Die Kehrseite der Bilder

Die Bundeskunsthalle in Bonn zeigt den Fall Gurlitt

Vor einer lindgrünen Wand lesen Menschen Saaltexte, biografische Angaben und aufgezogene Zeitungsausschnitte. Schlagworte wie »Sensationsfund«, »Nazi-Schatz« oder »Phantom« schwelen im Raum, machen die Atmosphäre dicht und gedrückt.

 

Dementsprechend verhalten sich auch die Betrachter — bedächtig, konzentriert, kaum einer spricht. Nur selten kommt man in eine Ausstellung, die derart ernsthaft rezipiert wird, in der sich die Besucher so intensiv mit Texten, Dokumenten und Bildern auseinandersetzen. Kann man wirklich mit einer Ausstellung zu dem unbequemen Thema des NS-Kunstraubs heute noch Interessierte hinter dem berühmten Ofen hervorlocken? Man kann, wie die Bonner Schau eindrucksvoll beweist. 

 

Hintergrund der »Bestandsaufnahme Gurlitt«, wie der Titel der Ausstellung lautet, ist der 2013 an die Öffentlichkeit geratene »Kunstskandal« um Cornelius Gurlitt, bei dem 1.566 Kunstwerke in seinen Häusern in München und Salzburg gefunden wurden. Sie galten bis dato als vernichtet. Dieses Szenario bot die perfekte Plattform für wilde Spekulationen — sowohl über die Anzahl der Werke als auch über deren pekuniären Wert. Ganz zu schweigen von den Opfer-Geschich-ten über Raub und unrechtmäßige Enteignung zur Zeit des Nationalsozialismus, in die vor allem der Vater, Hildebrand Gurlitt, ver-wickelt gewesen sein soll. Er ist auch die zentrale Figur, um die die Doppelausstellung in Bonn und Bern gestrickt ist, zwei Orte, die mit dem Nachlass Gurlitt eng verknüpft sind.

 

 Die Kunsthalle in Bonn war maßgeblich an der restauratorischen Bestandsaufnahme der Kunstwerke beteiligt, die Cornelius Gurlitt nach seinem Tod 2014 dem Kunstmuseum Bern vererbte. Beide Ausstellungen lassen nun mit unterschiedlichen Schwerpunkten die medial immer größer gewordene und emotional-hitzige Berichterstattung um die Hintergründe des Gurlitt-Besitzes sachgerecht und neutral abkühlen. »Wir betreiben keine Tendenzforschung, sondern recherchieren offen und sachlich«, so die Leiterin der Projektgruppe Provenienzrecherche Gurlitt, Andrea Baresel-Brand. 

 

Im Vordergrund der Ausstellung steht die Bemühung um den lückenlosen Nachweis über die Herkunft der Werke. In fünf thematisch eingeteilten Räumen wird Zeitgeschichte mit der Biografie Hildebrand Gurlitts verwoben und von Kunstwerken begleitet. Als Museumsdirektor — zunächst in Zwickau (1925-1930) und später in Hamburg (1931-1933) — wurde Gurlitt beide Male seines Amtes enthoben. Gründe hierfür waren seine avantgardistische Ankaufspolitik und u.a. auch seine Mutter, die jüdische Wurzeln hat. Daraufhin stieg Gurlitt in den Kunsthandel ein, ging seinen privaten An- und Verkaufstätigkeiten nach und avancierte ab 1942 zu einem der Chefeinkäufer für den sogenannten »Sonderauftrag Linz« — ein von Hitler akribisch geplantes, jedoch nie realisiertes Museumsprojekt. 

 

Nach dem Krieg entnazifiziert und rehabilitiert, erhielt Gurlitt nicht nur bereits 1950 die vor Kriegsende zu seinem Besitz zählenden Werke zurück, sondern konnte als neu eingesetzter Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins zügig seine früheren Kontakte wieder aufleben lassen. Von dieser wechselvollen Geschichte zeugt der sehr heterogene Nachlass Gurlitts, der auch aufgrund der prominenten Künstlernamen das öffentliche Interesse auf sich zog. So sind in Bonn 250 Werke von unterschiedlicher Qualität unter anderen von Dürer, Cranach, Monet, Courbet, Dix, Rubens und exzellente Zeichnungen und Drucke von Beckmann, Munch oder Toulouse-Lautrec zu sehen.

 

Wer jedoch einen Kunstgenuss par excellence erwartet, wird enttäuscht. Die Arbeiten sind oft dicht an dicht gedrängt. In der massiven Ausstellungsarchitektur zwischen Vitrinen, Texten, unterschiedlichen Wandfarben und harten Schlaglichtern können sie kaum atmen. Mit Absicht steht das Wort vor dem Bild und die Aufklärung des »Falls -Gurlitt« im Mittelpunkt. Hier überstrahlen die Kehrseiten der Bilder (womit auch ihre Rückseiten mit Inventarnummern und Hinweisen gemeint sind) die Kunst. Die besondere Schwere der Geschichte liegt über ihnen. Doch ganz ohne reißerische Leitsätze, Schwarz-Weiß-Malerei oder gar Schuldzuweisungen begegnet die Ausstellung dem im Vorfeld vielfach geäußerten Unmut über die damalige »rechtlich zweifelhafte Beschlagnahmung« der Gurlitt-Werke mit einem konkreten Stand der Provenienzforschung. Die Strategie, die bisher erforschten Fakten und Ergebnisse mit Originaldokumenten (u. a. auch dem Führervorbehalt von 1938) auszustellen und die NS-Kunstpolitik und deren Folgen mittels eines intensiven Begleitprogramms transparent zu machen, geht auf. Die sechs bisher als Raubkunst eingestuften Werke sind genauso Teil der Ausstellung wie die ungeklärten oder unbedenklichen Fälle. Hinzu kommen die emotional sehr berührenden Geschichten der ehemaligen Besitzer, die sich durch Enteignung, Freitod oder teils dramatischen Verkaufsumständen von ihren Kunstwerken trennen mussten. 

 

Allein die Kunst bleibt als bloßes Vehikel zur Bebilderung des Falls Gurlitt auf der Strecke — womit jedoch die Idee der Ausstellung konsequent verfolgt wird. Es wäre schön, die Werke in einem anderen Zusammenhang noch einmal zu sehen, dann, wenn die Provenienzrecherche abgeschlossen ist. 

 

 

Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen, Bundeskunsthalle Bonn, Di–Mi 10–21, Do–So 10–19 Uhr, bis 11.3.18.Parallel läuft im Kunstmuseum Bern »Entartete Kunst« — Beschlagnahmt und verkauft, bis 4.3.18