Ebertplatz

Grüße aus der No-Go-Zone

 

Drogen, Gewalt und irgendwas mit Afrikanern — Köln bietet internationalen Medien wieder Stoff für große Aufregung. Diesmal am Pranger: der Ebertplatz. Wie konnte es dazu kommen? Wir haben den Schöpfer der »Bausünde« besucht und uns tief in die No-Go-Zone zwischen Eigelstein und Agnesviertel begeben

 

Am 14. Oktober will Birgit Breuer auf dem Ebertplatz mit Passanten spielen. Schiffe versenken, Crossboule oder ein Handy-Suchspiel, solche Aktionen haben sie und andere Mitglieder der Stadtteilkonferenz sich ausgedacht, um den Platz zu beleben. Auch eine Kaffee-Ecke gibt es. Die Sonne scheint, viele Menschen sind auf dem Platz. Doch die Stimmung ist angespannt.

 

»Da saßen Gruppen, die untereinander Stress hatten, schon am Vormittag kam es zum ersten Polizeieinsatz«, erzählt Breuer, die bei der Alten Feuerwache für die Stadtteilarbeit zuständig ist. Irgendwann sei aus einer der Gruppen ein Schuh an ihren Stand geflogen. »Das war schon unangenehm. Wir waren mit 15 Personen vor Ort. Wären wir weniger gewesen, hätten wir die Aktion wohl abgebrochen«, so Breuer.

 

Später am Abend kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Männern aus dem Drogenmilieu. »Ein Junge aus Guinea hat einem anderen einen Kunden weggenommen«, erinnert sich Evens Onserio, der in der Passage am Ebertplatz die Bar »Bistro-Treff« betreibt. »Der war sehr aggressiv.« Vier oder fünf Männer streiten miteinander, jemand zückt ein Messer und sticht auf den 22-jährigen Guineer ein. »Es gab Schreie, wir sind rausgegangen«, erzählt Onserio. Der 22-Jährige habe am Boden gelegen, ein Krankenwagen sei schnell gekommen. Im Krankenhaus stirbt er an den Folgen seiner Stichverletzung. Seitdem stehen Blumen und Kerzen vor dem stillgelegten Brunnen am Ebertplatz.

 

 

 

Lieblingspartykeller der Kunstszene

 

Afrikaner, Köln, Gewalt — diese Mischung verfing sofort in den internationalen Medien. Die Zeit entdeckte am Ebertplatz ein »zombieapokalyptisches Umfeld«, die NZZ einen »Kampf für Recht und Ordnung«. Der Kölner Stadt-Anzeiger behauptete: »Schon lange meiden Anwohner und Passanten den Ebertplatz«, und das rechtsextreme Internetportal Breitbart nannte den Platz eine »No-Go-Zone«. Anfang November wollte eine Gruppe von Hooligans schließlich das Recht in die eigene Hand nehmen und lief vor den Kunsträumen auf. Ihre Aktion endete mit zwei Festnahmen und einer Anzeige wegen »volksverhetzender Äußerungen gegen Schwarzafrikaner«. 

 

Die Stadt reagierte kopflos. Stadtdirektor Stephan Keller (CDU) sprach von »Angstraum« und kündigte an, die Zugänge zur Passage versiegeln zu lassen. Hinter dem Rücken der Oberbürgermeisterin Henriette Reker kündigte das Liegenschaftsamt den Mietern der Passage. Vier Kunsträume, zwei afrikanische Bars und ein Copy-Shop sollen zum Sommer 2018 ausziehen. Nachdem sich die Öffentlichkeit und die Grünen, die Reker als OB unterstützt hatten, laut beschwerten, hat Reker die Kündi-gungen bis auf diejenige des Kunstraums »Labor« vor-läufig ausgesetzt. 

 

»Niemand hat verstanden, was die Stadt dort eigentlich plant«, sagt Michael Nowottny. 2005 hat er mit seinen Mitstreitern das »Labor« in der Ebertplatzpassage gegründet. Sie stellen dort Kunst aus, veranstalten Lesungen oder Konzerte. Zur Art Cologne wird die Passage bis früh morgens zum Lieblingspartykeller der Kunstszene. »Lange war für die Stadt nicht interessant, was wir tun«, sagt Nowottny, »dabei hat der Ebertplatz ein riesiges Potenzial.« Seit 2012 werden die Kunsträume vom Kulturamt gefördert, jetzt wollen sie als Zusammenschluss unter dem Namen »Brunnen e.V.« regelmäßig Veranstaltungen auf dem Ebertplatz abhalten. Bislang sei es äußerst kompliziert und langwierig gewesen, die Genehmigungen dafür zu bekommen. Nun hoffen sie auf mehr Entgegenkommen von der Stadt.

