Ein echter Kippenberger

Neues über die Künstlerlegende?

Susanne Kippenbergers Biografie über Martin Kippenberger

 

Krokodilstränen habe er gelacht, sagt einer seiner ehemaligen Schüler nach der Lektüre des druckfrischen Buches über den früheren »Meister«. Recht hat er: Das von der jüngsten Schwester Susanne geschriebene Porträt ist ein »echter Kippenberger«. Pointiert in der Aussage und unterhaltsam im Ton erzählt sie sauber recherchierte Anekdoten und erhellende Details, ohne sich in narzisstischer Schreibe zu verlieren. Die professionelle Arbeitsweise der Tagesspiegel-Journalistin ist spürbar, die kritische Distanz findet – trotz des so persönlichen Themas – und viel Amüsantes wie Erkenntnisreiches vermittelt, ohne jemanden dafür zu verraten. Darin, zumindest, unterscheidet sie sich von ihrem großen Bruder – dem als professionellem Zyniker eine gute Pointe immer wichtiger war als ein guter Freund.

Martin Kippenberger, 1953-1997, war das Enfant terrible der internationalen Kunstszene, der Bad Boy, der in den 80er und 90er Jahren für den größtenteils nächtlichen Künstlerspuk sorgte, den eine echte Kunststadt wie Köln zur Mythoswerdung brauchte. Dass seine künstlerische Leistung weit über die nächtlichen Tätigkeiten hinausging, war damals bereits zu ahnen, spätestens durch seinen posthumen Biennale-Auftritt 2003 offensichtlich. Soweit alles bekannt, dachte man – Susanne Kippenbergers Bio­grafie beweist, dass es zehn Jahre nach seinem Tod noch eine Menge zu erfahren gibt. Zu den erhellenden Erkenntnissen gehört vor allem: Echte »Kippenbergers« – humorvoll, kreativ, originell – waren bereits die Eltern. Der Vater Bergwerksingenieur mit künstlerischen Ambitionen, die Mutter Ärztin mit schriftstellerischen Interessen – das siebenköpfige Elternhaus hatte wenig mit dem Mief einer klassischen 50er-Jahre-Heile-Welt-Familie zu tun, es glich eher einer Villa Kunterbunt. Die in dem Buch enthaltenen Skizzen des Vaters wie des Sohnes vermitteln einiges von dieser unkonventionellen Sozialisationserfahrung, die das spätere Schaffen Martins als versteckten »Auftrag« seiner Eltern erscheinen lässt.

Lebendige Skizzen enger Weggefährten

Kippenberger, das ewige Kind, das unersättliche Familientier, immer auf der Suche nach Liebe und Anerkennung: Dass die frühe erste Familie ihre Fortsetzung in den späteren Familienstrukturen des Künstlers finden sollte, scheint nach der Lektüre plausibel. Stimmig lautet der Untertitel »Der Künstler und seine Familien«: Die künstlerische Cliquen-Bildung rund um die Leitfigur Martin an allen seinen Schaffensorten – rastlos als »Kunst-Vertreter« unterwegs von Hamburg über Berlin bis Köln, von Florenz über Paris bis nach Wien – ist sprichwörtlich. Als Familienersatz/Ersatzfamilie gesehen wird sie schlüssig. Wertvoll ist diese Bio­grafie um zu verstehen, wie das Phänomen Kunstszene in ihren verschiedenen Dekaden funktioniert hat. Wertvoll ist sie aber vor allem für das Verständnis, wie im Wechselspiel von Leben und Werk eine am Ende so extreme wie einsame Künstlerpersönlichkeit überhaupt funktionieren konnte.

Lebendige Skizzen und viele Zitate von Zeitgenossen, Freun­den und engen Weggefährten wie Gisela Capitain oder Johannes Wohnseifer zeigen einen Kippenberger, der wie eine Bil­liardkugel zwischen den Polen Sucht und Sehnsucht, Langeweile und Rausch, Exzess und Kontrolle, Karriereeifer und Provokationslust hin- und herflitzte. Eine bisweilen anrührende Figur, die ihre Rituale brauchte, auch wenn sie jegliche Routine verabscheute. Der immer diskret bleibende Blick der Schwester hinter die Kippenbergersche Kulisse der hemmungslosen Selbstinszenierungen zeigt den Künstler als Schauspieler, der seine Scham im Schock zu überwinden versuchte und uns mit seinem frühen Tod die eindringlichste Zugabe gab, die sein Repertoire bereit hielt.

Susanne Kippenberger: Kippenberger – Der Künstler und seine Familien. Berlin Verlag 2007, 576 S. (66 Abb.), 22 Euro.