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Endlich vorbei!

Die Rede vom Untergang des Kapitalismus ist so alt wie der ­Kapitalismus selbst. Aber in letzter Zeit hat sich der Ton ­geändert: Früher waren es Revolutionäre und Außenseiter, die sein Ende als Apokalypse oder Heils­bringung beschworen haben. Die heutigen Untergangsanalytiker geben sich betont ­realistisch und skizzieren den Übergang zum »Postkapitalismus« kleinschrittig. Wir haben die Abschieds­reden auf den Kapitalismus von Wolfgang Streeck und Michael Hudson ge­lesen, mit Paul Mason gesprochen, der den vielleicht durch­dachtesten Vorschlag für eine postkapitalistische Welt vorgelegt hat, und uns an der ­Kölner Basis der solidarischen Öko­nomie umgeschaut.

 

 

 

Es ist derzeit leicht, sich das Ende der Welt vorzustellen. In den USA wird ein rassistischer Aufschneider, der mit sexuellen Übergriffen prahlt, zum Präsidenten gewählt. Er lockert die Bankenregulierung, vergibt Ministerposten an potenzielle Geschäftspartner aus der Wirtschaftelite und bewirbt aus dem Weißen Haus heraus die Modekollektion seiner Tochter. Sein Chefberater Steve Bannon schwelgt in nationalistischen Zerstörungsphantasien gegen den bürger-lichen Staat, und Trumps wichtigste Verbündete, die britische Premierministerin Theresa May, nutzt das Brexit-Votum, um ihr Land noch stärker zum Spielplatz der internationalen Finanzmärkte zu machen. Fox News, Breitbart und die Daily Mail begleiten Trumps Präsidentschaft mit dumpfem Pathos, wenn das nicht reicht, tweetet der Präsident halt in Großbuchstaben: MAKE AMERICA GREAT AGAIN.

 

Aber was, wenn diese Gesten von Glanz und Gloria nur die Vorboten der nächsten Krise sind? Fast ein Jahrzehnt ist es her, dass die Finanzmärkte kollabierten. 13 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung gingen verloren, der Welthandel schrumpfte um 20 Prozent. Wirklich erholt hat sich die Weltwirtschaft davon nicht. Zwar reagierte die herrschende Lehre mit einem »Weiter so!« auf die Krise, aber im Schatten dieses überdrehten Triumphalismus ist viel darüber nachgedacht worden, warum sie entstanden ist und wie man verhindern kann, dass sie sich wiederholt. Die interessantesten Ideen entstanden bei Renegaten aus dem Finanzsektor, bei Beobachtern der Proteste gegen die Sparpolitik der Eurozonen-Troika oder in den Seminaren prekärer Politikwissenschaftler. Im Frühjahr 2017 ist es leicht, sich das Ende der Welt vorzustellen — das Ende des Kapitalismus aber auch.

 

 

 

Der erste Kronzeuge dafür ist der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut. In Talkshows gab Sinn lange den backenbärtigen Trommler für Neoliberalismus und »Agenda 2010«. Mittlerweile zitiert er wieder Karl Marx — und zwar im Herzen des Bildungsbürgertums, der Zeit: »Marx vermutete, dass die fallende Profitrate irgendwann den Punkt erreichen werde, an dem die Rendite für die Unternehmen zu gering sei, um noch Investitionen zu wagen. An diesem Punkt komme es zu einem Investitionsstreik, der die Wirtschaft in eine Krise stürze.« Allerdings sieht Sinn in der Krise nicht die Chance für einen Durchbruch zum Sozialismus, er will sie nutzen, um eine »schöpferische Zerstörung« in Gang zu setzen, die verkrustete Kapitalstrukturen beseitigt und Platz für einen neuen unternehmerischen Geist schafft. Bei Hans-Werner Sinn muss der größte Kritiker der politischen Ökonomie am Ende doch für ein »Weiter so!« herhalten.

