Hört! Uns! Zu!
Es sind mehr, als man denkt: Etwa 170.000 Kinder und Jugendliche leben in Köln, das sind rund 17 Prozent aller Einwohner. Doch sie haben keine Stimme. SPD und Grüne wollen das ändern. Es öffne sich gerade ein Zeitfenster dafür, sagt Kirsten Jahn, Fraktionschefin der Grünen. Partizipation ist ein wichtiger Baustein der Verwaltungsreform, die Rainer Heinz im Büro von Oberbürgermeisterin Henriette Reker gerade organisiert. Außerdem entwickeln Bürger, Politiker und Verwaltungsmitarbeiter derzeit Leitlinien für zukünftige Beteiligungsverfahren (siehe Seite 8).
Ende 2013 hatte die Stadt sogar angekündigt, »Kinderfreundliche Kommune« zu werden. Doch kaum etwas wurde unternommen, um das Zertifikat von Unicef und Kinderhilfswerk zu erhalten. »Es gab die Ankündigung. Aber dann: Still ruht der See!«, sagt Andreas Pöttgen, jugendpolitischer Sprecher der SPD. Der Jugendausschuss des Rates wollte nun die Gründe erfahren. Den Politikern wurde ein 42-seitiges Papier vorgelegt, das städtische Projekte zur Jugendpartizipation vorstellt. »Das ist ein netter Überblick«, sagt Pöttgen. »Aber ich kann kein Konzept erkennen.«
Dabei gab es im Juni 2016 ein Symposion zur Jugendpartizipation. Andreas Pöttgen und Kirsten Jahn sind kritisch: Die Jugendlichen hätten sich nicht ernst genommen gefühlt. »Das lief nach dem Motto: So, heute beteiligen wir euch mal«, sagt Jahn. Es sei wieder einmal mehr über sie statt mit ihnen geredet worden. Immerhin will man Jugendlichen pro Stadtbezirk 10.000 Euro bereitstellen, deren Verwendung sie miteinander aushandeln. Das sei eine gute Idee, findet Svenja Rabenstein, jugendpolitische Sprecherin der Grünen. Jugendpartizipation müsse sowohl im Veedel stattfinden, aber zugleich in der Verwaltung fest verankert werden. »Der Fehler ist, zu glauben, Jugendliche bezögen sich immer nur auf Jugendpolitik«, sagt Rabenstein. »Es geht ihnen ebenso um Stadtentwicklung, Nahverkehr oder die Kölnbäder«. Dafür müsse es eine Ombudsperson geben, die zwischen Jugendlichen und Verwaltung vermittle. Andreas Pöttgen fordert ein Jugendbüro als Anlaufstelle. Es soll vom Kölner Jugendring getragen werden, einem Zusammenschluss von Jugendorganisationen von Kirchen, Gewerkschaften, karitativen und politischen Verbänden; den Vorsitz hat eine Vertreterin von SDJ/Die Falken, der Jugendorganisation der SPD. Die Partei und ihre Jugend haben gerade ein Diskussionspapier vorgelegt: Unter anderem sollen – da sind sich SPD und Grüne schon einig – bisherige Projekte überprüft und neu aufgelegt werden — etwa die Jugendforen. Es gibt sie in elf Stadtvierteln, Kinder- und Jugendliche können Ideen einbringen und Kritik äußern. Die Erfahrung aber zeigt, dass die Teilnehmer meist aus Familien stammen, die politisch engagiert und kommunikativ geschult sind. Es ist auch die Spielwiese parteipolitischen Nachwuchses.
Auch die »Rathausschule« ist ein Flop: Kinder bekommen einen Tag das Rathauses gezeigt. Ein netter Ausflug für Kinder sei das, aber kein Partizipationsprojekt, sagen Jahn und Pöttgen. Sie wollen das Konzept umdrehen: Das Rathaus, also Politiker und Verwaltungsmitarbeiter, sollen in die Schulen kommen. Überhaupt soll solche »Aufsuchende Beteiligung« gestärkt werden.