 

Neben den vier Kunsträumen gehören auch die beiden Bars und der Copy-Shop zum Brunnen e.V.. »Wenn ich meine Bar schließen muss, bin ich auf Sozialhilfe angewiesen«, erklärt Sam Opoye im »African Drum«, das er seit elf Jahren führt. »Bevor Evens und ich unsere Bars aufgemacht haben, war die Passage nur ein Schlafplatz für Obdachlose«, erzählt er. Die Geschäfte seien lange gut gegangen. Die westafrikanische Community tanzt am Wochenende in dem großen Lokal zu Naija Pop aus Nigeria und Afrobeats aus Ghana, einmal im Jahr veranstaltet das Kölner Techno-Label Cómeme dort eine große Party. Aber seit der Messerstecherei seien die Umsätze eingebrochen, berichtet Opoye, der Express hatte seine Kneipe danach als Treffpunkt für Drogen-dealer bezeichnet. »Ich weiß, wer die Dealer sind, weil ich jeden Tag hier bin«, sagt er und zeigt auf die Blumenbeete, in denen die Drogenhändler ihre Waren vergraben haben. Er und Evens -Onserio vom »Bistro-Treff« hätten der Polizei ihre Hilfe angeboten, diese habe sich jedoch nicht zurückgemeldet. Stattdessen seien ihre Gäste kontrolliert worden, weil die Polizei sie für Dealer gehalten habe, berichten die Gastwirte. 

 

Die Polizei bezeichnet den Ebertplatz als Brennpunkt für Drogenkriminalität. Hauptsächlich wird dort Cannabis gedealt. Dieses Jahr hat sie deshalb verstärkt Kontrollen durchgeführt. »Der Platz ist jedoch so verwinkelt konstruiert, dass selbst vor Ort streifende Polizisten nicht die gesamte Fläche überblicken können«, erklärt Polizeisprecher Christoph Gilles. Bei einer Razzia können die Verdächtigen leicht durch die vielen Aufgänge ins Agnes-viertel oder zum Eigelstein flüchten. Aber die meisten Verbrechen geschehen nicht in der Passage, sondern auf der Platzmitte oder in der KVB-Station, wo täglich rund 60.000 Menschen aus- oder umsteigen, erklärt Polizeisprecher Gilles. Einen Umbau der U-Bahn-Station hat bislang jedoch noch niemand gefordert. 

 

»Wenn ein Thema in den Medien präsent ist, steigt die Angst davor«, sagt die Soziologin Kristina Seidelsohn. »Die Bezeichnung Angstraum für einen Ort werden sie kaum wieder los.« Seidelsohn hat in Köln studiert und an der FU Berlin an einem Forschungsprojekt zur Wahrnehmung von Unsicherheit in Städten mitgearbeitet. »Der Begriff des ›Angstraums‹ ist dehnbar.« Meistens werde nicht deutlich genug unterschieden zwischen statistisch nachweisbarer Kriminalität, Kriminalitätsfurcht und den Ängsten von Bewohnern auf einen bestimmten Raum. »Aber gerade die Kriminalitätsfurcht speist sich auch aus sozialen Ängsten, etwa der Abstiegsangst der Mittelschicht«, so Seidelsohn. Beim Ebertplatz komme noch hinzu, dass diese Ängste auf Männer aus Afrika projiziert würden: »Dass dort Nazi-Hooligans auftauchen, ist ein starker Hinweis darauf, dass das Problem ethnisiert wurde.« 

 

Seit November ist von Drogenkriminalität auf dem Ebertplatz nichts mehr zu merken. »Dealer treffen wir bei unseren täglichen Rundgängen auf dem Platz nicht mehr an«, sagt Stefan Lehmann, der beim Gesundheitsamt als Streetworker mit Drogenkranken arbeitet. Immer wieder hatten Kölner Politiker von SPD und Grünen in den vergangenen Wochen gefordert, Sozialarbeiter müssten auf dem Ebertplatz aktiv werden. »Wir haben uns da lange raus-gehalten, weil Straftäter Sache der Polizei sind«, sagt Lehmann defensiv. Dennoch sei möglich, dass einige Dealer auch sozialarbeiterische Hilfe benötigten. Gemeinsam mit Uwe Schärpf, der bei der Stadt Köln die Street-worker koordiniert, und anderen Trägern hat Lehmann deshalb beschlossen, regelmäßig Sozialarbeiter auf den Ebertplatz zu schicken. So will man Kontakt zu Jugend-lichen und Erwachsenen bekommen, die sich dort und auf dem angrenzenden Theodor-Heuss-Park aufhalten. Das sei nicht leicht. »Wir haben am Ebertplatz aber keine offene Drogenszene wie am Friesenplatz, am Neumarkt oder am Wiener Platz.« 