 

Dabei mehren sich die Stimmen, die vermuten, dass nach der großen Wirtschaftskrise 2008 die inneren Widersprüche den Kapitalismus vor faktisch unlösbare Pro-bleme stellen. Der Kölner Soziologe Wolfgang Streeck, von 1995 bis 2014 Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, den viele für einen biederen Sozial-demo-kraten auf Schröder-Linie hielten, überraschte 2012 mit einer Untergangsdiagnose, die er aktuell in seiner Aufsatzsammlung »How Will Capitalism End: Essays on a -Failing System« fortführt. Weil die Plusmacherei keine Grenzen kennt, beginnt sie, die sozialen und politischen Institutionen zu zersetzen, die die Konsolidierung des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg erst ermöglicht haben. Sozialstaat und demokratische Kontrolle werden von den Strategen des Kapitals als hinderlich attackiert. Das Erfolgsrezept der Nachkriegszeit — die Kopplung von Demokratie und Kapitalismus — löse sich auf, konstatiert Streeck. Der Kapitalismus entlässt sich selbst in die Hemmungslosigkeit. 

 

Der amerikanische Ökonom Michael Hudson, der als Finanzanalyst lange Jahre an der Wall Street gearbeitet hat und 2006 die Immobilienkrise exakt vorhersagte, hat in »Der Sektor. Warum die globale Finanzwirtschaft uns zerstört« ebenfalls ein düsteres Bild des Kapitalismus gezeichnet — dem auch keine schöpferische Zerstörung mehr helfe: Spätestens seit den Regierungsantritten von Margaret Thatcher (1979) und Roland Reagan (1981) verschärft sich die Krise des Kapitals. Beide stehen für den Beginn der Deregulierung der Wirtschaft — für die Auf-hebung der regulierenden und »rentiersfeindlichen« Gesetze, die als Konsequenz aus den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre erlassen worden waren. Seitdem hat es in den westlichen Staaten keinen Bruch mit dieser Regierungslinie gegeben. Aufgrund des tendenziellen Falls der Profitrate — Hudson deutet in einigen Zahlenbeispielen an, dass es tatsächlich die niedrige Profitrate ist, die den Aktivismus des Finanzsektors erst richtig in Schwung gebracht hat — ist das Kapital immer stärker gezwungen, sich auf kurzfristige Profite zu konzentrieren. Weg von den langfristigen Investitionen in Indus-trieanlagen, hin zu sogenannten »rent-seeking-Anlagen«, also Zinseszins-Geschäften, Privatisierung öffentlichen Eigentums etc. Diese kapitalistische Dynamik zeigt sich in zunehmendem Maße nicht nur als ökonomischer Furor, sondern auch als tiefgehender gesellschaftlicher: kein Bereich, der nicht ökonomisiert und »evaluiert« würde. 

 

 

 

Ein prägnantes Beispiel für die Jagd nach kurzfristigen Profiten ist der Aufkauf von eigenen Unternehmensaktien, um den Wert des Unternehmens zu steigern. Zwischen 2003 und 2012 haben 449 der im Aktienindex Standard’s & Poor 500 aufgeführten Unternehmen 54 Prozent ihrer Erträge (2,4 Billionen Dollar) für den Rückkauf der eigenen Aktien aufgewendet, bei einer Dividendenausschüttung von 37 Prozent. Eigenkapital der Industrieunternehmen wird durch Schulden ersetzt, da seit den 80er Jahren Zinszahlungen von der Steuer absetzbar sind.

 

Hudson erinnert daran, dass es historisch immer wieder, auch im Kapitalismus, zu einer Schuldenannullierung gekommen ist, die sich später als Jungbrunnen erwiesen hat, dass aber seit einigen Jahrzehnten keine Schulden mehr erlassen werden. Er wertet das als fundamentale Systemkrise, der Kapitalismus ist zu keinen größeren Innovationsschüben, die sich erst langfristig auszahlen könnten, mehr fähig. Er frisst seine eigene Zukunft.

 

Sinn, Streeck, Hudson — etablierte Wissenschaftler aus dem Establishment: Sie reden vom Ende des Kapitalismus, aber in einem nüchternen, geradezu abgeklärten Ton. 2011 klang das noch ganz anders, da war es das legendäre »Unsichtbare Komitee« aus dem idyllischen französischen Hinterland, das den »Kommenden Aufstand« herbei-fieberte. Diese Proklamation fiel wundersamerweise mit dem arabischen Frühling und der weltweiten Occupy-Bewegung zusammen. Stand die Revolution unmittel-bar bevor?

