Foto: Dörthe Boxberg

Viel Tatütata um nichts

Die Kölner Polizei hat ihren Einsatz an Silvester 2016/2017 aufgearbeitet, bei dem Hunderte junge Männer stundenlang festgehalten wurden. Jetzt steht fest: Die Polizei hatte ihren Einsatz auf falsche Annahmen gestützt. Trotzdem will sie beim nächsten Silvester ähnlich vorgehen

Wer unter Beobachtung steht, macht Fehler. Nach den mas-senhaften sexualisierten Übergriffen beim Jahreswechsel 2015/2016 schauten ein Jahr später Medien aus aller Welt ganz genau auf Köln. Die Frage stand im Raum: Wird es wieder zu Übergriffen kommen? Um dies zu verhindern, hatte man vorgesorgt. Rund um den Dom wurde eine Sicherheitszone eingerichtet: 1500 Polizeibeamte wachten über ein Verbot von Feuerwerkskörpern und Glas-flaschen. Es blieb ruhig. Das Konzept habe sich, so der da-malige Polizeipräsident Jürgen Mathies, »uneingeschränkt bewährt« —  wären da nicht die Kontrollen von Hunderten junger Menschen mit dunkleren Haaren und dunkler Hautfarbe gewesen. Sie wurden teils mehrere Stun-den vor und hinter dem Hauptbahnhof sowie am Bahnhof Deutz festgehalten. Was genau ihnen vorgeworfen wurde, erklärte die Polizei nicht. Die Polizei habe rassistische Kontrollen durchgeführt, behaupteten Amnesty International und andere Organisationen. Kölner Politik und die lokale Tagespresse fanden den Einsatz gerechtfertigt.

 

Die Polizei selbst gründete Mitte Januar eine »AG -Silvester«. Sie sollte klären, von wo und warum die jungen Männer zum Jahreswechsel nach Köln gekommen sind. Ende September wurden die Ergebnisse auf einem Symposium vorgestellt. In seiner Begrüßung erklärte der neue Polizeipräsident Uwe Jacob, es gehe bei der Aufarbeitung nicht nur um Köln, sondern die Polizei zeige, wie gut sie sich auf »gesellschaftliche Veränderungen« einstellen könne. Oberbürgermeisterin Henriette Reker erklärte in ihrem Grußwort, der Einsatz habe sich »wirklich gelohnt«. Nachträgliche Kritik hält sie für »wenig überzeugend und nicht angebracht«.

 

Für die Aufbereitung hatte die Polizei Fragebögen an mehr als 600 Personen, die von ihr kontrolliert worden waren, verteilt und Wissenschaftler wie den Konfliktforscher Andreas Zick und den Kriminologen Thomas Feltes sowie Sozialarbeiter um ihre Einschätzung gebeten. Die Ergebnisse zeigen: Viele Behauptungen, die im Januar aufgestellt worden sind, haben sich als falsch erwiesen. In der Silvesternacht hatte die Polizei getwittert: »Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft«. Jedoch stammte nur eine mittlere zweistellige Zahl der kontrollierten Menschen aus den Maghreb-Staaten. Die Polizei geht jedoch davon aus, dass sich viele Maghrebiner bei der Asylantragstellung als Syrer ausgegeben hätten. Fehlende Dokumente und Dialekte sprächen dafür.

 

Kurz nach Silvester wurde spekuliert, die jungen Männer seien nach Köln gekommen, um als große Gruppe erneut sexuelle Übergriffe zu begehen. Bis heute gibt es jedoch keine Hinweise auf größere Verabredungen, sich in Köln zu treffen oder gar Straftaten zu begehen — weder in Chats noch in sozialen Netzwerken. Die meisten Menschen entschlossen sich wohl spontan am Silvestertag oder in den Tagen davor dazu, den Jahreswechsel in Köln zu feiern. Auch um Großgruppen handelte es sich nicht, zumeist hatten sich die jungen Männer in Gruppen von zwei bis fünf Personen verabredet. Fast die Hälfte der kontrollierten Menschen lebt in Köln und dem direkten Um-land, die meisten anderen kamen aus dem restlichen NRW. Ihre Motivation, nach Köln zu kommen, war banal: Köln gilt als weltoffene Großstadt, in der man einen schönen Abend haben und viele Bekannte treffen kann. Die meisten Befragten gaben an, die sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015/2016 seien ihnen nicht bekannt gewesen.