 

 

 

Angsträume und Tiefgaragenträume

 

Wenn aber mehr Sozialarbeit die Probleme auf dem Ebertplatz auch nicht lösen kann, was dann? Mitte November sitzen 150 Menschen in der Aula des Abendgymnasiums im Gereonsviertel. Die SPD hat eingeladen und vier Männer aufs Podium gesetzt: Streetwork-Koordinator Uwe Schärpf, der seine Arbeit vorstellt. Peter Otten, Pastoral-referent der Gemeinde St. Agnes, der erklärt, seine Gemeinde sei entsetzt über den Plan, die Passage zu schließen. Der neue Polizeipräsident Uwe Jacob, der den Ebertplatz erneut zum Angstraum erklärt, und Stadtdirektor Stephan Keller, der seine Pläne zur Schließung der Passage bekräftigt: »Im Idealfall gäbe es eine Lösung, die die Ebenengleichheit zum Ebertplatz herstellt.« Dafür erntet er erneut Widerspruch. »Ich bin passionierter Fußgänger und nutze den Ebertplatz jeden Tag gerne«, erklärt ein Anwohner. Er sei dort nie bedroht worden. »Ich habe immer noch keine Angst«, erklärte eine andere Anwoh-nerin. Der Ebertplatz müsse leben — »mit einem Café, Bänken und einem Brunnen.« Applaus im Saal. 

 

»Die Stadt verwaltet den Platz kaputt«, sagt Michael Nowottny vom Kunstraum »Labor«. Ende der 90er Jahre wurde der Brunnen abgeschaltet und nur für die WM 2006 noch einmal kurz in Betrieb genommen. Die Rolltreppen stehen seit mehr als zehn Jahren still, schließlich wurden die Lampen in der Passage abgedeckt, weil angeblich Dealer Drogen darin versteckten. Es wurde dunkel und stank nach Urin. Als der Rat im Jahr 2009 beschloss, den Masterplan von Albert Speer umzusetzen und damit auch den Ebertplatz komplett neu zu gestalten, stand für die Stadtverwaltung fest: Investieren lohnt nicht mehr. »Der Masterplan war fatal für den Ebertplatz, denn seither heißt es: Der Platz wird doch eh irgendwann neu gestaltet«, sagt Andreas Hupke (Grüne), Bezirks-bürgermeister der Innenstadt.

 

Die Betonung liegt auf irgendwann. Denn da war auch noch der Traum, den die Politiker der FDP-Fraktion träumten: Wenn der Platz wieder auf Straßenniveau angehoben werde, dann könnte man den Platz darunter doch wieder nutzen. Am besten für eine Tiefgarage! Der Rat gab eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die die Planungen für den Umbau des Platzes um vier Jahre verzögerten. Im Frühjahr 2017 legte die Stadtverwaltung das Ergebnis vor: Tief-garage lieber nicht, der Bau wäre zu teuer.

 

 

 

Autogerechter Fußverkehr

 

Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum sich all die Jahre kaum jemand für den Ebertplatz einsetzte. Seine Architektur war in Verruf geraten, und das schon bald nach seiner Fertigstellung im Jahr 1977. Sie war noch ganz den Ideen des Städtebaus verschrieben, wie er in den 60er Jahren vorherrschte, und von denen sich nur ein Jahrzehnt später die meisten Menschen erschrocken wieder abwandten: vom autogerechten Umbau Kölns etwa, dem der Ebertplatz die sechsspurige Turiner Straße als Teil der Nord-Süd-Fahrt verdankt. »Als ich 1966 nach Köln kam, lautete das Prinzip in der Stadtplanung, den Fußverkehr vom Fahrverkehr zu trennen«, sagt Werner Baecker, 89. Der frühere Kölner Hochbaudezernent sitzt an einem langen Holztisch in seinem Haus in Raderthal und zeichnet die Wegeführung am Ebertplatz auf ein Stück Papier. »Den Fahrverkehr am Ebertplatz unter die Erde zu verlegen, war nicht möglich. Also haben wir den Platz abgesenkt, um die Fußgängerverbindung vom Agnesviertel in die Innenstadt aufrecht zu erhalten.«

