Popstars in Köln - Raus aus der Heimatfalle (Teil 1)
Warten auf Rick Rubin
Hervorragende Musiker, die ihr Potenzial vergeuden: So kann man die Situation des kölschen Mundart-Pop auf den Punkt bringen. Wie ist es dazu gekommen? Und welche — kölschen —
Alternativen gibt es?
Die Idee entstand kürzlich beim Gespräch mit Eric Pfeil. Pfeil hat in den vergangenen Monaten ein düster-warmherziges Singer-Songwriter-Album ausschließlich in fremden Wohnzimmern eingespielt. Er hatte auch einige Termine in Bayern, dort unterstützen ihn Musiker von Kofelgschroa. Pfeil liebt und verehrt das Blasmusik-Quartett aus Oberammergau, das in baierischer Sprache singt, aber das traditionelle Liedgut konsequent nonkonform interpretiert. Ihre Musik ist widerborstig und ungewaschen und das mit einer lakonischen Selbstverständlichkeit, die schon wieder zutiefst rührt. Nicht nur Pfeil liebt diese Band. Und sie steht auch nicht alleine da, sondern ist Teil einer großen bairerischen Sturschädel-Tradition.
Mundart-Pop — ganz heikel. Aber auch beglückend, wenn er so gelingt wie bei den Oberammergauern. Es gibt in Deutschland überhaupt nur zwei Gegenden, wo Mundart-Pop gespielt wird. Baiern (nicht zu verwechseln mit Bayern) und Köln. Kölschrock. Krätzje. Aber wieso gelingt den Kölner nicht, was den Baiern gelingt? Wieso das Kumpelhafte in ihrer Musik? Das Ölige? Die erwartbare Ironie, die niemandem wehtut? Wenn Eric und ich von, sagen wir: Trikont — der Plattenfirma von Kofelgschroa und seit jeher interessiert an rebellischer Sprache und obskuren Regionen — den Auftrag bekämen, eine Compilation mit kölschem Eigensinn zu produzieren, würden wir genug Stücke einsammeln können? Das war die Idee, die Wette gilt.
Stück eins: Klaus der Geiger. Natürlich. Der war ja in den 70ern schon Trikont-Künstler. Hat was räudiges, heimatloses, rotziges. Klaus wird seit einigen Jahren wieder von jungen Leuten entdeckt, Klaus ist Anarchist, konsequente Straßenköter-Perspektive, immer noch im Einsatz für Hausbesetzer und Bauwagenplätzler. Passt schon, aber: Er singt nicht Mundart. Empfehlung: »Wir sagen Ja zum SSK«. SSK heißt Sozialistische Selbsthilfe Köln.
Stück zwei: Richard Bargel. Bluesgitarrist seit bald fünfzig Jahren, früher Straßenmusiker, klingt nie überproduziert, wuchert nicht mit Emotionen, spielt auf seiner schön scheppernden Dobro lakonisch gefassten, minimalistischen Blues. Singt allerdings Englisch (klingt aber wie Kölsch). Empfehlung: »I Will Die For You«.
Stück drei: Gerd Köster. Aufopferungsvoll. Mit Schröder Roadshow und The Piano Has Been Drinking hat er tatsächlich Rock aus Deutschland und eben keinen Deutschrock gespielt. Bekam schnell den Stempel »kölscher Tom Waits« verpasst, was aber unfair ist. Hat dennoch Tom Waits gecovert. Zelebriert mit dem Gitarristen Frank Hocker seit zwanzig Jahren kölsche Krätzje. Die beiden harmonieren blind und spielen berührende Balladen in Bürgerzentren und auf rheinischen Rathausvorplätzen. Trotzdem hat man das Gefühl: Der Köster macht sich zu klein, der kann doch mehr. Weiß jeder, der mal seine raumgreifende Bühnenpräsenz erlebt hat. Empfehlung: »Su vill Zick« von Kösters und Hockers aktueller CD »A’s kla?«.