Das betrifft vor allem die rund 61.000 Kinder bis sechs Jahre. Wer vertritt die Interessen dieser fast sechs Prozent der Stadtbevölkerung? In Kitas wird teils zwar geübt, wie man demokratisch Entscheidungen trifft — aber es hängt davon ab, ob die Kita-Leitung sich dafür begeistert. Meist wird Beteiligung als zusätzliche Arbeit und nicht als begleitender Prozess betrachtet. Es geht auch darum, Erfahrungen von Kindern zu nutzen, die Erwachsene so nicht machen: Wie ist es, als Kind auf einem schmalen Bürgersteig zur Schule zu gehen? Auf welcher Wiese tritt man immer in Hundekacke, wenn man Ball spielt? Welche Angebote fehlen im Veedel? Kinder wollen, dass Erwachsene das interessiert. »Demokratisches Wirksamkeitserleben« nennt das Alexander Trennheuser, Geschäftsführer von Mehr Demokratie NRW. Der Verein fordert mehr direkte Demokratie. Verbindliche Kinder- und Jugendpartizipation gehöre dazu, sagt Trennheuser. Wichtiger als immer neue Social-Media-Konzepte sei es, Jugendlichen zuzuhören und sie dort einzubeziehen, wo sie sind: »Man trifft sie in der Schule, da benötigt man weder Facebook noch Twitter.« Es gehe darum, »Gemeinschaft zu erfahren, ganzheitlich, zu diskutieren und zuzuhören.«
Diese »Aufsuchende Beteiligung« ist dringend nötig. Eine aktuelle Studie aus der Schweiz belegt, dass sich sonst nur jene Kinder und Jugendliche beteiligen, die im Elternhaus gelernt haben, wie man sich einbringt. Wem daheim nicht zugehört wird, wer nicht seine Interessen benennen oder Vorschläge machen darf, wer nicht gelernt hat, Konflikte mit Argumenten auszuhandeln — der wird sich auch nicht an »Partizipationsprojekten« beteiligen.
Dass die Politiker im Stadtrat nun Kinder und Jugendlichen besser beteiligen wollen, hat auch einen aktuellen Anlass: zunehmender Rechtspopulismus mit Ausgrenzung und Verachtung der Demokratie. Zudem gibt es zu viele sogenannte politikferne Milieus. Auch dort sind Menschen der Demokratie — oft auch aus Enttäuschung — abhandengekommen, oft bereits in der zweiten oder dritten Generation. Die demokratischen Parteien hoffen nun, dass zumindest die Kinder in diesen Haushalten über Kita, Schule und Jugendprojekte die Errungenschaften der Demokratie schätzen und praktizieren lernen. Zudem hat Jugendpartizipation eine ethische Dimension: Generationengerechtigkeit. Was Politiker heute entscheiden, wird auch das Leben derer prägen, die heute noch Windeln tragen.
Aber kann und soll man Kinder und Jugendliche beteiligen, wenn das nächste Großprojekt in Köln geplant wird? Wo waren die Kinder, als die Parkstadt Süd geplant wurde? Wo waren sie, als Köln das Mobilitätskonzept 2025 erarbeitet hat? Und was können Kinder beitragen, wenn es um Konzepte gegen die Wohnungsnot, die zunehmende Umweltbelastung und das Verkehrschaos geht? Das sind viele Fragen, aber es sind längst nicht alle, die gestellt werden müssen, wenn wir es mit der Jugendpartizipation ernst meinen.
Monika Baars, Leiterin der Abteilung Kinderinteressen und Jugendförderung im Jugendamt, sagt, Jugendliche sollten etwa auch beteiligt werden, wenn es um die Gestaltung von Freiflächen geht. »Es muss ja nicht immer Graffiti sein, es kann auch mal eine Slackline sein.« Bewegung sei für Jugendliche jedenfalls oft ein Thema, sagt Baars. Sie kündigt eine Jugendbefragung an, die zurzeit in der Verwaltung konzipiert werde. Jugendpartizipation, sagt Baars, sei eine »Querschnittsaufgabe«, die nicht nur das Jugendamt betreffe. Kirsten Jahn von den Grünen will die Jugendpartizipation ebenfalls fest in der Verwaltung integriert sehen. »Das kann ja nicht nur eine Aufgabe des Jugendamtes sein«, sagt sie. »In allen Ämtern muss die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei jedem Projekt mitgedacht werden.« Jahn hofft, noch vor der Sommerpause »eine Art Richtungsantrag« im Rat beschließen zu können. Eine breite Mehrheit werde angestrebt. »Denn so etwas funktioniert nur, wenn alle dahinterstehen.« Bis dahin lautet die Frage aber noch: Hinter was genau sollen alle stehen?