 

Man habe bewusst vorgesehen, dass sich Läden und ein Café in der Passage ansiedeln, um sie für die Fußgänger attraktiv zu gestalten. »Doch der Fußgänger nahm das Runtergehen vom Grundsatz her nicht an. Deshalb konnten sich auch die Läden nicht halten, weil das Publikum fehlte.« Der Entwurf für den Ebertplatz stamme von dem Architekten Kurt Jatho, einem damaligen Mitarbeiter des Stadtplanungsamts, so Baecker. Er enthält wesentliche Elemente, für die sich der Dezernent damals leidenschaftlich einsetzte und die er noch heute für richtig hält: etwa Betonplatten, um der Flächenbeanspruchung der unterschiedlichen Akteure gerecht zu werden — insbesondere des Autoverkehrs.

 

Diese Vorliebe habe dem Dezernenten damals den Spitznamen Platten-Baecker eingebracht, erzählt der Architekt Christian Schaller. Er hat sein Büro an der Sudermanstraße, nur wenige Schritte vom Ebertplatz entfernt. Auch Schaller ist bereits ein älterer Herr, sein Vater Fritz baute einst mit der Domplatte eine weitere berühmt gewordene Platte für Baecker. Der Sohn ersetzte die skulpturale Treppe am Bahnhofsvorplatz im Jahr 2003 durch eine breite Freitreppe. Schaller erzählt, wie er mit der Bürgerinitiative Nördliche Altstadt (Bina) gegen den Bau des Ebertplatzes protestiert habe: »Der Platz war bei seiner Fertigstellung schon unzeitgemäß. Man hätte dem Autoverkehr nicht mehr diesen Vorrang gegeben.«

 

Tatsächlich wandelten sich in den 70er Jahren die Vorstellungen vom Leben in der Stadt: Es war vorbei mit der Fortschrittsgläubigkeit. Das Neue galt nicht mehr automatisch als dem Alten überlegen. Man erkannte den Wert historischer Bausubstanz, die Denkmalpflege gewann an Bedeutung. Bei einigen setzte das Umdenken früher ein als bei anderen. So sagt man den Kölner Ratspolitikern und Verwaltungsmitarbeitern nach, besonders lange an den Prinzipien der 60er Jahre festgehalten zu haben, zumal, wenn sie ein SPD-Parteibuch hatten — so wie
Werner Baecker.

 

Die ehemalige Stadtkonservatorin Hiltrud Kier schrieb damals am neuen NRW-Denkmalpflegegesetz mit. Den Ebertplatz lehnte sie vor allem deshalb ab, weil er die historische Achse zwischen Eigelsteintor und Agneskirche zerschneide — auf dieser Strecke verlief der Cardo, die römische Hauptstraße. Zuvor wies der Eberplatz, der in seiner Geschichte auch schon Deutscher Platz, Platz der Republik und Adolf-Hitler-Platz hieß, noch die Gestaltung des 19. Jahrhunderts auf — als Teil des als Prachtboulevard angelegten Rings. Heute allerdings plädiert Kier dafür, den Platz von 1977 unter Denkmalschutz zu stellen, weil er ein typisches und in Köln einzigartiges Beispiel für die Architektur der Epoche sei.

 

Auch Schaller preist den Ort heute: »Die Passage öffnet sich zum Platz hin, es gibt Lichtschächte. Eine dunkle Unterwelt hat man so verhindert. Auch vom Verkehr ist man dort gut abgeschirmt.« Geglückt seien auch die Anbindungen an die U-Bahn und den Park am Theodor-Heuss-Ring. Auch die Kunstraumbetreiber schwärmen von den Vorzügen der brutalistischen Architektur mit ihren sechseckigen Formen, und je schriller der Platz in den Medien gebrandmarkt wird, desto enthusiastischer verteidigen ihn nun auch manche Anwohner.

