Living next door to Marsmännchen
Vor kurzem haben Astronomen Radiosignale empfangen. Nein, nicht von Radio Köln, Antenne Pirmasens oder dergleichen, sondern Radiosignale, die auf Intelligenz schließen lassen. Sie stammen von »Ross-128«, das liegt rund elf Lichtjahre hinter Bickendorf. Außerirdische könnten die Signale gesandt haben, es wird noch gerätselt. Dass es keine James-Blunt-Songs waren, spricht schon mal für sie.
Es war auch nicht der übliche extraterrestrische Spam, der sonst die Radioteleskope besudelt. Es heißt, die Nachrichten seien stark streuende, nicht-polarisierte Impulse, breitbandig und quasiperiodisch. Wenn schon die Beschaffenheit solcher Marsianer-SMS so kompliziert ist, wie erst soll man dann deren Nachrichten entschlüsseln? Sind die Muster bloß Dekoratives zur angelegentlichen Betrachtung oder ein intergalaktischer Shitstorm?
Eine müde Traurigkeit bettete sich da auf mein Herz und flüsterte mir: »Sieh doch nur, selbst wenn die Radiosignale von Außerirdischen stammten, was änderte dies? Jemanden, den man nicht versteht, der ist gar nicht zugegen. Wen verstehst du, sag?«
Es ist nicht zu verstehen, was die Außerirdischen sagen. Aber so geht es mir hier auf der Erde auch oft. Meine Nachbarn sehe, aber verstehe ich nicht, ich begegne ihnen nur häufiger als den Leuten von Ross-128. Ich stelle mein Fahrrad in den Hausflur. Sie hängen Computerausdrucke an die Tür und verweisen auf irgendeine Hausordnung.
Jetzt aber hing ein Zettel an der Tür, es war auch ein außergewöhnliches Signal: Termin für ein Fest im Hinterhof! Bitte Salat und gutes Wetter mitbringen! Ich dachte, man muss nicht übertreiben, die Hälfte reicht, ich verlass mich auf gutes Wetter. Dann kam Gesine Stabroth und war außer sich vor Freude, denn Nachbarschaftsfeste sind das allerbeste. Der moderne Großstadtmensch will seinen Eltern und Großeltern beweisen, dass man ihre ästhetischen Fehltritte auch mit Stil begehen kann. Es dauert nicht mehr lange, dann bekomme ich eine Einladung zum Dia-Abend. Dann bring ich Tomaten mit Mayonnaise mit, die aussehen wie Fliegenpilze. Römertopf ist mir zu aufwändig.
Gesine Stabroth kam dann aber mit sehr modernem Essen, Sachen, die man nicht gut essen kann, weil man immer fragen muss »Mmh, lecker, sag mal, ist da Kerbel drin?« Die Nachbarn aßen Bratwürste und unterhielten sich über Herrn Döring, der nicht kommen wollte, und Autolackierungen. Ich aß hemmungslos Würste, ich hatte ja das Wetter für alle mitgebracht. Die Würste mussten ohnehin »weg«. Niemand wollte etwas von mir wissen, nicht, was ich täte, nicht, was ich dächte, ich sollte nur weiteressen und zuhören.
Ich spürte jene Gemütlichkeit, die sich einstellt, wenn man in Gesellschaft ist, aber keinerlei Ansprüche erfüllen muss. Gesine Stabroth missfiel das Fest bald. Man redete nur, aber beschloss keine Projekte. Niemand hatte die Absicht, einen urbanen Garten anzulegen oder wollte eine Demonstration für Tempo 30 vor dem Haus anmelden. Autolackierung ist ja auch ein komplexes Thema. Ich dachte mir: Da sein und doch nicht da sein — das ist so wie der Kontakt mit den Marsmännchen von Ross 128. All die Ausführungen über Autolacke und Herrn Dörings gescheiterte Ehe, sie sind stark streuende, nicht-polarisierte Impulse, breitbandig und quasiperiodisch.
Meine Nachbarn, die Außerirdischen. Sie funken Signale, die ich nicht verstehe. Sie sind gegenüber im Hausflur, Lichtjahre entfernt. Friedliche Koexistenz ist alles, was wir einander geben können.