»Man muss den Schmutz hinter der Fassade zeigen«

Regisseur Lucas Belvaux über »Das ist unser Land« und den Rechtspopulismus in Frankreich

Herr Belvaux, es gibt Filme über Neonazis und Skinheads, aber seltsamerweise keinen über das, was im deutschsprachigen Raum »Extremismus der Mitte« heißt, also den Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen. »Das ist unser Land« ist da eine Ausnahme. War das der Grund für Sie, den Film zu drehen?

 

In Frankreich haben wir keinen Begriff wie »Extremismus der Mitte«, wir sagen eher »Alltagsrassismus«. Darüber wollte ich einen Film machen. Und zwar, weil dieses Phänomen gefährlicher ist als der eigentliche Faschismus. Nazis stellen ja nur eine kleine Minderheit dar, während die extremistische Mitte bei Wahlen an die Macht kommen könnte. Daher ist es wichtig, darüber Filme zu machen.

 

Im Film lässt sich eine sympathische und eher unpolitische Krankenschwester als Bürgermeisterkandidatin in ihrem nordfranzösischen Heimatort aufstellen — für eine Partei, die dem Front National ähnelt. Heißt das, jeder kann den Versuchungen des Rechtspopulismus erliegen?

 

Vielleicht nicht jeder, aber viele.

 

Sie machen es den Zuschauern leicht, sich mit der Hauptfigur Pauline zu identifizieren.

 

Es war sehr wichtig für mich, mit diesem Film potenzielle Wähler des Front National anzusprechen — weil davon die Hälfte oder sogar Zweidrittel keine gefestigten Rassisten oder Faschisten sind. In den ersten Jahren waren die Anhänger der Partei wirklich ideologisch gefestigte Rechte, die Ausweitung der Wählerschaft in den vergangenen Jahren hat viel mit einer Verzweiflung zu tun, mit einer Unzufriedenheit gegenüber den etablierten Parteien. 

 

Die Rechtspopulisten gewinnen die Wähler, indem sie sich geschickt als nicht-ideologisch präsentieren und vorgeben, einzig an Sachfragen interessiert zu sein. Das zeigen Sie in »Das ist unser Land« gut.

 

Das hat in Frankreich eine lange Tradition: Schon Ende des 19. Jahrhundert prägte die populistische Rechte unter General Georges Boulanger den Slogan »Nicht rechts, nicht links!« Ende der 1980er Jahre, nach dem Ende des Kalten Kriegs, wurde dann so getan, als hätten sich die Klassengegensätze aufgelöst. Die Menschen vergaßen, dass die Wurzeln der Populisten bei der extremen Rechten liegen, bei den Rassisten und Antisemiten. Die Populisten haben mit allen Mitteln versucht, diese Tradition zu vertuschen.

 

In »Das ist unser Land« wird an zwei markanten Stellen die französische Nationalhymne, die »Marseillaise«, gesungen: auf einer Parteiversammlung der Rechtspopulisten und in einem Fußballstadion. Können Sie etwas zur Bedeutung dieser Szenen sagen?

 

Die »Marseillaise« ist ein Lied, das kämpferisch die Ideale der Revolution hochhält. Die Rechte hat dieses Symbol der Französischen Revolution gestohlen. Dabei will sie doch zurück in eine Welt vor der Revolution! Mit Charles de Gaulle verfahren sie ähnlich. 1962 hat die OAS, eine rechte paramilitärische Untergrundorganisation, versucht, de Gaulle zu töten. Die ideologischen Erben der OAS, als die ich den Front National sehe, machen heute auf Postern mit Zitaten von De Gaulle Werbung! Ähnlich missbrauchen sie den berühmten Sozialistenführer Jean Jaurès, der von einem Rechtsradikalen umgebracht wurde. Der Front National stiehlt die Symbole der Republik, und dazu gehört natürlich auch die »Marseillaise«. Am Ende des Films, im Stadion, singen die Fußballfans sie allerdings mit geändertem Text. Statt »Zu den Waffen, Bürger« heißt es »Auf geht’s, ihr Rot-Gelben!« Das sind die Farben ihres Teams. Was bestimmt also die Identität dieser Leute? Frankreich? Ihre Heimatstadt? Ihr Team? Ich weiß es nicht, und sie wissen es auch nicht.

 

Der Regisseur und Drehbuchautor Guillermo del Toro hat einmal gesagt, um mit politischen Botschaften ein Publikum zu erreichen, das nicht sowieso schon mit einem übereinstimmt, sollte man Allegorien nutzen. Sie gehen einen anderen Weg.

 

Da liegt del Toro sicherlich nicht falsch, aber in diesem Fall war es sehr wichtig, das Thema direkt anzugehen. Seit zehn Jahren versucht der Front National, sich ein sauberes Image zu geben. Daher muss man ganz genau hinter diese Fassade gucken und den Schmutz zeigen. Die Filme von del Toro arbeiten eher längerfristig, »Das ist unser Land« ist dagegen spezifisch auf die Situation vor der Wahl in Frankreich gemünzt (der Film startete in Frankreich im Februar, Anm. d. Red.). Charlie Chaplin hat 1940 für »Der große Diktator« auch keine Allegorie gewählt.

 

Wie sollte man ganz allgemein mit  Rechtspopulismus umgehen?

 

Um Rechtspopulisten zu bekämpfen, muss man sehr klar und entschieden seine Prinzipien verteidigen. Mindeststandards wie die allgemeinen Menschenrechte dürfen nicht zur Diskussion stehen. Meiner Meinung nach hätte man den Front National gleich nach seiner Gründung verbieten sollen. Ich glaube auch, dass es ein Fehler des Verfassungsgerichts in Deutschland war, die NPD nicht zu verbieten. Auf der anderen Seite haben die anderen Parteien aber auch die Verpflichtung, die Probleme der Gesellschaft zu lösen. 

 

 

Lucas Belvaux

Belvaux wurde 1961 in Namur in Belgien geboren. Mit 16 Jahren ging er nach Paris, um Schauspieler zu werden. In den 80er Jahren spielte er u.a. in Filmen von Claude Chabrol, Olivier Assayas und -Jacques Rivettes. Seit den frühen 90er Jahren arbeitet Belvaux auch als Regisseur und Drehbuchautor. Für Aufsehen sorgte  2002 seine Trilogie »Auf der Flucht«, »Ein tolles Paar« und »Nach dem Leben«, in der Belvaux dieselbe Geschichte als Melodram, Komödie und Thriller erzählt.