Lady Macbeth

Reduziert und präzise erzählt William Oldroyd von der Emanzipation einer jungen Frau im England des 19. Jahrhunderts

Lady Katherine (Florence Pugh) sitzt auf dem Sofa wie auf einer Bühne. Von dunklen Holzmöbeln gerahmt bildet sie den Mittelpunkt eines symmetrischen Tableaus. Der Blick starr, die Hände in den Schoß gelegt, das Kleid hochgeschlossen, der voluminöse Rock würdevoll um sie herum drapiert. Diese Version seiner Gattin sieht der Kaufmann Alexander Lester (Paul Hilton) am liebsten. Aber die sittsame Ehefrau, die tagsüber den Kopf ins Gebetsbuch steckt und abends eheliche Pflichten erfüllt, ist nur eine Rolle, die Lady Katherine sich anfangs noch zu spielen bemüht. Bald wird sie dieses Korsett aus Erwartungen und Konventionen sprengen, wann immer sich die Möglichkeit bietet.

 

»Lady Macbeth« ist das Filmdebüt des Theaterregisseurs William Oldroyd. Es basiert auf der Novelle »Die Lady Macbeth von Mzensk« des russischen Schriftstellers Nikolai Leskow aus dem Jahr 1864. Sie erzählt von der Wandlung einer jungen Frau, die zu Beginn nicht mehr ist als ein Besitz. Ihrem wesentlich älteren Mann wird sie zusammen mit einem Stück Land verkauft, das, so drückt sich ihr Schwiegervater aus, »nicht wert ist, dass eine Kuh darauf grast«.

 

Katherines Rebellion beginnt zaghaft. Wenn ihr Mann sie beschwört, das Haus nicht zu verlassen, scheint das Bangen um seine Reputation größer als die vorgeschobene Sorge um ihre Gesundheit. Aber sie geht doch. Streift mit offenem Haar durch die englische Natur. Schnell drehen sich die Machtverhältnisse im Haus. Katherine überschreitet Grenzen und jedes Mal fallen die Hemmungen ein Stück. Die heimliche Affäre mit einem Angestellten ihres Mannes bekräftigt Katherine in ihrem Entschluss: Wer noch einmal versucht, ihr etwas vorzuschreiben, hat den Anspruch auf friedliche Koexistenz verwirkt.

 

Die Figuren in »Lady Macbeth« sind, erwachen sie einmal aus ihrer Lethargie, Getriebene ihrer Instinkte und Affekte. William Oldroyd zeichnet ungerührt auf, wie existenzielle Langeweile in ungezügelte Leidenschaft umschlägt. Dazu reichen ihm Mittel, die reduziert sind, aber umso präziser. Kaum einmal ist Musik zu hören, stattdessen knarren die Dielen, klappert das Geschirr und knistern die Stoffe im Haus unnatürlich laut. Ständig liegt eine beinahe taktile Gespanntheit in der Luft, Ungeheuerliches scheint vor sich zu gehen. Ob das Gesehene Wut oder Scham auslöst, die langen Einstellungen zwingen hinzuschauen. Katherine braucht in »Lady Macbeth« vielleicht kein Urteil zu befürchten. Aber mit Gnade oder Vergebung darf sie auch nicht rechnen.