 

 

 

Der britische Wirtschaftsjournalist Paul Mason hat für die BBC die Finanzkrise und die daran anschließenden Aufstände auf den Plätzen in Nordafrika, Ägypten, Griechenland, Spanien und New York begleitet. Er wurde zum Chronisten der Revolten, schaute aber auch über den Tellerrand dieses fröhlichen Anarchismus hinaus. Heute identifiziert er ähnlich wie Michael Hudson die Finanzialisierung als ein Symptom für eine weiterreichende Krise des gegenwärtigen Kapitalismus. Sie zeigt sich auch in der internationalen Politik, wo sich die Handelsungleichgewichte zwischen den einzelnen Staaten als »Designfehler der Globalisierung« erweisen würden. Während Deutschland, China und Japan sich über ihre Exporte aus der Krise befreien können, steht Staaten wie Griechenland diese Option nicht offen. Sie müssen sich verschulden, und sobald sie diese Schulden nicht mehr bedienen können, zwingen ihnen die Institutionen des Weltwährungssystems ein Spar-Regime inklusive der privaten Kapitalbildung durch den Verkauf öffentlicher Güter auf. 

 

In seinem Buch »Postkapitalismus« macht Mason sich auf die Suche nach den tieferen Ursachen der Krise des Kapitalismus und entdeckt sie darin, dass die Technologie zu einem Fall der Profitrate führen kann. Die Produkte des Informationskapitalismus lassen sich fast ohne Kosten kopieren — egal ob es sich um das Open-Source-Betriebssystem Linux, einen genetischen Code oder um eine millionenfach aus dem Netz geladene Folge von »Game of Thrones« handelt. Um sie profitabel zu machen, müsste man sie künstlich verknappen. Die Automatisierung der mechanischen und kognitiven Arbeit trägt zudem dazu bei, dass für die Produktion immer weniger Menschen in Fabriken und Büros gebraucht werden. Hinzu kommt ein externer Schock: »Wenn der Klimawandel real ist, ist der Kapitalismus am Ende.« Ob Spritpreise oder Emissionshandel, der Markt alleine sende keine Signale, die dazu beitrügen, den Klimawandel nachhaltig zu verlangsamen. 

 

 

 

Über den Kapitalismus wird in der Theorie viel gestritten, in der Praxis entpuppt sich jedoch ein altes Unbehagen als unmittelbar evident: die Sinnlosigkeit kapitalistischer Lohnarbeit. »Einige, die mittlerweile auch hier arbeiten, sehen keinerlei Sinnhaftigkeit in dem Job, den sie Tag für Tag machen müssen«, sagt Katharina Schwartz vom Colabor in Ehrenfeld. »Sie möchten sich gerne gesellschaftlich sinnhafter betätigen.« Während sie das erzählt, baumelt über ihr eine in sich verdrehte Energiesparlampe,  auf dem Konferenztisch vor ihr steht eine Flasche des Mineral-wassers einer Non-Profit-Organisation, die sich für eine bessere Wasserversorgung im globalen Süden einsetzt. Das Colabor ist ein Coworking-Space, ein Großraumbüro für Freiberufler, aber kein beliebiges. »Hier arbeiten -Menschen, die eine Wertehaltung teilen und an ökosozialen Projekten arbeiten«, erklärt Martin Herrndorf, der das -Colabor mitbetreibt. Diejenigen, die sich dort einen Schreibtisch mieten, entwickeln Unterrichtsmaterialien zum Thema Nachhaltigkeit, arbeiten für die Fairwear Foundation oder beraten bei umweltrechtlichen Fragen in der Entwicklungsarbeit. »Wir sind eine Blase von Menschen, die ein ähnliches Mindset haben«, sagt Katharina Schwartz,  Herrndorf ergänzt: »Es ist eine Art Supportnetzwerk als Ersatz für Strukturen, die gerade wegbrechen: Kirchen, Gewerkschaften oder Unternehmen mit Jahresplan. Von Prekarität sind ja nicht mehr nur die Freiberufler betroffen.« 

 

