. John und Durisch + Nolli also noch nicht.

 

Die Demarkationslinie für das Aus der »Historischen Mitte« wird von der Politik bei den Kosten gezogen. Wobei sich kein Politiker auf eine Summe festlegen will. Bei 120 bis 140 Mio. Euro lag der erste Aufschlag, derzeit arbeitet Staab Architekten (und hoffentlich auch die anderen Büros) an der Feinabstimmung ihres Entwurfs und der Kalkulation. Ein zweiter Knackpunkt durfte die Bau-Durchführung sein. »Ich traue das der Gebäudewirtschaft nicht zu«, sagt Ralph Sterck von der FDP. Nicht nur sein Vertrauen in die Stadtverwaltung ist aufgrund der Probleme bei den Bühnen, aber auch beim Schulbau gering.

 

Es wäre zu einfach, die Reaktionen der Politik als Wahlkampfgetöse oder Populismus und die Bürgerproteste als antimoderne Haltung abzutun. Niklas Kienitz (CDU) stellt im Gespräch die rhetorisch gemeinte, aber wichtige Frage, ob Köln eher einen neutralen Bau oder den Bilbao-Effekt wolle. Damit sind zwei Tendenzen zeitgenössischer Museumsarchitektur angesprochen: Zum einen die Opposition zwischen dem funktionalen Bau, der sich der Kunst unterordnet, und dem ikonischen Bau, der selbst Kunst sein will. Also: Volker Staabs »Kiste« oder Frank Gehrys Bauskulptur im spanischen Bilbao. Zum anderen fungieren vor allem skulpturale Bauten im urbanen Aufmerksamkeitsmanagement nicht nur als städtische Wahrzeichen, sondern auch als Identitätsstifter. Der Aufschrei der Bürger könnte also  auch einen psychologischen Grund haben: Es fehlt im kölschen Architektur-Mischmasch an identitätsstiftenden Bauten der Moderne. Die Kluft zwischen der zeitgenössischen Architektur und den Bürgern sei »durch das Originalitätspathos« größer geworden, sagt Wolfgang Sonne, Architekturhistoriker an der TU Dortmund. Dahinter verberge sich ein Problem der Sprache, die sich nicht mehr auf konventionelle Formen zurückbeziehen lasse. Andererseits gäbe es Avantgarde, die durchaus auf Gegenliebe stoße — wie die Oper in Sydney oder eben Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao. Es sind offenbar eher skulpturale Bauten, die diese Identifikation anbieten können. »Bauten, die vor allem funktional sein wollen, sind für öffentliche Kulturbauten daneben«, sagt Wolfgang Sonne. »Da ist die Anspruchslinie klar unterschritten.« 

 

Eine weitere Kluft tut sich schließlich auf zwischen der Funktionalismus-Schelte der Bürger und dem Lob des Preisgerichts für die angebliche Zurückhaltung des Staab-Entwurfs gegenüber dem Dom. Es gehört zu einer verbreiteten Illusion, dass geometrische Grundformen, die Schmucklosigkeit der Fassade oder die Geschlossenheit des Baukörpers Mäßigung  signalisierten. Das Pathos der Reduktion bei Staab ist unübersehbar. In Zukunft demonstrieren gleich drei Baukörper, das RGM, die »Historischen Mitte« sowie das Hotel Mondial am Dom die Macht des Orthogonalen. Insofern fügt sich Staabs Entwurf in den Bestand ein — nur eben nicht in den historistischen. Wer in die Bau-Geschichte Kölns schaut, erlebt dort ein verblüffendes Déjà-vu: Als die Stadt nach Fertigstellung des Doms einen neuen Hauptbahnhof plant, gewinnt 1888 Georg Frentzen mit einem an den Dom angelehnten neogotischen Entwurf zwar den Wettbewerb. Die Preußische Akademie für Bauwesen verlangt jedoch die Ausführung im Stil der Neo-Renaissance — mit folgender Begründung: »Es muß als ein Irrtum bezeichnet werden, daß die Nachbarschaft hervorragender Bauwerke dazu nöthige, neue, ganz anderen Zwecken dienende Bauten in demselben Stil zu halten, wie jene.«