Atemlos durch die Stadt, Teil 1
»Das sind ja Peking-Werte!« Christian Döring steht an einer Bushaltestelle am Wiener Platz in Mülheim. Es ist ein Freitag Anfang Oktober, acht Uhr morgens, grau und nasskalt. Um Döring herum tobt die Rushhour: Busse und Bahnen sind überfüllt, Automassen schieben sich über den Clevischen Ring. Döring blickt auf ein kleines Gerät, das er in der Hand hält. Es misst die Konzentration von Feinstaub in der Luft. Als die Zahlen aufblinken, wirkt selbst Döring ein wenig erschrocken: »Erstaunlich hoch«, sagt er. Es klingt nach einer Mischung aus Entsetzen und Faszination. »Bei Regen und Wind sind die Werte sonst eigentlich niedriger«, erklärt er. Christian Döring ist von Beruf Kinderarzt und arbeitet am Hansaring. Und er ist Lobbyist für gute Luft: Döring hält Vorträge über die Gefahren der Luftverschmutzung, er berät Organisationen und Initiativen. Luft ist sein Element. Autos nennt Döring »Emittenten auf vier Rädern«, und er sagt Sätze wie »Am besten atmet man nur noch aus«. Dann lacht er, obwohl ihm sein Anliegen sehr ernst ist.
Die Luft ist dreckig, giftig und macht krank
Luft ist längst eines der größten Probleme in den Städten geworden. Weil sie dreckig und giftig ist. Weil sie Menschen krank macht. Weil es der Politik nicht gelingt, Menschen vor dieser Gefahr zu schützen. Zum Sinnbild der Kölner Misere ist eben jener Clevische Ring in Mülheim geworden, an dem Christian Döring mit seinem Messgerät im Nieselregen steht. Die Bundesstraßen 8 und 51 laufen hier auf fünf Spuren zusammen.
Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) hat hier eine Station zur »Luftqualitätsüberwachung« aufgestellt, ein Dutzend weitere stehen an anderen »Hotspots« im Kölner Stadtgebiet. Sie messen verschiedene Schadstoffe wie Feinstaub, Ozon oder Stickoxide — ein Sammelbegriff für Sauerstoffverbindungen von Stickstoff, die bei Verbrennungsprozessen entstehen. Vor allem die Konzentration von Stickoxiden ist in Köln eklatant hoch. Der Clevische Ring bringt es in ganz NRW auf die höchsten Werte der insgesamt 127 Messstellen im Land. Das Jahresmittel an Stickoxiden betrug hier im vergangenen Jahr 63 Mikrogramm pro Kubikmeter — der Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm.
Schon seit etlichen Jahren hat Köln flächendeckend dieses Problem mit Luftschadstoffen, vor allem mit Stickoxiden. Gerührt hat sich die Stadt trotzdem kaum. Zwar gibt es für Köln bereits seit 2007 einen »Luftreinhalteplan« (LRP), der 2012 sogar noch mal überarbeitet wurde. Doch das mehr als 200 Seiten starke Dokument enthält viele Absichtsbekundungen. Bewirkt hat der Kölner LRP in zehn Jahren allein, dass die sehr schlechte Luft nicht noch schlechter geworden ist. Gestört hat sich daran niemand.
Prozesse im Akkord
Dann kam der 13. September 2016. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), ein deutschlandweit tätiger Verband, gewann vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf einen Prozess gegen die dortige Bezirksregierung. Die DUH argumentiert in ihrer Klage, dass die Grenzwerte für Luftschadstoffe geltendes EU-Recht darstellten — und jeder Bürger einen Anspruch habe, dass sie eingehalten würden. Die Städte und Gemeinden, so die DUH, müssten dafür die Bedingungen schaffen. Weil viele Städte das aber nicht tun, will die DUH sie nun per Gericht dazu verpflichten. Der Umweltverband führt dieser Tage Prozesse im Akkord. Beklagt sind 17 Städte, darunter auch Köln und die Kölner Bezirksregierung. Die DUH will verbindliche Pläne erstreiten, die »erforderliche Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung« des Stickoxid-Grenzwerts enthalten. Mit Erfolg: Der Verband ist auf einem Siegeszug durch die deutschen Verwaltungsgerichte, nicht nur in Düsseldorf. Den Städten droht dadurch womöglich ein Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge — und ein großes Chaos.
