Politik und Verbrechen?
Über Politik und Verbrechen in Deutschland, etwa über den NSU-Komplex, könnte man viel Spannendes schreiben. Gerade im Bereich der Fiktion, wo Fake News und alternative Fakten zum Handwerk gehören, wo sich trefflich spinnen und spekulieren lässt, um so »die« Realität hier und da möglicherweise exakter zu spiegeln, als es etwa mit den Regeln des Journalismus möglich wäre.
Man könnte, wenn man es denn könnte. Mit Politik tut man sich schwer im Krimi aus Deutschland. Zwar heißt es in der Szene immer wieder, jetzt endlich komme die lang erwartete Welle mit politisch ambitionierten Genreromanen. Romanen also, die die Mittel des Genres als Waffen nutzen, um den Finger in die Wunden einer Gesellschaft zu legen, in der Verbrechen und Politik mitunter eine recht einvernehmliche Gemeinschaft bilden.
Tatsächlich aber war mehr als ein Tröpfeln bislang nicht drin: Von ein paar wackeren Ausnahmen abgesehen, sind gelungene Politkrimis von Autoren aus Deutschland nach wie vor Mangelware. Und die, die es versuchen, tun sich schwer, auch das zeigt der Umgang mit dem NSU-Thema: Bei den einen leidet die literarische Qualität unter der Faktenfülle, bei den anderen hinkt die Story dem Enthüllungsthriller hinterher, den die Realität erzählt. Was fehlt, ist ein — nein, der — Politkrimi mit Format, dem es gelingt, die Fakten mit literarischen Mitteln so anzureichern, dass es einen Mehrwert ergibt.
Beziehungsweise: Es fehlt das Format, dessen sich deutsche Autoren bedienen, um Politkrimis zu erzählen. In Frankreich etwa gibt es den (Neo-)Polar: Eine erzählerische Tradition, die schon seit den 70er Jahren — in Dutzenden herausragenden Noirs — fortgeschrieben wird. Politik und Verbrechen wird hier mit literarischer Finesse und kreativer Radikalität begegnet, und es hat sich längst eine eigene Formensprache entwickelt, mit der nachfolgende Generationen arbeiten können. Alle bekommen ihr Fett weg — ohne Rücksicht auf »Links« oder »Rechts«.
Die migrationsbedingten Themen, die heute aktuell scheinen, wurden in den (Neo-)Polars beispielsweise schon Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre diskutiert. Hierzulande setzten Verlage und Autoren dagegen im Gros auf »Humor« und »Region«, auf den Krimi als betulichen Heimatroman, und lange konnte man froh sein, wenn im humoresken Regiokrimi überhaupt mal ein Migrant vorkam, der nicht »der Ausländer« war. Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel, aber das sind erbärmlich wenige.
Zur Zeit dominiert bei Spannung made in Germany der so genannte »Urlaubskrimi«: Das Prinzip Region plus Spannung wird ins europäische Ausland exportiert, bevorzugt in Urlaubsgebiete, »in die viele Lehrer fahren«, wie es ein Lektor mal formulierte; mit den Touristen, die diese Reiseführer-Genreromane kaufen, macht man anscheinend so dick Kasse, dass die Sau immer weiter und immer wieder durchs Dorf getrieben wird.
Erfahrung, Kultur, Lust, Willen — es fehlt, so könnte man es zusammenfassen, so ziemlich an allem, was es bräuchte, um etwas wie eine spezifisch deutsche Politkrimi-Produktion mit eigenem Stil und eigenen Themen zu ermöglichen. Was möglicherweise ein Grund dafür sein könnte, dass Max Annas sich mit seinen Romanen so großer Beliebtheit unter den Krimilesern erfreut, die sich jenseits der industriellen Massenproduktion orientieren. Ex-Stadtrevue-Redakteur Annas erzählt nicht einfach bloß irgendwie »Krimi« mit politischem Touch, er denkt und konzipiert seine Romane von Grund auf politisch, in Struktur und Geschichte spiegelt er »Politik und Verbrechen« gleichermaßen, und damit steht er beinahe allein auf weiter Flur.
Ein Beispiel dafür ist »Illegal«, Annas’ dritter und aktueller Roman, den er bei der Crime Cologne präsentieren wird. Ein Papierloser, der gezwungen ist, in einem leerstehenden Haus zu kampieren, beobachtet einen Mord im Nachbargebäude, er wird entdeckt und Opfer einer doppelten Hatz: Gejagt nicht bloß als »Illegaler«, sondern auch als unliebsamer Zeuge, der kaum eine Chance hat, seinen diversen Jägern zu entrinnen, geschweige denn, jemanden von seiner Sicht auf die Dinge zu überzeugen. »Illegal« ist ein »Roman zur Zeit«, der von gesellschaftlichen Mechanismen nicht bloß erzählt, sondern diese in ihrer Struktur sicht- und spürbar macht. Max Annas verweist elegant auf Erzähltopoi von (Film-)Klassikern der Krimikultur, die er geschickt aktualisiert — so klappt es ganz exzellent mit »Politik und Verbrechen« im Krimi made in Germany.
Apropos Crime Cologne: Mit Petra Reski und Yassin Musharbash werden zwei weitere Krimiautoren auf dem Festival zu Gast sein, die sich des Spannungsgenres bedienen, um politische Themen zu reflektieren. Petra Reski, eine freie Journalistin, die in Venedig lebt, präsentiert ihren dritten Kriminalroman »Bei aller Liebe. Serena Vitales dritter Fall«, in dem sie erzählt, wie die Mafia an Flüchtlingen verdient, insbesondere auch in Deutschland. Yassin Musharbash, derzeit Nahost-Korrespondent der »Zeit«, nutzt die Mittel des Spionagethrillers, um von Konvertiten, IS-Rückkehrern und dem Anti-Terror-Kampf der Geheimdienste zu berichten.
Literarisch sind beide mit Max Annas nicht zu vergleichen; das wäre allerdings auch zu viel verlangt, schließlich sind ihre Romane nicht originär literarisch motiviert, sondern als erweiterte Publikationsmöglichkeit für journalistische Recherchen. Spannend zu lesen sind sie trotzdem — und hoch informativ sowieso. Ein paar der Ausnahmen halt, die in diesem Herbst die Regel bestätigen.