 

Peter Otten zum Beispiel, der Pastoralreferent, der auch für die Kirche St. Gertrud im Agnesviertel zuständig ist, auch sie ein brutalistischer Bau. »Sie hat keine klare Achse, gibt mir keine Orientierung. Sie fordert mich heraus, und das tut auch der Ebertplatz.« Weil das anstrengend sei, verweigerten sich aber viele Menschen. »Aber wir können den Platz doch nicht einfach zuschütten, nur weil wir die Architektur nicht verstehen. Unsere Enkel würden anfangen zu heulen, wenn sie das erfahren.«

 

Der frühere Baudezernent Baecker freut sich unbändig über diese Neubewertung, auch weil er sich während seiner Amtszeit mit der Stadtkonservatorin Hiltrud Kier »immer nur gestritten« habe. Einmal habe er in einem Vortrag über gutes Planen und das »Überwinden historischer Formen« gesprochen. »Was bin ich dafür angegangen worden!«, ruft er aus. Endlich wisse man zu schätzen, dass der Fußgänger auf verschiedenen Ebenen laufen könne, genauso, wie Baecker sich das damals vorgestellt habe! »Er kann ja vom Sudermanplatz bis zum Weiher am Theodor-Heuss-Ring gehen, ohne vom Auto gestört zu werden. Das ist doch absolut zeitgemäß!« Genauso wie die überdachte Fläche, die er mit der Passage geschaffen habe: »Es ist doch ideal, Flächen in der Stadt zu haben, die nicht kommerziell genutzt werden, und in denen Menschen sich versammeln können, wenn es mal regnet.«

 

Diese leicht trotzige Verteidigung des Ebertplatzes stößt aber nicht bei allen Anwohnern auf Begeisterung, vor allem bei denen nicht, die den schleichenden Verfall des Platzes von Beginn an beobachtet haben. Dagmar Ujhelyi zum Beispiel. Sie war 14, als ihre Mutter auf dem frisch eingeweihten Platz die »Boutique am Brunnen« eröffnete, ein Geschäft für Damenmode. »Eine Zeitlang war die Passage ein Highlight, es war viel los, Kinder spielten am Brunnen.« Doch bald zeigten sich die Nachteile. Ständig habe sie die Polizei rufen müssen, weil sie beobachtete, wie ältere Herrschaften auf den Rolltreppen beklaut wurden. Immer mehr Obdachlose hielten sich in der Passage auf, Menschen mit Alkoholproblemen.

 

Trotzdem übernahm sie im Jahr 2003 das Geschäft ihrer Mutter, sah trotz allem also noch eine Zukunft für den Platz. Dann eröffneten die afrikanischen Bars, abends wurde es laut. Ujhelyi machte das Angst. Als 2006 ein oberirdischer Übergang angelegt wurde, habe sie erkannt: »Das wird nichts mehr.« Die Rolltreppen standen still. Bis 2010 hielt sie durch, dann zog sie mit ihrem Geschäft nach oben auf die Neusser Straße, nun habe sie wieder mehr Kundschaft. »Der Ebertplatz war ein totgeborenes Kind«, sagt sie heute. »Ich fände es gut, wenn man ihn zuschüttet.«

 

 

 

Schmuckplatz versus Kultur-Arena

 

Und das hat die Stadt auch fest vor. In drei bis vier Jahren werde man mit dem großen Umbau beginnen, verkündete Stadtdirektor Stephan Keller Mitte November im Abendgymnasium. Schon im Sommer 2018 soll ein Bürgerbeteiligungsverfahren beginnen. Dann soll, wie im Speer‘schen Masterplan empfohlen, der Platz wieder auf Straßenniveau angehoben werden. Die ebenerdige Lösung entspricht dem heutigen Wunsch, mit offenen, hellen Flächen möglichst »zeitlos« zu bauen, wie etwa am Ottoplatz in Deutz. 

 

Eine Ahnung von den Vorstellungen des Stadtplanungsamts bekommt man, wenn man drei erste Entwürfe betrachtet, die im Jahr 2012 in der »Planungswerkstatt Kölner Ringstraßen« entstanden sind. Einer sieht einen runden Schmuckplatz mit Pflanzbeeten vor, zwischen denen schmale Wege zu den verschiedenen Straßen führen. Nos-talgisch angehaucht, aber vom Verkehr umtost. »Eine aberwitzige Idee. Da werden die Menschen mit Bildchen betört, aber der Platz wird nicht aus der Funktionalität und der Bedeutung für die Stadt entwickelt.« Schaller ist generell skeptisch, was große Lösungen angeht. Denn der Bau wird, genau wie beim Platz in seiner jetzigen Form, viele Jahre dauern — »und wenn er fertig wird, sind die zugrunde liegenden Ideen längst obsolet.«

 

Kein Wunder also, dass sich die Stimmen mehren, die den Platz erhalten wollen. »Wir wollen bleiben«, sagt Sam Opoye vom »African Drum«. Er würde gerne eine Außen-gastronomie einrichten, um den Platz zu beleben. Eine der prominentesten Stimmen ist Grischa Göddertz. Sein Vater Wolfgang hat die »Wasserkinetische Plastik« auf dem Ebertplatz gebaut, die 1977 in Betrieb ging. »Das war toll«, erinnert sich Sohn Grischa. »Wir haben damals in Ehrenfeld gewohnt und sind mit der Badehose zum Ebertplatz gefahren, um am Brunnen zu planschen.« Für Göddertz begann der Niedergang des Ebertplatzes mit der Abschaltung des Brunnens. Vorher hätten die Wassergeräusche den Autolärm geschluckt und die Leute hätten ihre Mittagspause dort verbracht. 