Entsprechend nervös sind plötzlich die Verantwortlichen, und genervt von der Deutschen Umwelthilfe, einem kleinen Lobbyverband mit noch nicht einmal 300 Mitgliedern. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat Berufung gegen das Urteil des dortigen Verwaltungsgerichts eingelegt, der Prozess geht nun vor das Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig. Am 22. Februar 2018 wird dort das Urteil verkündet. Im Kölner Rathaus ist man nervös. Das Verfahren gegen die Bezirksregierung Köln, bei dem die Stadt Köln Beigeladene ist, ist zunächst zwar ausgesetzt — doch wenn im Februar das Urteil in Leipzig fällt, gilt der Richterspruch als richtungsweisend für das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts. Dass Politik und Verwaltung jahrelang das Recht auf saubere Luft missachtet haben, könnte sich dann rächen.
War OB Reker untätig?
»Relativ wenige Städte haben ernsthaft an Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte gearbeitet — auch Köln nicht«, sagte Harald Rau, seit vergangenem Jahr Kölner Umweltdezernent, im März gegenüber dem Kölner Express. Das war auch eine Kritik an Raus Vorgängerin im Umweltdezernat und heutige Chefin: Oberbürgermeisterin Henriette Reker. 2010 hatte Reker die Leitung des Umweltdezernats übernommen. 2010 war auch das Jahr, in dem die EU ihre Grenzwerte aufstellte, die Köln seither nicht einhält.
Jetzt könnte die Stadt ihre Macht darüber verlieren, mit welchen Maßnahmen die Luft künftig sauberer werden soll. Statt Politik und Verwaltung würden dann Gerichte in Köln durchlüften. Und das würde womöglich ungemütlich. Denn Fahrverbote, besonders für Diesel-Fahrzeuge, gelten als das wirksamste und schnellste Mittel, um die Luft von Stickoxiden zu reinigen. Sie sind aber auch ein letzter Ausweg. Denn praktisch bedeutete das einen massiven Eingriff in das Leben der Menschen — nicht nur für leidenschaftliche Autofahrer.
Leere Supermarktregale?
Ulrich Soénius ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln. »Kommt das Dieselfahrverbot, dann bricht die Versorgung in der Stadt zusammen«, sagt er. »Dann stehen die Waren nicht mehr in den Regalen.« Die meisten Menschen kaufen nun mal im Supermarkt, erklärt er, und die Filialen würden mit 40-Tonnern beliefert. »Das geht auch nicht anders, sonst wären da noch mehr Fahrzeuge unterwegs, also noch mehr Stau. Elektromobilität ist wichtig, aber einen Elektro-40-Tonner gibt es nicht.«
Schärfer ist der Ton bei Ortwin Weltrich, Hauptgeschäftsführer der Kölner Handwerkskammer (HWK). Die Handwerksbetriebe sind alarmiert. »Wenn die Luft wirklich ein so großes gesundheitliches Problem ist, ist mir dieses Laissez-faire über all die Jahre umso unverständlicher«, sagt er. Zudem werde die Stadt mit ihren Betrieben ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht. »Allein die Müllabfuhr müsste wohl eigentlich eine Rote Plakette bekommen.« Allerdings hält Weltrich auch nicht viel von Umweltzonen. Da werde ein gesundheitlicher Nutzen oft nur suggeriert, sagt er. Die Feinstaubwerte seien eher durch veränderte klimatische Bedingungen und die Abwrackprämie gesenkt worden. Natürlich müsse die Luft besser werden. Aber Fahrverbote ruinierten die Handwerksbetriebe. Deren Transporter würden nun mal mit Diesel betrieben. Dürften sie nicht mehr in die Innenstadt, wären die Folgen drastisch. Für die Betriebe, aber auch für die Kunden: »Sollen die nach dem nächsten Sturm das Dach selbst neu decken?« Weltrich fordert ein Nachrüstprogramm für leichte Nutzfahrzeuge, wie sie Handwerksbetriebe benötigen. Die Nachrüstsätze müssten gefördert werden und billig sein. Und Elektroautos? »Bis sich alle ein E-Auto leisten können, werden noch viele Jahre vergehen«, glaubt Weltrich. »Dann wird man feststellen, dass es nur eine Übergangstechnologie war. Und der Strom kommt von der Braunkohle, weil uns Atomenergie zu gefährlich ist.«