Spuren ins Nichts
David Fincher hat einem Serienkiller einen Herzenswunsch erfüllt. Denn obwohl die Identität des sogenannten Zodiac nie zweifelsfrei geklärt wurde, steht außer Frage, dass der Mann, der vor knapp vier Jahrzehnten mindestens fünf Morde in der Gegend um San Francisco beging, Publicity wollte. Er verlangte, dass seine Selbstbezichtigungen in Zeitungen abgedruckt und die Telefonleitungen einer TV-Talkshow für ihn freigehalten würden. Und er bekundete in einem der Briefe, die er über Jahre an einen Reporter schrieb: »Ich warte auf einen guten Film über mich.«
Schon 1971 hatte Zodiac das Vorbild für den wahnsinnigen Killer in Don Siegels »Dirty Harry« abgegeben – was David Finchers Film nun reflektiert, indem er die beiden Hauptfiguren, den zum Hobbydetektiv gewandelten Zeitungskarikaturisten Robert Graysmith und den Kommissar David Toschi, beim Besuch von Don Siegels Film aufeinander treffen lässt. Dass der Fall auch in anderer Hinsicht ein kurioses Medienphänomen war, wird klar, wenn ein Dialog darauf verweist, dass Toschi seinerseits das Vorbild für Steve McQueens Figur in »Bullitt« abgegeben hatte.
Überschreitung von Genre-Routinen
Für Fincher (»Fight Club«), der in den Jahren des Zodiac-Terrors unweit der Tatorte zur Schule ging, verkörperte der Mörder jenen sprichwörtlichen »Schwarzen Mann«, vor dem Eltern ihre Kinder zu warnen pflegen. Vielleicht ist die Intensität dieser Kindheitserinnerungen Grund dafür, dass der Filmemacher nun besonders effektiv ein bestimmtes Lokal- und Zeitkolorit heraufbeschwört. Das beginnt mit einer traumwandlerischen Kamerafahrt, die einem Auto folgt, während am Nachthimmel Feuerwerkskörper in Zeitlupe explodieren, und setzt sich damit fort, dass die Farben wie auf alten Schnappschüssen leicht ausgeblichen wirken.
Zu den Horrorvorstellungen eines Schuljungen passt, dass die Inszenierung der Morde, die gleich im ersten Drittel des Films abgehandelt werden, den Konventionen des Genrekinos folgt. Vor allem die Anfangssequenz entspricht einem Slasherfilm-Klischee: Eine junge Frau verführt auf einem abgelegenen Parkplatz kokett ihren Beifahrer. Aber das Timing ist nicht nur in dieser Szene so perfekt, dass die augenfällige formale Qualität die Beschränktheit von Genre-Routinen sogleich überschreitet.
Irrationaler Perfektionismus scheint durch
Zur hyperrealen Intensität solcher Szenen trägt bei, dass Fincher seinem Kameramann Harris Savides die Vorgabe gemacht hat, mit der zurzeit avanciertesten Digitalkamera die Textur von 35mm-Film nachzuahmen. Wer nicht sehr genau darauf achtet, wird den Unterschied kaum bemerken, weshalb die ungewöhnliche, auch bei zunehmender Bildtiefe kaum nachlassende Schärfe einen umso subtileren Irritationseffekt erzielt. Savides hat allerdings in Interviews keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Paradoxie dieser Aufgabe frustrierend fand.
In ähnlicher Weise haben auch die Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal, Mark Ruffallo und Robert Downey Jr., der einen Kollegen Graysmiths spielt, kommentiert, dass Fincher von manchen Szenen bis zu siebzig Takes drehen ließ. Doch gerade der irrationale Perfektionismus, der bei solche Schilderungen durchscheint, verrät eine Affinität Finchers zur Obsession seines Protagonisten Graysmith. Dessen reales Vorbild machte die Suche nach dem Zodiac zu seinem Lebensinhalt und verfasste schließlich zwei Bücher, die als Vorlage für James Vanderbilts Drehbuch dienten.
Verstörender als konventionelle Serienkillerstreifen
Auch die Erzählung beschränkt sich auf den engen Fokus eines Besessenen, denn sie enthält uns fast jede Information vor, die nicht den Killer betrifft. Wir erfahren so wenig über Graysmiths Privatleben, dass selbst die Zahl der Kinder, die offenbar aus einer gescheiterten Beziehung stammen, nicht ganz klar ist. Irgendwann hat er ein Rendezvous, dessen Zustandekommen nur vage erklärt wird; und bald darauf ist er auch schon mit Melanie (Chloe Sevigny) verheiratet.
Während die Inszenierung in den anfänglichen Mordszenen brillant ist, ohne um Virtuosität bemüht zu sein, wirkt sie in den folgenden anderthalb Stunden unscheinbar. Gleichzeitig bleiben weitere Spannungsmomente aus, bis eine späte Thrillerszene uns vor Augen führt, dass wir – wie Graysmith – endgültig den Überblick verloren haben. Insofern mag »Zodiac« unbefriedigend und frustrierend sein, doch das spiegelt die lückenhaften Resultate von Graysmiths und Toschis Ermittlungen treffend wider. Gerade deshalb wirkt der Film verstörender als alle konventionelleren Serienkillerstreifen, Finchers »Se7en« eingeschlossen. Die nicht ganz abwegige Vorstellung, dass der Zodiac noch frei herumläuft und solche formalen Qualitäten womöglich ebenfalls goutiert, macht ihn nur noch verstörender.
Zodiac (dto) USA 07, R: David Fincher,
D: Jake Gyllenhaal, Mark Ruffalo,
Anthony Edwards, 157 Min. Start: 31.5.