Auch im Colabor macht man sich Gedanken darüber, was Solidarität heute meinen könnte. Immer wieder werfen die beiden Mitbetreiber das Wort »Selbstorganisation« in die Runde, gemeint sind damit die naheliegendsten Verhältnisse: Nachbarschaftssolidarität zum Beispiel. »Selbstorganisation muss man lernen«, sagt Katharina Schwartz. »Die Solidarische Landwirtschaft oder Food-sharing sind da vielversprechend, weil sie Menschen organisieren, die noch nicht organisiert sind.« Das gemeinsame Einkaufen direkt beim Bauern oder die Vermittlung von Lebensmitteln, die Läden nicht mehr verkaufen wollen, sind Angelegenheiten, die vielen unmittelbar sinnvoll erscheinen, für die sie sich gerne engagieren, auch wenn damit kein unmittelbarer ökonomischer Nutzen verbunden wird. Es sind erste Berührungspunkte mit einem Leben, das sinnstiftend sein kann, aber konsequent -umgesetzt auch weniger Raum für Bequemlichkeit ließe. Schließlich ist eine der häufigsten Erfahrungen, die das selbstorganisierte Leben und Arbeiten schon seit der Alternativbewegung begleiten, das Scheitern — an den eigenen Ansprüchen oder an äußeren Umständen.

 

Lars Lange hat damit Erfahrungen. Er hat sich in der Kolbhalle in Ehrenfeld engagiert und wollte ein Gemeinschaftsfeld in Widdersdorf bewirtschaften. Mittlerweile hat er mit Bekannten »Tante Lemi«, eine Konsumgenossenschaft für Lebensmittel, gegründet — in Mönchengladbach. »In Köln haben wir keine Räume dafür gefunden«, erzählt er. 250 Menschen sind bei »Tante Lemi« organisiert, sie können deshalb dort günstige regionale Lebensmittel erwerben — zu 23 Prozent über dem Einkaufspreis. »Das ist so günstig, dass wir auch viele Leute aus der Nachbarschaft erreichen, die keinen großen Bezug zu solchen Projekten haben«, erklärt Lange. Als nächstes steht bei »Tante Lemi« ein Umzug an, die Stadt Mönchengladbach hat der Initiative kostenlose Räume in der Altstadt zur Verfügung gestellt.

 

 

 

Genau das ist auch Aufgabe der öffentlichen Hand — wenn es nach Paul Mason geht. Der Journalist wünscht sich ein großangelegtes staatliches Programm zur Förderung des Nicht-Markt-Sektors, zum Nulltarif: ohne Arbeit, ohne Emissionen und ohne Grenzkosten. Mason formuliert damit einen Prämisse, die von Linken in den letzten zwei Jahrzehnten vernachlässigt worden sei: Der Staat müsse als politischer Kampfplatz wiederentdeckt werden. Die No-Globals vor fünfzehn Jahren oder kürzlich erst die Occupy-Bewegungen haben dagegen eine nicht-hierarchische, horizontale Organisationsform propagiert, die mit dem vertikal organisierten Staat inkompatibel ist. Als »Folk Politics« kritisieren die britischen Politikwissenschaftler Nick Srnicek und Alex Williams in ihrem Buch »Die Zukunft erfinden. Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit« dieses Vorgehen: ein »gesunder Politikverstand«, der spontane Aktionen weitsichtiger und strategisch gedachter Politik vorzieht. Manchmal klingen die beiden jungen Briten nach verbitterten Altlinken, etwa wenn sie eine vertikale Organisationsform als Mittel fordern, um die Wirtschaft zu steuern. Dabei sehen sie gerade in dieser zentralen Forderung ein Mittel, die Arbeitszeit für alle zu verkürzen, weil Ressourcen dank der breiten Verfüg-barkeit von Daten effizienter zugewiesen werden können.

 

Williams und Srnicek sind in ihren Zielen klassisch kommunistisch: radikale Verkürzung der Arbeitszeit, -Kritik der Arbeitsteilung. Aber: »Natürlich hätten wir unser Buch auch der kommunistischen Idee widmen können, aber dann hätten wir in Kauf genommen, dass die meisten Leute diese Idee mit Gulags und autoritärer Ein-Parteien-Herrschaft assoziieren. Als Autoren stünden wir unter einem permanenten Rechtfertigungsdruck«, erzählt Nick Srnicek im Interview. Er sieht sich in den neuen linken Bewegungen, die sich um die Kampagnen für Jeremy -Corbyn oder Bernie Sanders und innerhalb des spanischen Podemos-Wahlbündnisses gebildet haben, bestätigt: Junge Leute, die technologisch aufgeschlossen sind und die gesellschaftlich radikal empfinden, aber sich nicht mehr einer fernen Revolution verschreiben, sondern jetzt was verändern wollen.

