Foto: © Danny Frede

»Hollandrad statt Avantgarde«

Das Buch »Geländegang« will das Bewusstsein für regionale Lebensmittel aus

Köln schärfen. Vor allem aber weckt die Mischung aus Kochbuch, Reisebericht

und Reportage die Lust auf gutes Essen

Jan Cornelius Maier und Tobias Becker vom Restaurant »maiBeck« in der Altstadt arbeiten viel mit Produkten aus Köln und der Region. Vor zwei Jahren haben Maier und Becker entschieden, die Lebensmittelproduzenten der Region besser kennenlernen. Einmal im Monat gingen
die Köche mit dem Journalisten und Stadtrevue-Autor Johannes Arens sowie Fotograf Danny Frede im Umland auf Erkundungstour. Daraus entstand ihr Buch »Geländegang«, mit dem sie nun auf Lesereise gehen. Im Interview sprechen Jan Cornelius Maier und Tobias Becker über verdutzte Landwirte, rheinische Küche und Tomaten-Nerds.

 

 

Herr Maier, Herr Becker, alle reden übers Essen, über -nachhaltige Landwirtschaft und regionale Produkte. Und jetzt auch noch Sie...

 

Tobias Becker: Der Diskurs ist wichtig, allerdings auch sehr moralisch. Wir aber waren nicht ideologisch in der Auswahl der Betriebe, die wir für »Geländegang« besucht haben. Wir sind nicht einmal auf einem bio-zertifizierten Hof gewesen. Wir haben einfach nach Leuten gesucht, die mit Leidenschaft ihre Sache machen. 

 

Jan Cornelius Maier: Viele kennen die Produkte ja nur noch aus der Kühltheke und verpackt. Wir möchten den Lesern sagen: Fahrt raus, probiert es aus, erfahrt das mit allen Sinnen, es macht Spaß. 

 

 

Sind Sie auch auf Skepsis bei den Produzenten gestoßen?

 

Becker: Immer! Da stehen plötzlich Leute aus der Stadt vor einem und haben auch noch eine Fotokamera dabei. Wir mussten Überzeugungsarbeit leisten, dass wir wohlwollend sind und schätzen, wie die da arbeiten.

 

 

Alle wollen regionale Lebensmittel — und kaufen dann doch etwas anderes.

 

Becker: Klar, bei einem Streetfood-Essen geben die Leute sehr viel Geld für Essen aus — auch für schlechtes! Aber dieselben Leute kaufen im Supermarkt dann Billigware. Es ist nicht konsistent.

 

Maier: Der regionale Bezug von Nahrungsmitteln gestaltet sich ja auch schwierig. Konsumenten und Produzenten brauchen ein Medium — das ist meist der Handel. Aber oft ist der für beide Seiten ein Feind: Die Kunden schimpfen, dass sie keine Alternativen mehr haben, weil kleine Einzelhändler aussterben. Produzenten schimpfen, weil der Handel nicht gut bezahlt und zu hohe Forderungen stellt. Wenn ein Bauer authentisch arbeitet, kann er nicht fürs übernächste Jahr eine bestimmte Menge Knoblauch vertraglich zusichern. Er weiß nie, wie das Wetter wird und ob ihm nicht ein Wurm in die Quere kommt.

 

 

Wie wäre es besser?

 

Maier: Vielleicht brauchen wir oft gar keinen Handel. Dafür muss man den direkten Kontakt suchen. Dann ist niemand zwischengeschaltet, der am Ende das dicke Geld macht. Aber man muss sich an die eigene Nase fassen. Es gibt kein Bewusstsein für die Kölner Region als Produktionsstätte für gute Lebensmittel. Dabei beginnt hinter Köln eines der größten Obst- und Gemüseanbaugebiete Deutschlands. 

 

 

Was kann man als Konsument tun?

