Café statt Schmuddelecke
Seit Jahren spitzt sich die Situation zu: Kanülen und Alufolie in U-Bahn-Eingängen, auf Grünstreifen und hinter Bauzäunen zeugen vom Drogenkonsum rund um den Neumarkt. Nachdem die Verwaltung im vorigen Sommer vor »Verelendung« der drogenabhängigen Männer und Frauen am Neumarkt warnte, beschloss der Stadtrat, einen »Drogenkonsumraum mit Beratungsangebot« einzurichten. Der gemeinnützige Träger Drogenhilfe Köln soll ihn betreiben. 800.000 Euro im Jahr stehen dafür bereit. Anfang des Jahres sollte es losgehen. Doch fand sich kein geeigneter Raum, trotz intensiver Suche, an der sich auch Politiker in ihrer Freizeit beteiligten. Nun aber verkündete Sozialdezernent Harald Rau, man sei mit einem Eigentümer in vielversprechenden Verhandlungen. Bis zur Eröffnung werden dennoch Monate vergehen. Thomas Hambüchen, Geschäftsführer der Drogenhilfe, hofft, dass der Raum bis zum Winter in Betrieb gehe: »Das wäre schön, weil es dann auch kalt wird.« Bei Redaktionsschluss wartete er noch auf mehr Details, auch die Adresse kann wegen laufender Verhandlungen noch nicht bekanntgegeben werden. Dem Vernehmen nach handelt es sich wohl um ein Ladenlokal in der Thieboldsgasse 146.
Dass die Suche so lang dauerte, liegt nicht nur an der geringen Bereitschaft von Immobilieneigentümern, sondern auch an den gegensätzlichen Interessen von Polizei, Stadt und Sozialarbeitern. Die Polizei verweist zwar auf die Zuständigkeit der Stadt. Doch ohne den Segen von Polizeipräsident Jürgen Mathies wollte sich niemand auf einen Standort festlegen. Die Drogen sind illegal, der Handel wird von seinen Beamten bekämpft. Zuvor hatte Mathies einen Raum direkt am Neumarkt abgelehnt. Er billigt nur einen Drogenkonsumraum, der deutlich vom Neumarkt entfernt liegt. Einerseits Druck auf die Dealer ausüben, andererseits den Süchtigen das Gefühl geben, ihren Stoff in Ruhe und bald nach dem Kauf konsumieren zu können — dieser Spagat soll nun in einer Seitenstraße gelingen.
Die Anforderungen an die Räume waren auch ohne die Vorgaben der Polizei hoch — von der spärlichen Bereitschaft der Vermieter einmal abgesehen. Denn mindestens 160, besser 180 bis 200 Quadratmeter, seien nötig, sagt Anne Bunte, Leiterin des Gesundheitsamtes. Außerdem sollte der Raum mit Rollstuhl und Rollator erreichbar sein. Angesichts der Immobilienpreise nördlich des Neumarkts — und abgesehen vom Widerstand, der von Ladeninhabern dort zu erwarten gewesen wäre — waren die Optionen örtlich begrenzt.
Der Bedarf ist hoch. »Es gibt in Köln erschreckend wenig Plätze«, sagt Anne Bunte. Seit 2001 betreibt der Sozialdienst katholischer Männer (SKM) den bis dato einzigen Drogenkonsumraum am Hauptbahnhof. Der aber ist für die Szene am Neumarkt zu weit entfernt; ein weiteres Angebot, abgelegen in Deutz, wurde mangels Nachfrage vor Jahren eingestellt. Angeschlossen an die Einrichtung des SKM sind Hilfsangebote wie die »Kölner Feger«: Menschen, die mit Ersatzstoffen von den harten Drogen loskommen wollen, kehren und sammeln Müll ein, unter anderem rund um den Neumarkt. Auch der geplante Drogenkonsumraum soll letztlich den Ausstieg einleiten, niedrigschwellig.
Der Vorstand der Drogenhilfe übernimmt die Haftung und stellt das Personal ein. Die anderen Träger beteiligen sich an den Beratungsangeboten. Von der Höhe der Miete wird auch abhängen, wie oft der Raum besetzt und geöffnet sein kann. Eine Verordnung regelt, dass der Zugang kontrolliert wird und nicht gedealt werden darf. Die Süchtigen werden untersucht, auch um Überdosen zu verhindern. Eine Aufsicht hat die Plätze im Blick, an denen Heroin geraucht oder gespritzt werden kann. Per Knopfdruck kann Hilfe gerufen werden. Ein Café soll der Entspannung, aber auch der Beratung dienen.
So könnte der Raum für Suchtkranke der Gegenpol zum Stress auf dem Neumarkt werden. Marco Jesse vom Drogen-Selbsthilfe-Verein Vision, der neben dem SKM und der Aids-Hilfe das Angebot unterstützen wird, beobachtet, dass gegen die Szene »vermehrt repressiv« vorgegangen werde. Jesse verweist auf unterschiedliche Ziele: Die Polizei müsse Anwohner und Passanten schützen, die Hilfseinrichtungen den Schaden für die Suchtkranken verringern. »Sie von der Straße zu bekommen, ist für uns eher ein Nebeneffekt«,
sagt Jesse.
Das Angebot wird keine Wunder bewirken. Die Probleme sind komplex. Was sich laut Jesse in den vergangenen Monaten deutlich verschärft hat: Die Mitarbeiter des Vereins hätten überhaupt keine Chance mehr, Wohnungen für ihre Klienten zu finden. Wem gekündigt wird, stehe nun schnell auf der Straße. Dann verlagere sich der gesamte Tagesablaufs ins Freie. »Eine Eskalationsspirale, die nichts Gutes verspricht«, sagt Jesse. Hambüchen von der Drogenhilfe hält das Problem nicht für akut. Die Notschlafplätze der Drogenhilfe etwa seien nicht stärker ausgelastet als früher. Dennoch: Gut, dass ein Raum am Neumarkt in Sicht ist, an dem sich Suchtkranke jenseits der Schmuddelecken aufhalten können. Doch die nächste Suche bahnt sich an. Die Bezirksvertretung Kalk fordert für ihren Stadtteil ein vergleichbares Angebot.