 

Das unterscheidet Srnicek und Williams von Kapitalismuskritikern wie Michael Hudson, dessen politische Schlussfolgerungen konservativ sind. Er plädiert für eine starke Besteuerung der Kapitalerträge sowie der Renten, um zu verhindern, dass sie hohe Zinsen abwerfen, und dafür, dass »natürliche« Monopole wie Post, Eisenbahn oder Stadtwerke wieder öffentliches Eigentum werden sollen. Um diese Ziele zu erreichen, schwebt ihm ein nationales Bündnis von Industriekapital und Arbeiterbewegung vor, die gemeinsam gegen den Finanzsektor vorgehen -sollen. Für Srnicek ist das ein Anachronismus: »Ich unterscheide zwischen zwei Arten von Reformen: Die eine Art mag den Leuten Erleichterungen oder materielle Vorteile bringen, aber sie erweitert nicht ihren Handlungsspielraum, sie dient nicht ihrer Selbstermächtigung. Die andere Art von Reformen zielt genau darauf ab: die Handlungsmacht der Leute zu stärken. Wenn einige Kapitalismus-kritiker für einen Neokorporatismus plädieren, dann wäre das eine Reform im ersteren Sinn.« Ein bedingungsloses Grundeinkommen dagegen würde viel mehr Menschen die Möglichkeit geben, sich außerhalb von Arbeit und Ausbeutung zu stellen, findet Srnicek. Er will die Entkoppelung, damit die Leute sich gesellschaftliche Freiräume erkämpfen können, um sie als Ausgangspunkt für selbstbestimmte Vernetzungen zu nutzen.    

 

Aber gerade dort, wo die Kritik am Angestelltendasein bereits ausgeprägt ist, stößt das Grundeinkommen nicht immer auf Gegenliebe. »Ich finde das Grundeinkommen schwierig, weil die Leute sich damit zurücklehnen können«, erklärt Katharina Schwartz vom Colabor. »Man sollte das Geld lieber nutzen, um Arbeit besser zu entlohnen, die gebraucht wird, aber schlecht bezahlt ist — in der Pflege oder in der Kindererziehung.« Und Martin Herrndorf ergänzt: »Es gibt das Phänomen der Bullshit-Jobs. Je -weniger sinnhaft eine Arbeit ist — etwa im Qualitäts-management oder bei Investmentbanken —, desto besser wird sie bezahlt.« Er selbst könnte sich vorstellen, erstmal die Zuverdienstregelungen bei Hartz-IV-Empfängern zu lockern. »Das wäre ein pragmatischer Schritt in Richtung Grundeinkommen.« 

 

 

So leicht kommt man also nicht zusammen. Aber vielleicht muss es auch nicht so sein. Schließlich ist fast allen, die im Moment über das Leben jenseits des Kapitalismus nachdenken, gemeinsam, dass sie nicht glauben, dass nur ein Weg dorthin führen kann, sondern dass es darum geht, Alternativen wieder denken zu können — und sie zu prakti-zieren, auch wenn die ersten Schritte klein sind. In Ehrenfeld unterstützt man sich bei ökosozialen Projekten, Paul Mason wünscht sich eine Allianz von Open-Source-Programmierern und Sozialwissenschaftlern. Und Nick Srnicek hält an der Systemüberwindung fest: »Es geht uns darum, all die unterschiedlichen Erfahrungen von Aus-beutung und Entfremdung zusammenzubringen und den Gegner, die gesellschaftlichen Eliten, klar zu benennen. Wir wollen die Leute nicht zusammenbringen, damit sie dieses oder jenes Anliegen besser verfolgen können, sondern wir wollen klar machen, dass es einen grundlegenden Widerspruch in dieser Gesellschaft gibt, der radikal überwunden werden muss.«