»Journalismus ist kein Verbrechen«
Deniz Yücel wird in der Türkei »Propaganda für eine terroristische Vereinigung« und »Aufwiegelung der Bevölkerung« vorgeworfen. Was steckt hinter den Anschuldigungen?
Doris Akrap: Die Anschuldigungen sind völlig willkürlich. Sie basieren laut Verhörprotokoll vor allem auf einem Interview, das Deniz mit dem stellvertretenden PKK-Chef geführt hat. In anderen Ländern würde man für so ein Interview einen der höchsten Journalismuspreise bekommen, aber unter Erdoğan herrscht ein völliges Unverständnis von Journalismus. Die Inhaftierung von Deniz ist auch eine innenpolitische Geschichte, man will den eigenen Wählern Macht demonstrieren, indem man einen kritischen deutschen Journalisten wegsperrt.
Wie geht es Deniz in Haft?
Imran Ayata: Wir haben keinen Kontakt zu Deniz. Alles was wir wissen, erfahren wir von Dritten, von seiner Ehefrau Dilek und seinen Anwälten. Sie berichten, dass es Deniz trotz der Umstände sehr gut geht. Deniz ist ein sehr willensstarker Mensch. Ganz wichtig: Er hat seinen Humor nicht verloren. Mehrfach hat er mit Nachrichten aus dem Gefängnis politisch Stellung bezogen und deutlich gemacht, dass die Anschuldigungen gegen ihn haltlos sind, und gleichzeitig hat er einen fairen Prozess eingefordert.
Was sind eure Forderungen an die Bundesregierung?
Ayata: Inzwischen ist jedem klar, dass Deutschland und Europa nicht bereit sind, hinreichend Druck auf die Türkei auszuüben. Die Gründe dafür sind politische und vor allem wirtschaftliche Interessen. Diese werden als wichtiger angesehen als Fragen der Demokratie und Menschenrechte in der Türkei. Auch dagegen kämpfen wir an. Es ist am Ende ganz einfach: Journalismus ist kein Verbrechen.
Akrap: Vermutlich kann man diplomatisch kaum härter mit einem anderen Land reden als die Bundesregierung es tut, die Frage ist nur: Interessiert das Erdoğan? Offensichtlich nicht. Ganz im Gegenteil: Statt auf Deeskalation zu setzen, nennt Erdoğan Merkel eine Terroristenunterstützerin und bezeichnet sie als Nazi.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat Deniz’ Beschwerde gegen die Untersuchungshaft angenommen. Was kann man sich von dieser Seite erhoffen?
Ayata: Hoffnung ist keine Prämisse unserer Arbeit. Wir kämpfen für die Freilassung von Deniz und seinen Kolleginnen und Kollegen in der Türkei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist in den vergangenen Jahren bezogen auf die Türkei insgesamt — vorsichtig formuliert — eher durch ein zurückhaltendes Vorgehen aufgefallen.
Akrap: Es ist toll, dass Deniz’ Anwälte es in relativ kurzer Zeit geschafft haben, dass der Fall in Straßburg mit Dringlichkeit behandelt wird, aber ich befürchte, auch das wird Erdoğan nicht beeindrucken. Ihn interessiert die EU einfach nicht mehr, deutlicher als in den vergangenen Wochen kann er das eigentlich kaum ausdrücken.
Statt auf diplomatische Fortschritte zu hoffen, betreibt ihr seit Monaten Öffentlichkeitsarbeit.
Akrap: Ich habe das Gefühl, seit Wochen mit Freunden und Kollegen nichts anderes zu machen als Öffentlichkeitsarbeit, damit Deniz nicht in Vergessenheit gerät. Das ist immer auch an die Bundesregierung adressiert gewesen: Wir vergessen den nicht. Es bleibt ein Thema und wir werden immer lauter und lauter. Ich persönlich mache das aus zwei Gründen: Der wichtigste ist natürlich Deniz, wir sind eng befreundet, und er soll wissen, dass er von uns nicht vergessen wird. Aber es gibt auch einen politischen Grund. Wir wollen denjenigen, die in der Türkei politische Arbeit machen und noch nicht im Gefängnis sind, ein Signal geben: Ihr seid im Recht und nicht die anderen. Das hilft ihnen vielleicht nicht viel, aber es ist ein Signal der Solidarisierung mit der Zivilgesellschaft in der Türkei.
Wie war die Resonanz auf die bisherigen Veranstaltungen?
Ayata: Das Interesse an den Lesungen und Veranstaltungen war überwältigend. Ich vermute, dass viele ihre Teilnahme als politisches Statement und Akt der Solidarität verstehen. Wichtig ist für uns vor allem, dass Deniz und andere inhaftierte Journalisten etwas von unseren Bemühungen mitbekommen. Wir wissen, dass sie das tun. Deniz hat aus dem Gefängnis erklärt, wie sehr diese Solidarität ihm und anderen Inhaftierten hilft. Und natürlich weiß auch der türkische Staatsapparat von unseren Bemühungen.
Akrap: Aus dem Grund werde ich manchmal gefragt: Schadet die Solidarität für Deniz ihm nicht vielleicht, weil er für Erdoğan umso interessanter wird? Dazu sei gesagt: Es geht einfach nicht, sich von einem Autokraten vorschreiben zu lassen, wie ich hier in einem freien Land meine Meinung zu sagen habe. Schweigen wäre nicht in Deniz’ Sinne. Wenn Erdoğan Deniz als politischen Spielball benutzt, müssen wir das auch tun, und von taz bis Bild über die politische Situation in der Türkei berichten. Geschwiegen hat man lange genug.
Doris Akrap ist eine Schulfreundin von Deniz Yücel. Sie arbeitet als Redakteurin bei der taz.
Imran Ayata ist Schriftsteller und Inhaber einer PR-Agentur in Berlin
StadtRevue präsentiert
Lesung: »Wir wollen das Meer sehen« mit Thomas Gottschalk, Olli Dittrich, Carolin Emcke u.a. Do 6.7., 20 Uhr, WDR Funkhaus