In der Petrischale nach Porz
Die Bahn fährt ein, und im Gekreisch von Metall auf Metall, das vom Gleis emporsteigt, meine ich zu hören: The magical mystery tour is coming to take you away. Das sangen die Heizpilze vom Swimmingpool... ach, Quatsch: die Pilzköpfe von Liverpool. Ich bin schon ganz durcheinander. Der Song gilt als LSD-Hymne, aber vielleicht dachten die Beatles auch an die KVB. Psychedelic — auf dem Kunstmarkt längst ausgemustert — steht in Bussen und Bahnen offenbar hoch im Kurs. Wie wurde mir doch so ganz anders, als ich zum ersten Mal die Stoffbezüge der Sitze betrachtete. Der Begriff »Stoff-Bezug« bekam einen ganz neuen Sinn. Diese Bezüge sind Rauschgift. Wer länger darauf blickt, kommt auf einen Horror-Trip. Es ist ein Wimmeln, das an Gewürm erinnert oder an den Blick durchs Mikroskop auf einen schwerwiegenden bakteriellen Befall. Wer auf diesen Sitzen Platz nimmt, gondelt gewissermaßen in einer textilen Petrischale nach Porz-Mitte oder womöglich gleich ins Wolkenkuckucksheim, wo Alice hinter den Spiegeln ihr Kaninchen füttert. Magic Carpet Ride 2017.
Warum überhaupt Stoff-Bezüge in Bussen und Bahnen? Haben höhere Wesen dies den Vorstandsvorsitzenden der Verkehrsunternehmen eingeflüstert? War es der klandestin agierende Lobbyverband der Hausstaubmilben, der Einfluss nahm? Warum wird der Hartplastik-Schalensitz verschmäht? Und wenn man ihn sieht, was bedeuten dann die mysteriösen Rippenmuster, die seiner Lehne eingeprägt sind?
Mir wird blümerant, als hätte ich LSD genommen. LSD machte schon die Hippies verrückt. Die meisten glaubten, fliegen zu können und sprangen aus dem Fenster. Die übrigen LSD-Hippies lebten weiter, aber mit der lästigen Überzeugung, dass in ihrem Kopf Adler, Engel oder altkluge Ahnen wohnten, die sie mit Bonmots aus den ewigen Jagdgründen versorgten. Solche Sachen. Albert Hofmann, Entdecker des LSD, muss sich für diese Trottel irgendwann, wie man heute sagt: fremdgeschämt haben. Er schrieb einen Bestseller: »LSD — mein Sorgenkind«. Mein Buch hieße »KVB — mein Sorgenkind«. Ja, ich nehme KVB, fast jeden Tag. Einsteigern rate ich zu einer geringen Dosis (Linie 5); man sagt, wer Linie 16 nehme, käme nie oder als ein gänzlich anderer zurück. Aus dem Fenster springen kann man zum Glück nicht. Die Fenster sind auch bei
50 Grad Celsius fest verriegelt.
Dennoch: Die Gefahr, die von diesen halluzinogenen Stoff(bezüg)en ausgeht, ist akut. Man kommt nicht mehr davon los. Physisch nicht, weil man in einem feucht-warmen Biotop aus Textil, Cola Light und Körperflüssigkeiten festklebt; und psychisch nicht, weil sich unser Geist in einen Treibsand flirrender Farben und Formen begibt. Sind die Stoffmuster womöglich das bildgebende Verfahren zur Darstellung der Weltformel? Der Mensch ist auf Mustererkennung angelegt, er kann nicht anders. Aber hier wird es kniffelig: Gegen diese Sitzbezüge wirken orientalische Teppiche so öde wie Bauhaus. Ist es bloß textilgestalterischer Mindfuck?
Offiziell heißt es, diese schludrig ausgeführten Arabesken sollten Fahrgäste abhalten, mit Filzschreibern auf die Sitze zu kritzeln — weil die Bezüge ja schon serienmäßig bekritzelt sind. Mit der Logik könnten man auch werkseitig Milchkaffee in die Sitze einmassieren, damit es die Fahrgäste nicht tun. Da stimmt was nicht.
Meine Theorie: Der verkehrsunternehmerische Komplex will uns einlullen. Wir sollen weich sitzen und uns im Gewimmel dieser Sitzbezüge verlieren — damit wir nicht mehr nachdenken über Fahrpreiserhöhungen, lange Wartezeiten und die Gehälter des Vorstands. Ich bin für straight edge im öffentlichen Personennahverkehr. Stay away from drugs! Geh zu Fuß! Wenn es sein muss auch nach Porz.