Stück vier und fünf: BAP. Kein Scherz: »Verdamp lang her« und »Do kanns zaubre« hat man im anachronistischen Sound im Ohr, aber die Songs sind so stark, dass sie sich problemlos zeitgemäß interpretieren ließen.
Problemlos? Mit BAP und Wolfgang Niedecken fangen die Probleme an. BAP sind vielleicht das beste Beispiel für all das, was am Anfang noch hoffnungsvoll und souverän klang und dann später in Larmoyanz versumpfte. Vielleicht war das der point-of-no-return: Wolfgang Niedeckens kölsche Interpretationen von Bob-Dylan-Liedern, »Leopardefell« (1995). Die Lieder klingen aufgeschäumt und ohne Nuancen. Niedecken war sich sicher, dass Dylan seine Interpretationen mögen würde. Woher dieser Gewissheit?
An dieser Stelle ist Platz für ein paar verzweifelte Fragen: Warum ist Niedecken nicht der kölsche Bruce Springsteen geworden? Warum hat Tommy Engel kein Soul-Album eingespielt? Warum ging das reale Soul-Experiment von Wolf Maahn — kein Kölschrocker, aber seit Jahr und Tag mit Köln und der Kölner Rockszene verbunden — so grauenhaft schief? Warum klafft zwischen Gerd Kösters Existenzialismus und Will Oldhams ein unüberbrückbarer Abgrund? Warum haben sich Brings eigentlich nie von der Hamburger Schule inspirieren lassen oder wenigstens von Grunge? Warum gelingt Kasalla kein anständiger Fun-Punk, sondern auch wieder nur … Karnevalsmucke? Am Handwerklichen kann es nicht liegen, wir sprechen hier über exzellente Musiker, die in ihren stärksten Momenten so gut sind, dass man es schon heraushören will: Da wäre mehr drin. Warum ist nicht mehr drin?
Man kann zwei Antworten geben, eine komplizierte und eine einfache. Und diese lautet: Sie müssen gar nichts, natürlich nicht. Der Erfolg gibt den Musikern und ihren Produzenten Recht. Das Publikum fordert von ihnen keine raueren Songs, keine ungeschliffenen Produktionen. Im Gegenteil, Brings haben es jahrelang als klassische Rockband versucht, sogar ein englischsprachiges Album eingespielt, heute kennt man sie nur noch als Karnevalsband. Die Fans sind wenig überraschungsfreudig. Trotzdem bleibt die Frage, warum nicht mehr drin gewesen ist, offen: Denn das Potenzial war ja da, Kölschrock war nicht von Anfang an peinlich, die Bläck Fööss waren zu Beginn weder eine Schlager- noch eine Karnevalsband, und Köster kann bis heute in seinen Liedern aufgehen wie ein Soulsänger aus Detroit im entrückten Gospelchor. Schreiten wir von der einfachen zur komplizierten Antwort fort.