 

Angesichts dieser Fakten zeigt sich die Polizei Köln selbstkritisch. Es habe »kulturelle Missverständnisse in der polizeilichen Kommunikation« gegeben, erklärten die beiden Beamten, die die Ergebnisse der polizeilichen Arbeitsgruppe Silvester vorstellten. Die Menschen hätten eine freundliche Polizei erwartet und ihren Unmut über die Kontrollen lautstark artikuliert. Dies sei möglicherweise fälschlicherweise als aggressives Verhalten wahr-genommen worden. Trotzdem klassifiziert die Polizei Köln die jungen Männer weiterhin als Problemgruppe.

 

Sie seien »ungelernt« im Umgang mit Alkohol und hätten nicht die finanziellen Möglichkeiten, in Kneipen und Discos zu feiern. Daher verteidigt Polizeipräsident Uwe Jacob den Einsatz weiter. Ohne das »massenhafte Auf-gebot« hätte man eine ähnliche Situation wie im Vorjahr gehabt. Jacob bedauert, dass die Polizei die Menschen nicht davon habe abhalten können, nach Köln zu kommen. Als sie dann vor Ort waren, habe man »polizeilich damit umgehen« müssen.

 

In der Nachbereitung sparte besonders der Bochumer Kriminolo-ge Thomas Feltes nicht mit Kritik. Feltes, der sich ansonsten vor allem mit dem Umgang der Polizei mit Fußballfans befasst, lobte zwar, dass die Polizei überhaupt öffentlich und unter Beteiligung von Wissenschaftlern zu einer Aufarbeitung des Einsatzes bereit war. Bei Fußballfans habe die Kölner Polizei ja bereits gelernt, trotz eines »schlecht gelegenen« Stadions gut mit den Gruppen zu kommunizieren. Zugleich kritisierte er die Ergebnisse der Untersuchung. Es fehle eine Vergleichsgruppe und so stelle sich die Frage, ob »Biodeutsche mit gleicher sozialer Herkunft« nicht ähnlich oft Straftaten verdächtigt würden. Der Kriminologe forderte von der Polizei, auf soziale Missstände aufmerksam zu machen und die Politik zu Lösungen zu animieren. Polizeiliche Probleme seien gesellschaft-liche Probleme, die durch Ausgrenzung und Repression im Zweifel eher vergrößert würden.

 

Bei der Polizei Köln sind diese Anregungen nicht wirklich angekommen. Polizeipräsident Jacob kündigte an, seine Beamten würden sich »mindestens genauso« aufstellen wie im vergangenen Jahr. Jürgen Mathies, der in der Zwischenzeit zum Staatssekretär im nordrhein-west-fälischen Innenministerium aufgestiegen ist, plant, in der Silvesternacht in allen Innenstädten Nordrhein-Westfalens »Präsenz zu zeigen«. Die konkreten Planungen bei der Polizei beginnen allerdings gerade erst.

 

Bei der Stadt Köln ist man da schon weiter. Rund um den Dom sollen auch in diesem Jahr wieder Alkohol und Böller verboten sein, am Römisch-Germanischen Museum gibt es erneut eine Lichtanstallation und auf der Dom-platte und dem Roncalliplatz ein Kulturprogramm mit »Musikprojekten aus der Stadtgesellschaft«. So will die Stadt ein Zeichen für einen »friedlichen und feierlichen Jahreswechsel« setzen. Dafür steht ein Budget von 240 000 Euro zur Verfügung.

 

Güldane Tokyürek, Ratsmitglied der Linken, hält die Planungen für verfehlt. Man müsse über ein anderes Konzept nachdenken, das auch den jungen Männern, die im vergangenen Jahr kontrolliert wurden, ein Angebot mache. Gemeinsam mit der SPD setzt sich die Fraktion der Linken im Rat für eine frei zugängliche Partyveranstaltung ein, mit deutlich größerem Kulturprogramm als bisher geplant. Auch Streetworker sollen zugegen sein, die einen »verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol« thematisieren könnten. Ähliches schlug auch der Konfliktforscher Andreas Zick auf dem Symposium vor. -Polizei und Stadt müssten klar und mehrsprachig kommunizieren, welche Erwartungen sie an feiernde Menschen haben und welche Regeln es dafür gebe. Zudem regte der Wissenschaftler an, kostenlose Angebote an mehreren Stellen in der Stadt zu schaffen, um die Situation an Dom und Hauptbahnhof zu entzerren. Auf diese Idee hätten Polizei und Stadt auch selbst kommen können.