 

Im vergangenen Sommer hat Göddertz Fotos aus dieser Zeit am Ebertplatz ausgestellt. Die Scheiben des Brunnens glänzen im Abendlicht, dazwischen spielen Kinder, ihre Eltern und Großeltern stehen am Rand und unterhalten sich. »Die Resonanz war groß«, erzählt Göddertz, »Die einen haben sich an ihre Kindheit erinnert, die anderen wussten nicht mal, dass die Skulptur ein Brunnen ist.« Heute würde Göddertz den Brunnen gerne wieder sprudeln lassen: »Wir haben uns die Pumpen unter dem Brunnen angesehen. Die sind zwar angegammelt, aber noch komplett vorhanden.« Göddertz schätzt, dass es zwischen 15.000 und 75.000 Euro kosten würde, den Brunnen wieder in Betrieb zu nehmen. »Mein Vater ist lange auf Widerstand bei der Stadt Köln gestoßen, als er den Brunnen wieder anschalten wollte«, erzählt Grischa Göddertz. »Jetzt habe ich aber das Gefühl, dass sich die Stimmung dreht.« Die Verwaltung geht davon aus, dass eine Instandsetzung des Brunnens 100.000 Euro kosten würde. Viel ist auch das nicht — nur die weitere Planung des Ebertplatz-Umbaus ist im städtischen Haushalt 2018 schon mit 400.000 Euro veranschlagt.

 

Viele Architekten plädieren nun für ein mehrstufiges oder »prozesshaftes« Wettbewerbsverfahren, ohne fertige Lösung. Christian Schaller bringt seinen eigenen Entwurf gern ins Spiel, er stellt sich eine Art unterirdische Kultur-Arena vor, mit ansteigenden Stufen zur Platzmitte hin, die man in den Nachtstunden durch eine Glaswand schließen könnte. Die Passage als »Halle« zeitweilig abzutrennen, hat auch das Büro BachmannBadie 2015 vorgeschlagen. Maria Wildeis vom Brunnen e.V. könnte sich vorstellen, die Passage als Ersatz für die Josef-Haubrich-Kunsthalle am Neumarkt zu nutzen, die 2002 abgerissen wurde. Solche Gestaltungen könne man schnell umsetzen und dann prozesshaft weiterentwickeln, so Schaller. »Das Loch zu-machen kann ich immer. Aber man sollte doch erst mal die Lösung versuchen, die getragen wird von den Anwohnern und den Leuten, die da was machen wollen.«

 

Auch Birgit Breuer von der Alten Feuerwache ist mehr an kurz- oder mittelfristigen Lösungen gelegen. Das sähen auch die Anwohner so, die sie bei ihren Aktionstagen befragt habe, und die viele Anregungen zur Belebung des Platzes gegeben hatten. Der Vorschlag »Platz zuschütten« wurde dabei nur selten gemacht. »Vor allem wollen wir als Stadtteilkonferenz aber in die Planung einbezogen werden«, so Breuer. Auch die Soziologin Kristina Seidelsohn warnt davor, den Ebertplatz isoliert zu betrachten: »Der Ebertplatz ist schon ein Stellvertreterplatz. Die Probleme dort muss man stadtweit regulieren.« 

 

Bislang ist bei der Verwaltung aber nicht viel zu spüren von dem Bestreben, die Ideen der Anwohner oder Galeristen aufzunehmen. Anfang Dezember pochte ein Vertreter des Ordnungsamts im Kulturausschuss darauf, die Zugänge zum Ebertplatz so schnell wie möglich schließen zu wollen. Als Interimslösung, bevor die  »Angsträume« endlich zugeschüttet werden. Aber die Methode Platz-Zuschütten hat ja auch etwas Gutes: Sollten unsere Enkel eines Tages tatsächlich darüber ins Heulen kommen, können sie den 70er-Jahre-Platz ja einfach wieder ausgraben.