Der Aufstieg von BAP, der ja zwischen 1979 und 1982 ziemlich schnell und ziemlich heftig kam, korrespondiert mit dem Abstieg von NRW. Nordrhein-Westfalen, bis 1989 der »Westen« der geteilten Nation, war bis in die 70er Jahre die wirtschaftliche Lokomotive der Bundesrepublik. In den 60er und 70er Jahren reagierte man auf den industriellen Strukturwandel zwischen Rhein und Ruhr mit ziemlich planlosen Infrastrukturmaßnahmen, binnen weniger Jahre sollte das Land zur Bildungs- und Dienstleistungslandschaft umgemodelt werden, sollten Institutionen entstehen, die den demnächst studierenden Arbeiterkindern Jobs und Perspektive böten. BAP sind ein Ausdruck dieses Wandels. Zum einen symbolisieren sie noch das starke, zukunftsträchtige NRW: BAP wurden ja deutschlandweit gehört, überhaupt im ganzen deutschsprachigen Raum, auch in Österreich und der Schweiz. Aus NRW kamen damals noch Trends und Ereignisse, über die das ganze Land diskutierte (perfekt verkörpert wird das übrigens von keiner Kölner Platte, sondern von Grönemeyers »4630 Bochum«). Andererseits steht NRW in diesen frühen 80er Jahren schon nicht mehr, oder immer weniger, für Industrialismus. Niedecken mit seinen aufgeknöpften, hochgekrempelten Flanellhemden, den durchgeschwitzen Locken und dem stechenden Blick verkörpert noch den Proleten, aber schon als Zitat — es war ja bekannt, dass Niedecken eigentlich Avantgarde-Maler war und sich als sensibler Dichter verstand. BAP standen also auch schon für das neue, postindustrielle NRW. Mit ihrer merkwürdigen Sprache bezogen sie sich auf Heimat, die aber noch zukunftsweisend war: Neues aus Köln, vor dreißig Jahren noch Anlass für den Rest der Republik, genauer hinzuschauen.
Diese Umbruchsituation ist Geschichte, nicht nur wegen der Wiedervereinigung, nicht nur wegen des Neozentralismus’ der Berliner Republik. Der Umbau von Nordrhein-Westfalen hat sich für die Einwohner als Murks erwiesen, die öffentliche Armut hat zugenommen, viele kommunale Prestigeprojekte verrotten oder sind längst privatisiert, die Infrastruktur gleicht einem Flickenteppich, die meisten Rheinbrücken sind marode, die Dienstleistungsgewerbe haben ein Prekariat hervorgebracht. Kölschrock, die Musik, die aus der Heimat stammt, regrediert vor diesem Panorama zur Heimatmusik. Sie hat keine überregionale Strahlkraft mehr und bedient auf der anderen Seite umso mehr das Bedürfnis ihrer Klientel nach Heimeligkeit, Überschaubarkeit, Selbstbestätigung und gemütlicher Ironie. Die Heimatfalle schnappt zu. Wenn Cat Ballou mit Rapper Mo-Torres und dem unvermeidlichen Lukas Podolski ihre Liebe zur Stadt beschwören, ist das feiste Realitätsverweigerung. Dabei ging es doch, als BAP anfingen, gerade darum, sich der Realität zu stellen.
Umgekehrt bringt kaum einer da draußen jene Bands und Acts aus Köln, die gerade auf dem Sprung sind, mit hipper Klangästhetik und coolem Ausdruck Karriere zu machen, mit dieser Stadt in Verbindung. AnnenMayKantereit sind aber Kölner, Chilly Gonzales ist es seit einigen Jahren auch. Die Schere geht auseinander: Wäre das denkbar — dass Vimes ein Stück mit Tommy Engel einspielten? Dass Henning May wenn schon nicht kölsch, dann wenigstens im rheinischen Tonfall sänge? Dass Lauter Bäumen Stücke von Brings coverten? Und Chilly Gonzales eine Konzertrevue für die Bläck Fööss arrangierte? Undenkbar, schade. Übrigens hätten Eric Pfeil und ich mit diesen Kooperationen die Stücke sechs, sieben, acht und neun für unsere Compilation.
Stücke zehn: Eine Demo-Soloaufnahme von Peter Brings, die ich vor fünf Jahren, als ich mit ihnen im Tourbus saß, um von einem Karnevalsauftritt zum nächsten zu rasen, hören durfte. Hatte er nachts nach all dem jecken Trubel mit seinem Smartphone aufgenommen. Nur er, eine Gitarre und seine erhaben kaputte Stimme. Klang super. Wird aber sonst niemand hören, denn Peter macht keine Solo-Eskapaden. Aber irgendwann wird Rick Rubin, der Produzenten-Gott, Peter in sein Shangri-La-Studio bitten. Dann muss er liefern. Wann? Vermutlich erst, wenn der FC wieder Deutscher Meister geworden ist.