 

Maier: Es gibt viele Einblicke, die einem gewährt werden. Ich war früher mit meinen Eltern auf einem Demeter-Hof bei Eschweiler, da sind wir als Kinder in die Ställe gegangen und die Erwachsenen haben die Kartoffeln aus dem Boden geholt. Das war völlig normal. Man kann sich zum Beispiel auch mal eine Forellenzucht angucken. Da ist dann der Teich, man sieht wie die Fische rausgeholt werden und einen drüberkriegen...

 

Becker: Die Produzenten wollen sich gar nicht verstecken, aber sie haben keine Zeit für Marketing. Die müssen sich um ihren Hof kümmern. Und sie sind mit Leidenschaft bei der Sache. Wie Nerds ohne Computer. Die können dann stundenlang über Tomaten referieren und zeigen Dir, dass sie wirklich im August besser schmecken als im Juni. 

 

 

Ihr Restaurant »maiBeck« wurde mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Wie passt das zu Ihrer bodenstän-digen Haltung?

 

Maier: Unsere Idee war gar nicht, einen Stern zu bekommen, sondern ein gutes, bezahlbares Bistro aufzumachen. Und bei »gut« und »bezahlbar« landet man zwangsläufig bei Anbietern aus der Region. Es wird ja eben nicht teurer, sondern günstiger, interessanter und besser. Ein Apfel, der nicht in der Reifekammer war, schmeckt einfach besser. Eine geerntete Tomate vom Balkon hat einen Duft, den sie schon nach ein paar Stunden verliert.

 

 

Aber selbst in fortschrittlichen Gourmet-Restaurants stehen immer noch Kaviar, Hummer und Stopfleber auf der Karte. 

 

Becker: In Frankreich gibt es renommierte Restaurants, die auf diese Luxusprodukte verzichten. Restaurantkritiker wie Gäste honorieren das. Ein Saibling aus der Agger kann genau so gut sein wie bretonischer Steinbutt. Und Stopfleber verschwindet derzeit komplett — was auch gut ist. 

 

 

Es geht hier auch um Aufklärung. Müssen Gastronomen immer auch Pädagogen sein? 

 

Maier: O je! Nein! Es geht ja um Genuss. (Pause) Aber natürlich: Über außergewöhnliche Genussmomente findet ein unterbewusstes Lernen statt. Lernen durch Erfahrung, nicht durch Belehrung.

 

Becker: Essen und Essengehen sind wichtiger Teil kulinarischer Bildung. In Frankreich kocht man viel zu Hause, geht aber auch viel aus. Da kommen auch die Kinder mit. Ich war von der Lautstärke im L’Auberge de l’Ill überrascht, da toben die Kinder zwischen den Gängen im Restaurant herum, und die Geschäftsleute am Nebentisch stört es nicht. 

 

 

Wie blicken Sie auf die Kölner Gastronomie-Landschaft?

 

 

Maier: Eigentlich sehr positiv. In den vergangenen fünf Jahren  gab es einen riesigen Fortschritt. Man findet auch Spezialisierungen auf bestimmte Produkte und Zubereitungsarten, die Vielfalt ist gestiegen...  

 

... aber im bundesweiten Vergleich steht Köln nicht gut da.

 

Becker: Köln ist sicher nicht Avantgarde. Sagen wir so: Köln hat die größten Möglichkeiten, zu entwickeln (lacht).

 

Maier: Es gibt nicht die zeitgeistigsten Konzepte. Unser »maiBeck« wäre in Berlin ein normaler Laden, dort gibt es viel abgefahrenere Konzepte. Aber pionierhafte Konzepte bedeuten nicht, dass es besser ist. Köln ist keine dynamische Stadt, aber Köln ist solide. Köln sitzt auf einem dicken, gepolsterten Sattel und fährt Hollandrad.

 

 

Jetzt touren Sie mit dem Buch durch Köln. Wollen Sie, dass die Gäste mit einem größeren Bewusstsein für regionale Produkte und gutes Essen aus den Lesungen gehen? 

 

Maier: Ach, ich weiß nicht... Ich hoffe, sie gehen raus und sagen: Das war aber ein lustiger Abend!