Moment der Extreme

Im Nachhall seiner Oscar-Nominierung gibt sich Hauschka

auf seinem neuen Album »What If« ungefiltert

Da, wo der Autor dieser Zeilen herkommt, meint die Wendung »unser Mann in Hollywood« den schwäbischen Regisseur Roland Emmerich, der von Sindelfingen bei Stuttgart aus die amerikanische Filmmetropole mit seinem Faible für alles zerstampfende Blockbuster erobert hat. Mit einem derartig reißerischen Impetus hat Volker Bertelmann, in Düsseldorf lebender und sich in der Tradition »rheinländischer Widerborstigkeit« verstehender Musiker, freilich nichts am Hut.

 

Seine künstlerischen Ausdrucksformen sind subtiler, er muss auf seinem Markenzeichen, dem präparierten Klavier, nicht zwingend die lauten Töne anschlagen, um nachhaltige Wirkung zu erzielen. Im Gegenteil: Hört man sich durch den Backkatalog von Bertelmann, der seit nunmehr neun Album unter dem Signet Hauschka reüssiert, so geht es ihm um filligrane Momente der Irritation, um ein trickreiches Spiel mit unseren Synapsen. 

 

In Hollywood hat sich Volker -Bertelmann, der sich auf seiner Discogs-Seite im T-Shirt der New Yorker Punkinstitution CBGB zeigt, zuletzt mit dem Soundtrack zu »Lion« etabliert, der Gemeinschafts-arbeit mit Dustin O’Halloran, für die sie jeweils eine Golden-Globe- und Oscar-Nominierung einheimsten. Zwar gingen die beiden bei den Verleihungen leer aus, doch das wäre sowieso nur das I-Tüpfelchen gewesen, der Puscheffekt, die gesteigerte Aufmerksamkeit ist auch so deutlich spürbar, wie Bertelmann bei unserem Treffen in Düsseldorf noch unter dem Einfluss der Tage in Los Angeles berichtet. »Ich merke, wie sich die Zeiträume schneller schließen: Tak, tak, tak — und plötzlich bist du bis 2018 verplant.«

 

Mit feinem Gespür für die kommenden Ereignisse hat Volker Bertelmann aber gut vorausgeplant, und so erscheint im Nachhall des Hollywood-Trubels um seine Person auch sein neues Hauschka Album »What If«. Er selbst spricht von seinem extremsten Album und meint damit, dass es »so weit vom Klavier entfernt ist, wie keine der anderen Platten, die ich bislang gemacht habe«. Bertelmann versteht es als »Rückbesinnung in eine Zeit, in der ich in Bands spielte und für mich verzerrte Gitarren und fette Beats eine Rolle spielten«. Er findet es gut, dass sein Album sich so »konträr« zu »Lion« verhalte: »Mir gefällt die Botschaft, in dem Moment mein extremstes Album zu veröffentlichen, wo normalerweise die Best-Of erscheinen müsste.«

 

Auf »What If« klingt das Klavier in der Tat weniger präsent wie zuvor (aber für andere Ohren vielleicht weniger drastisch, als es der Künstler empfindet). Bertelmann konsultiert neue Zustände. Beispielsweise mit »Constant Growth Fails«, das in seiner getriebenen Art an »La Compostela« erinnert, das Stück, das er im letzten Jahr ge-mein-sam mit Michael Mayer für dessen Album »&« erarbeitet hat, auch wenn es nicht ganz so euphorisch-verträumt die Arme ausbreitet, sondern lieber den Engtanz mit sich selbst sucht. So richtig extrem wird »What If« erst im Schlussdrittel, wenn dem Klavier vom Komponisten seine Solomomente verwehrt werden und sich eine avantgardistische Ambientstimmung breit macht. Bertelmann verweist auf den produktiven Einfluss, die Kooperationen mit anderen Künstlern auf seine Arbeit haben, da »sie dir ein Gefühl geben, was man mit deiner Musik machen kann. Es ist spannend zu sehen, was geht«.

 

Die Wahrnehmung der Musik, die Bertelmann als Hauschka ver-öffentlicht, steht in einem engen Verhältnis mit der Livepräsentation. Bei seinen Auftritten wird der ihn antreibende künstlerische Spagat zwischen Konzept und dessen Auflösung so richtig greifbar. »Da gibt es Leute, die sagen: Oh, wie schön!, andere freuen sich über das spannende Konzept mit den prä-parierten Klavieren«, führt er aus. »Und beide sitzen dann nebeneinander beim Konzert. Ich finde das gar nicht verkehrt, das lockert doch alle auf.« Für die Tour zum neuen Album hat er sich eine imaginäre Klavierband zugelegt und tritt in Begleitung zweier Disklaviere auf, deren Tasten vom IPad gesteuert werden. »Die sprechen nicht, sie folgen meinen Anweisungen«, kommentiert er lachend, um sofort zu ergänzen, dass er sie als »Verlängerung meines Pianos« verstehe.

 

Zum Schluss muss doch noch die Gretchenfrage nach dem Verhältnis von Hauschka und den Soundtrack-Arbeiten gestellt werden, schließlich lassen sich nicht alle Filmarbeiten wie bei »Lion« voller Zufriedenheit in der eigenen Diskografie auflisten. »Es macht natürlich Spaß, aber wenn ich mit meinen Alben so viel Geld verdienen würde, dass ich davon vernünftig leben und drei Kinder ernähren könnte, dann würde ich mich darauf ausschließlich fokussieren«, stellt er klar. »Aber das geht nicht, und so sitze ich während der Tour abends nach dem Gig im Hotel und arbeite noch an Filmmusik. Man sollte immer träumen, träumen finde ich total toll, aber irgendwann muss man sich hinsetzen und eine ganz nüchterne Bilanz von dem ziehen, was man da so treibt. Da greifen dann Werbung und Filmmusik — alles, womit du im wei-testen Sinne mit vergleichsweise geringem Zeitaufwand so viel Geld für deine Arbeit bekommst, dass du dir die Zeit für deine Kunst leisten kannst.«

 

Neben der bereits erwähnten Tour zum Album stehen für Bertelmann aktuell gleich drei Soundtrack-Produktionen an, unter an-derem zum Film über das Attentat im Taj Mahal Hotel in Mumbai. Das Gerücht, dass nach einer Oscar-Nominierung erstmal Flaute herrscht, da alle denken, man sei nun zu teuer, greift bei ihm definitiv nicht.

Text und Foto: Thomas Venker 

 

Tonträger: Hauschka, »What If« ist bereits auf City Slang erschienen.